Düsseldorf. NRW-Justizminister wollte eine Duz-Bekanntschaft zu einer der höchsten Richterinnen des Landes machen. Nun revidiert er die Entscheidung.
Die Besetzung einer der höchsten Richterstellen in NRW ist wieder offen: Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) will die Auswahl für eine neue Präsidentin des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) zurücknehmen. Der Chefposten des Gerichts war unter zweifelhaften Umständen an eine Duz-Bekanntschaft des Ministers vergeben worden, die seit Jahren nicht mehr in der Justiz tätig ist und erst nachträglich ins Bewerbungsverfahren aufgenommen wurde.
Es müsse eine neue Auswahlentscheidung getroffen werden, die einer neuen Beurteilung aller Bewerber bedürfe, sagte Limbach am Freitag in Düsseldorf. Das Kabinett werde am Dienstag die bisherige Auswahlentscheidung aufheben. „Der nächste Anlauf muss sitzen“, sagte Limbach. Bei der Erstellung der Beurteilung für die bisher erfolgreiche Kandidatin habe es „beachtliche Fehler“ gegeben. Das ärgere ihn. Zuvor hatte das Innenministerium eine entscheidende dienstliche Bewertung für die erfolgreiche Kandidatin zurückgezogen.
Zahlreiche Zweifel am Verfahren
Limbach steht in der Affäre seit Monaten unter Druck. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss prüft derzeit, ob in dem Bewerbungsverfahren wirklich die Kompetenz der Bewerber ausschlaggebend war – oder ob es Vetternwirtschaft gab oder das Parteibuch der Bewerberin eine Rolle spielte. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte eine Überprüfung des Verfahrens gefordert, weil eine sachwidrige Vorfestlegung des Ministers zugunsten seiner Favoritin nicht ausgeschlossen sei.
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Höchste Richterämter in NRW müssen eigentlich nach einer streng formalen Bestenauslese besetzt werden, damit sich eine Regierung keine genehme Justiz als Kontrollinstanz schaffen kann. Zahlreiche Indizien hatten allerdings Zweifel am ordnungsgemäßen Ablauf der Besetzung gesät.
Die erfolgreiche Bewerberin hat ein CDU-Parteibuch, ihr Interesse an dem Job hatte sie ihrem alten Bekannten Limbach unmittelbar nach dessen Amtsantritt im Juli 2022 bei einem privaten Abendessen bekundet. Anschließend war sie nachträglich ins Verfahren gekommen und an ihren männlichen Mitbewerbern vorbeigezogen. Gleichzeitig war den anderen Bewerbern ein Rückzug nahegelegt worden.
Dienstliche Beurteilung war fehlerhaft
Die jetzige Rücknahme der Entscheidung ist ein erster Erfolg des Untersuchungsausschusses. In der vergangenen Woche war im Ausschuss ein Gutachter im Auftrag der Landtagsopposition zu dem Ergebnis gekommen, dass eine für die Entscheidung maßgebliche Beurteilung rechtswidrig war.
Erst durch die Spitzenbewertung von Innen-Staatssekretärin Daniela Lesmeister (CDU) im Herbst 2022 konnte die Duz-Freundin von Limbach, damals im Innenministerium Abteilungsleiterin, vom Justizministerium zum Besetzungsvorschlag gemacht werden. Vorher lagen selbst nach Einschätzung der Limbach-Fachbeamten zwei Konkurrenten mit besseren Referenzen vor ihr.
Der Gutachter im Ausschuss hatte kritisiert, dass die Beurteilung der Kandidatin mit Bestnoten ausschließlich durch Staatssekretärin Lesmeister erfolgt sei, die lediglich zwei Monate Vorgesetzte der Beurteilten gewesen sei. Dies widerspreche der einschlägigen Richtlinie. Lesmeister hätte zuvor eine Einschätzung ihres pensionierten Amtsvorgängers Jürgen Mathies (parteilos) einholen müssen.
Im Untersuchungsausschuss in der vergangengen Woche hatte Lesmeister die Kritik noch abgeblockt. Die Einbeziehung des früheren Vorgesetzten Mathies sei eine „Kann-Bestimmung“, von der sie bewusst keinen Gebrauch gemacht habe. „Ich habe es anders gemacht, ich bin als Beurteilerin frei.“
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Nun hat das Innenministerium die ausschlaggebende Beurteilung allerdings aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht, das die Causa derzeit ebenfalls untersucht, hatte zuvor wie der Gutachter im Ausschuss auf Zweifel an der Beurteilung hingewiesen. Mit der Aufhebung der Beurteilung sei die Aufhebung der Auswahlentscheidung eine „zwingende Konsequenz“, sagte Limbach.
Opposition fordert Entlassung von Limbach und Lesmeister
Die Opposition sieht sich mit der Entscheidung in ihrem Klüngelverdacht bestätigt. SPD-Fraktionschef Jochen Ott forderte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf, Limbach und Lesmeister zu entlassen. „Diese Landesregierung hat allem Anschein nach mit Trickserei versucht, eine ihr gewogene Kandidatin zur Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts von Nordrhein-Westfalen zu machen.“
Auch der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Werner Pfeil, fand deutliche Worte: „Hier wurde bewusst manipuliert, um eine bestimmte Person auf die Spitzenposition zu hieven – gegen die Regeln der Bestenauslese und auf Kosten von Transparenz und Fairness“.
Limbach weist die Vorwürfe der politischen Einflussnahme zurück: „Eine Beurteilung auf Bestellung ist eine reine Erfindung der Opposition“, sagte er. Für die Auswahlentscheidung des Kabinetts hätten nur die rechtlich ausschlaggebenden Kriterien eine Rolle gespielt: „Leistung, Eignung, Befähigung.“
Einen persönlichen Fehler räumte der Minister dennoch ein. „Mein Fehler war, bei dem Abendessen nicht zu sagen: Oh, das ist ein dienstliches Thema“, sagte Limbach zu dem Treffen mit seiner Duz-Bekannte, die er seit einer gemeinsamen beruflichen Zeit an einem Gericht kannte. Auch künftig werde er Gesprächswünsche aber nicht generell abschlagen.
Besetzung verzögert sich weiter
Die Besetzung der Präsidentenstelle am OVG wird sich mit der Entscheidung unterdessen weiter verzögen. Wegen der Unregelmäßigkeiten ist der Posten seit mehr als drei Jahren unbesetzt.
Eine neue Ausschreibung werde es aus rechtlichen Gründen nicht geben, weil das laufende Verfahren nicht einfach abgebrochen werden dürfe, erläuterte Limbach. Alle drei Bewerber – neben der bislang favorisierten Frau sind noch zwei Männer im Rennen – hätten aber nun Anspruch auf neue Beurteilungen, in die auch die Jahre seit der nun hinfälligen ersten Beurteilung einzubeziehen seien.
Auf die Frage, ob die bisher erfolgreiche Bewerberin zurückziehen sollte, sagte Limbach: „Es ist nicht meine Aufgabe, Ratschläge zu geben. Jeder und jede wird für sich prüfen, ob er im Verfahren bleibt oder nicht.“
Unklar ist, wie lange das Verfahren noch dauern wird. Auch nach einer neuen Kabinettsentscheidung – Limbach peilt dafür das Frühjahr an – könnten unterlegene Bewerber erneut klagen.
Zwei Verwaltungsgerichte hatten das Besetzungsverfahren gestoppt. Das in Münster hatte dabei scharfe Kritik geäußert und von manipulativer Verfahrensgestaltung geschrieben. Das Oberverwaltungsgericht hatte dann keine durchgreifenden Bedenken gesehen – wurde aber vom Bundesverfassungsgericht angewiesen, den Fall noch einmal genauer zu prüfen. „Wir gehen davon aus, dass das Eilverfahren durch das Oberverwaltungsgericht nun eingestellt wird“, sagte Limbach nach seiner Entscheidung für den Neustart der Auswahl.
Im Untersuchungsausschuss geht es nächsten Dienstag weiter. Dann ist NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) als Zeuge geladen.