Paris. Le Pen soll öffentliche Gelder veruntreut haben. Die fast schon sicher geglaubte Präsidentschaft 2027 rückt plötzlich in weite Ferne.

Alle Voraussetzungen schienen erfüllt, dass eine Rechtspopulistin nächste Präsidentin Frankreichs wird. Marine Le Pen hatte sich in den letzten drei Wahlen für den allmächtigen Elysée-Posten ständig verbessert und zuletzt gegen Emmanuel Macron elf Millionen Stimmen erhalten. Da der amtierende Staatschef 2027 nicht mehr antreten kann und keine Top-Kandidaten in Sicht sind, wurden der 56-jährigen Gründerin des rechten „Rassemblement National“ (RN) gute Gewinnchancen eingeräumt. Mit Folgen für die ganze EU.

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Nun scheint es aber plötzlich sehr unwahrscheinlich, dass Marine Le Pen 2027 zur Elysée-Wahl antreten kann. In dem seit sechs Wochen laufenden RN-Prozess hat die Staatsanwaltschaft am Mittwoch in einem ganztägigen Plädoyer harte Strafen gefordert – darunter den Entzug des Wahlrechts. Der RN soll über die Jahre hinweg EU-Gelder, mit denen Assistenten der Europaabgeordneten entlohnt werden, in die eigene Parteikasse abgeleitet haben, um Parteikader zu finanzieren. 4,3 Millionen Euro soll der RN auf diese Weise veruntreut haben.

Frankreich: Staatsanwältin fordert Haftstrafe für Le Pen – die antwortet scharf

Die Staatsanwältin Louise Neyton verlangt deshalb für mehre RN-Angeklagte teils unbedingte Haftstrafen sowie Geldbußen. Für Le Pen, die der „Mittelpunkt“ dieses „organisierten Systems“ gewesen sei, verlangt sie fünf Jahre Haft, wovon zwei Jahre mit einer elektronischen Fußfessel, sowie 300.000 Euro Buße. Vor allem aber soll sie für fünf Jahre unwählbar werden.

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Le Pen reagierte vehement, nachdem sie sich zu Beginn der Gerichtsverhandlung noch sehr nonchalant und siegessicher gegeben hatte. „Das einzige Ziel ist es, mich daran zu hindern, bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten“, erklärte sie beim Verlassen des Gerichtsgebäudes. „Man muss schon blind und taub sein, um das nicht zu sehen.“ Die Staatsanwaltschaft betreibe keine Justiz, sondern sei „verbissen und rachsüchtig“.

Juristen halten die Argumentation der Staatsanwaltschaft hingegen für stringent und rechnen damit, dass sich das erst Anfang 2025 erwartete Urteil nicht wesentlich von den Anträgen unterscheiden wird. Die Unwählbarkeit ist in diesen Fällen – vor einem Jahr erst wurde die Mitte-Partei „Modem“ wegen ähnlicher Vorwürfe verurteilt – eine automatische Folge der Verurteilung.

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Im Ermessen der Richter liegt einzig die Frage, ob der Entzug des passiven Wahlrechts aufschiebende Wirkung hat, falls das RN das Verdikt an zwei höhere Instanzen ziehen würde. Die Staatsanwaltschaft verlangt eine sofortige Unwählbarkeit.

RN-Vertreter sprechen deshalb von einer „politischen Justiz“. Ins gleiche Horn stößt der frühere Innenminister Macrons, Gérald Darmanin. Er bezeichnete den Antrag der Anklage am Donnerstag als „schockierend“. Es liege nicht an der Justiz, demokratische Entscheide zu beeinflussen: „Dies wäre ein Verstoß gegen die Gewaltentrennung und würde den Graben zwischen den Eliten und dem Volk nur noch vertiefen.“ Der Ex-Republikaner Eric Ciotti, der mit dem RN verbündet ist, wirft der Justiz vor, „die Demokratie zu konfiszieren“.

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Die anderen Parteien und auch die meisten Medienkommentatoren betonen hingegen die Unabhängigkeit der Justiz. Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer selber erklärt, sie betreibe „keine politische Verfolgung“, sondern folge der Rechtsprechung. 2004 war schon der gaullistische Premierminister Alain Juppé wegen Scheinjobs seiner Partei verurteilt worden. Le Pen hatte damals entrüstet kommentiert, sie habe „genug von diesen Politikern, die Geld veruntreuen“. Auch für andere Tatbestände verlangt sie seit Langem eine Strafverschärfung.

Jordan Bardella, Parteichef des RN, und die Ikone der Partei, Marine Le Pen.
Jordan Bardella, Parteichef des RN, und die Ikone der Partei, Marine Le Pen. © AP/dpa | Thomas Padilla

Sollte Le Pen fünf Jahre lang nicht mehr kandidieren können, wäre ihre politische Karriere kaum mehr zu retten. Ihr Parteichef Jordan Bardella stünde bereit, ihr politisches Erbe anzutreten. Der erst 29-Jährige gilt als Naturtalent, aber auch als politisch zu unerfahren und noch zu leichtgewichtig, um bereits in die Fußstapfen der Le-Pen-Dynastie zu treten, welche die französische Politik seit mehr als einem halben Jahrhundert mitgeprägt hatte. Das zu erwartende Gerichtsurteil könnte diese Ära abrupt beenden.