Düsseldorf. Nächste Runde in der OVG-Kungelaffäre in NRW: Wie kamen die Spitzennoten für die Wunschpräsidentin des grünen Justizministers zustande?

In der seit Monaten schwelenden Affäre um die zweifelhafte Besetzung des Präsidentenamtes beim Oberverwaltungsgericht (OVG) mit einer Duz-Bekanntschaft von Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) ist der schwarz-grünen Landesregierung möglicherweise auch noch ein schwerwiegender Formfehler unterlaufen.

Wie am Dienstag im Untersuchungsausschuss des Landtags bekannt wurde, fußte die Beförderung der Limbach-Favoritin auf einer womöglich rechtswidrigen Spitzenbewertung aus dem NRW-Innenministerium. Der Gutachter Jürgen Lorse (SPD), Ministerialrat im Bundesverteidigungsministerium und Autor des Fachbuchs „Die dienstliche Beurteilung“, analysierte im Auftrag der Fraktionen von SPD und FDP, dass es gar keine ausreichende Basis für solche Top-Noten gegeben habe. Die Opposition spricht von „Bestnoten auf Bestellung“.

Das 14-seitige Gutachten wurde dem Untersuchungsausschuss am Dienstag zugeleitet. Unter dubiosen Umständen war das wichtige OVG-Präsidentenamt 2023 an eine Duz-Bekanntschaft des Ministers vergeben worden, die seit Jahren nicht mehr in der Justiz tätig ist und erst nachträglich ins Bewerbungsverfahren aufgenommen wurde. Sie hat ein CDU-Parteibuch und lange für das Katholische Büro in Berlin gearbeitet. Ihr Interesse an dem Job hatte sie ihrem alten Bekannten Limbach unmittelbar nach dessen Amtsantritt im Juli 2022 bei einem privaten Abendessen bekundet.

OVG-Affäre: Neues Gutachten zum Zustandekommen von Spitzenbewertungen

Brisant: Erst durch eine Spitzenbewertung aus dem Innenministerium, wo die Frau heute als Abteilungsleiterin tätig ist, konnte sie durch das Justizministerium überhaupt erst zum umstrittenen Besetzungsvorschlag gemacht werden. Vorher lagen selbst nach Einschätzung der Limbach-Fachbeamten zwei Konkurrenten mit besseren Referenzen vor ihr.
Wie der Gutachter jetzt darlegte, hätte Innenstaatssekretärin Daniela Lesmeister (CDU) im Herbst 2022 keine solche dienstliche Beurteilung erstellen dürfen, ohne zuvor eine Einschätzung ihres pensionierten Amtsvorgängers Jürgen Mathies (parteilos) einzuholen.

Dies sei zwingend vorgeschrieben, weil Lesmeister damals erst zwei Monate lang Dienstvorgesetzte der Limbach-Favoritin war und das Urteil des früheren Chefs Mathies maßgeblich war. Dass ohne ausreichende Grundlage eine Spitzenbeurteilung ausgestellt wurde, mit der die erst nachträglich ins Bewerbungsverfahren aufgenommene Juristin plötzlich Top-Kandidatin wurde, sei ein „K.O.-Kriterium“, sagte FDP-Obmann Werner Pfeil.

Lesmeister widersprach als Zeugin im Untersuchungsausschuss dieser Einschätzung entschieden. Sie habe die Spitzennoten weder auf Anweisung von Limbach noch von Innenminister Herbert Reul (CDU) oder nach Vorgaben aus der Staatskanzlei erstellt: „So etwas wurde nie gesagt.“ Sie habe vielmehr nach „eigener Wahrnehmung des Leistungsbildes“ die Limbach-Favoritin beurteilt. Lesmeister verwies darauf, dass sie die Kandidatin bereits aus gemeinsamer Arbeit als Abteilungsleiterinnen im Innenministerium kannte und ihre Einschätzung noch in einem „360 Grad-Rundumblick“ im Kollegium abgesichert habe. Wen genau sie als „verständige Personen“ gefragt hatte, blieb nebulös.

NRW-Innenstaatssekretärin fühlte sich „frei“ als Beurteilerin der Limbach-Favoritin

Die Einbeziehung des früheren Vorgesetzten Mathies interpretierte sie jedoch nur als „Kann-Bestimmung“, von der sie bewusst keinen Gebrauch gemacht habe. „Ich habe es anders gemacht, ich bin als Beurteilerin frei“, blockte Lesmeister ab. SPD-Obfrau Nadja Lüders bestritt, dass die Staatssekretärin nach nur wenigen Wochen als Chefin die Limbach-Favoritin mit Spitzenbewertungen hätte ins Rennen ums OVG-Spitzenamt schicken dürfen. Es bleibe unklar, wie die Beurteilung zustande gekommen sei. FDP-Mann Pfeil äußerte Unverständnis, dass Mathies als „derjenige, der es am besten hätte beurteilen können“ außen vor geblieben sei.

Damit ist die Affäre um ein Kapitel reicher. Zwei Verwaltungsgerichte hatten die Besetzung als rechtswidrig eingestuft und teilweise eine „manipulative Verfahrensgestaltung“ kritisiert. Schon vor Monaten war öffentlich geworden, dass die Landesregierung in einer Reihe von Geheimgesprächen versucht haben soll, aussichtsreiche Konkurrenten der Limbach-Favoritin zum Rückzug zu drängen. Höchste Richterämter in NRW müssen eigentlich nach einer streng formalen Bestenauslese besetzt werden, damit sich eine Regierung keine genehme Justiz als Kontrollinstanz schaffen kann.

OVG hat zwei Erörterungstermine in der Limbach-Affäre angekündigt

Das Bundesverfassungsgericht verwies im Sommer in einem spektakulären Beschluss den Fall zurück ans OVG, das zunächst überraschend nichts zu beanstanden hatte. Karlsruhe mahnte die gründlichere Prüfung einer unzulässigen Vorfestlegung auf die Limbach-Favoritin an. Das OVG hat dazu jetzt zwei ausdrücklich „nicht öffentliche“ Erörterungstermine am 25. November und am 5. Dezemberin Münster anberaumt. Geklagt hatte ein Bundesrichter, der trotz der mit Abstand höchsten Rechtsprechungskompetenz übergangen worden war.

Auch Ex-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) machte am Dienstag als Zeuge im Untersuchungsausschuss deutlich, dass er keinerlei Verständnis für das Vorgehen seines Nachfolgers Limbach hat. Bei ihm sei es nicht üblich gewesen, Geheimgespräche mit Bewerbern für höchste Richterämter zu führen: „Wir wollen Bestenauslese.“ Die Besetzung von Spitzenposten wie der OVG-Präsidentschaft sei „Juristerei am Hochreck“ und müsse der zuständigen Fachabteilung vorbehalten bleiben. „Ich wollte keine Klage haben und habe gesagt: Macht gründlich, macht vernünftig“, sagte Biesenbach und grenzte sich deutlich von den Kungelvorwürfen gegen Limbach ab.