Berlin. Lindner verrät seine Pläne für die Wahl +++ Wer ist cool im Bundestag? +++ Gerüchte um Boris Pistorius - Hauptstadt Inside, der Newsletter von Jörg Quoos.
Liebe Leserin,
lieber Leser,
heute in hundert Tagen stehen wir in der Wahlkabine unseres Wahllokals und müssen unser Kreuzchen machen. Zur Wahl stehen viele alte Bekannte, die sich bis dahin politisch aufbrezeln müssen, um wieder attraktiv für uns zu sein. Mit Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner treten alle Gescheiterten der Regierung wieder an, und wir dürfen gespannt sein, wer am schnellsten die alte Haut abstreift und sich in der Gunst von uns Wählerinnen und Wählern wieder nach oben kämpft.
Einen diesen Kämpfer habe ich mit meinem Kollegen Tobias Kisling gestern Abend besucht. Wir trafen Christian Lindner, der beim Scheitern der Ampel im Mittelpunkt stand. Lindner musste nach dem Rauswurf wieder an den alten, bescheidenen Schreibtisch im Hans-Dietrich-Genscher-Haus zurück, die Modelle seines Porsche 911 sind wieder dabei. Ich erlebte einen kämpferischen, aber auch etwas abgekämpften Parteichef, der von Aufhören oder Innehalten nichts wissen will. Lindner brennt darauf, wieder Verantwortung zu tragen, aber vorher muss er das ewige magische Ziel der Liberalen erreichen: Fünf Prozent ist die Hürde, und nach diesem Gespräch würde ich wetten, dass er es wieder einmal schafft. Wie Lindner die Rolle rückwärts zur Union hinkriegen will und was seine Ansage an alle „linken Trolle“ ist, lesen Sie hier.
Wer ist der oder die Coolste im Bundestag? Auch wenn Sie sich diese Frage noch nie gestellt haben – ich habe trotzdem die Antwort für Sie. Inspiriert von Olaf Scholz, der sich für „cooler“ hält als Friedrich Merz und von CSU-Chef Markus Söder, der angeblich keinen kennt, „der uncooler in Deutschland ist als Olaf Scholz“. Lesen Sie meine Gedanken zum Coolness-Wettbewerb in der deutschen Politik, und bleiben Sie bitte cool, wenn Sie ganz anderer Meinung sind.
Sehr uncool finden die engsten Berater um den Kanzler, dass die Anhänger von Verteidigungsminister Boris Pistorius weiter davon träumen, Scholz durch Pistorius zu ersetzen. Ihre Stimmen mehren sich, auch wenn niemand aus der ersten Reihe dabei ist. Das Kalkül der Pistorius-Fans ist aber einfach: Der beliebteste Politiker Deutschlands könnte der SPD entscheidende Prozente bei der Wahl verschaffen – und damit auch etliche Mandate retten. Stand heute wären jedenfalls rund die Hälfte der Abgeordnetenposten für die SPD verloren.
Daher war der Beifall, den die Genossen Olaf Scholz bei seinem jüngsten Auftritt in der Fraktion spendeten, recht bizarr. Weder das Ende einer Regierung, noch die Aussicht auf politische Selbstverzwergung verdienen eigentlich Applaus. Pistorius bleibt weiter loyal zum Kanzler, obwohl im engsten Umfeld erste vorsichtige Distanzierung diagnostiziert wird. Das berichten jedenfalls die Kollegen vom „Spiegel“, die bei der SPD immer besonders nah dran sind.
Boris Pistorius müsste auf dem Weg ins Kanzleramt nicht nur an den einflussreichen Beratern des Kanzlers vorbei, die alle ihr politisches Schicksal mit Olaf Scholz verwoben haben, sondern auch an Fraktionschef Rolf Mützenich. Der berichtete jetzt von einem „Grummeln in der Fraktion“ wegen Pistorius, aber meinte damit vor allem das eigene Bauchgrummeln. Mützenich sind die ewigen Rufe des SPD-Verteidigungsministers nach mehr Waffen für die Ukraine suspekt, und als Pistorius forderte, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden, erbat sich der stets freundliche Mützenich genervt verbale Abrüstung.
Will Boris Pistorius doch noch an die Macht, müsste der Verteidigungsminister jetzt blitzkriegmäßig aus der Deckung springen, sonst wird das nichts mehr. Die Scholz-Plakate werden jedenfalls bald gedruckt. Wie das Timing aussehen müsste und was ein Wechsel des Spitzenkandidaten bedeuten würde, beschreibt unser Kanzleramtsreporter Jan Dörner.
Ob da noch mal jemand schnell mit Olaf Scholz sprechen wollte? Der Bundeskanzler hat gestern erstmals seit zwei Jahren wieder mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert, wie das Bundeskanzleramt mitteilte. Das Gespräch dauerte rund eine Stunde, und der Kanzler habe Putin aufgefordert, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden. Außerdem bekräftigte Scholz die „unverbrüchliche Entschlossenheit Deutschlands, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression so lange wie nötig zu unterstützen“. Wahrscheinlich war es das letzte Gespräch dieses deutschen Kanzlers mit dem russischen Präsidenten, und Olaf Scholz wird Putin nicht vermissen. Ganz sicher wird Putin aber Scholz vermissen, denn mit Friedrich Merz würde ein Regierungschef ins Kanzleramt einziehen, der auch weitreichende Raketen an die Ukrainer liefern will. Und genau das wird Scholz in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes stellen, da bin ich bereit zu wetten.
Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende und bleiben Sie cool, auch wenn es zurzeit schwerfällt,
herzlich, Ihr Jörg Quoos