Düsseldorf. Wer sich fragt, ob er studieren oder eine Ausbildung machen soll, sollte hinschauen: An den Unis verändert sich vieles zum Besseren.

Auf den ersten Blick mag die Nachricht von sinkenden Studierendenzahlen in Nordrhein-Westfalen als problematisch wahrgenommen werden. Für die künftigen Studierenden aber bedeutet dieser Trend etwas Gutes: Der Kontakt zu den Lehrenden dürfte nämlich enger, die Hörsäle leerer werden.

NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU)
„Wir erleben eine Schubumkehr bei den Studierendenzahlen“, erklärt NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU). © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Kommt jetzt der perfekte Zeitpunkt, um ein Studium in NRW zu beginnen? Auf jeden Fall deute sich eine Verbesserung der Studienbedingungen an, die einhergehe mit der „Schubumkehr“ bei den Studierendenzahlen, wie NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) am Montag im Landtag erklärte. „Die einst sehr brennenden Fragen nach der Betreuungsrelation zwischen Lehrkräften und Studierenden werden sich in dieser Schärfe zukünftig nicht mehr stellen“, sagte Brandes. In der Vergangenheit schnitt NRW in dieser Hinsicht bei Ländervergleichen schlecht ab. Nun steigen offenbar die Chancen, besser als bisher an den NRW-Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen) betreut und beraten zu werden.

Kommt schon bald das „nullte Semester“ an den Hochschulen in NRW?

Die durch die sinkenden Studierendenzahlen entstehenden Freiräume geben dem Land auch die Gelegenheit, voraussichtlich zum Wintersemerster 2026/27 ein so genanntes „nulltes Semester“ oder „Studienorientierungsjahr“ als Angebot für Studienanfängerinnen und -anfänger einzuführen. Dieses Semester soll Chancen eröffnen, Wissenslücken aus der Schulzeit zu schließen, dient also der soliden Vorbereitung auf das „richtige“ Studium. Im Entwurf für ein Hochschulstärkungsgesetz ist die Einführung eines solchen „Orientierungsjahres“ vorgesehen.

Die TU Dortmund, die RWTH Aachen und die Bergische Universität Wuppertal experimentieren schon mit dem „nullten Semester“.

„Viele Schulabgänger trauen sich ein Studium der MINT-Fächer nicht zu“, sagt Johannes Wessels, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Universitäten. Der Rektor der Universität Münster meint damit die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
„Viele Schulabgänger trauen sich ein Studium der MINT-Fächer nicht zu“, sagt Johannes Wessels, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Universitäten. Der Rektor der Universität Münster meint damit die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Wir stellen fest, dass während und nach der Corona-Pandemie die Schulabschlüsse nicht mehr so hochwertig waren, dass Studierende leicht den Weg ins Studium finden, besonders in den Fächern, in denen der Fachkräftemangel besonders groß ist“, sagte Prof. Johannes Wessels, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz der Universitäten. In Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaften seien die Bewerberzahlen weit unterdurchschnittlich. „Das liegt häufig daran, dass sich Studienanfänger diese Fächer nicht zutrauen“, so Wessels. Das „nullte Semester“ könne dies auffangen und eine Studienorientierung ermöglichen, die diese Bezeichnung wirklich verdiene.

Die Sorge um die Fachkräfte von morgen bleibt groß, vor allem in Ingenieurwissenschaften

„Fachkräftesicherung ist das Gebot der Stunde“, betonte auch der Chef der Rektorenkonferenz der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in NRW, Prof. Bernd Kriegesmann. Insbesondere die sinkende Nachfrage in den Ingenieurwissenschaften bereite den Rektoren Sorge.

Studierende in Nordrhein-Westfalen

Laut einer Abfrage des Wissenschaftsministeriums bei allen Hochschulen ging die Zahl der Studierenden in NRW in diesem Herbst im Vergleich zum Vorjahr auf 702.000 eicht zurück (minus 1,1 Prozent). Die Zahl der Erstsemester sank demnach zum Wintersemester 2024/25 gegenüber dem Vorjahr um 3,2 Prozent auf rund 88.000.
Zwischen 2010 und 2018 stiegt die Zahl der Studierenden stark von rund 500.000 auf etwa 774.000 an. Seitdem neigt sich die Kurve leicht nach unten.

Den ersten Schätzungen zufolge sank die Zahl von Studierenden an den öffentlich-rechtlichen Hochschulen im Ruhrgebiet im Wintersemester 2024/25 ähnlich wie im Landesschnitt. Demnach sind im diesem Semester 203.406 Menschen eingeschrieben - 1,7 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Erstsemester sank gegenüber dem Vorjahr um 1,9 Prozent auf 20.273 und damit weniger als landesweit.

Dass der Zustrom in die Hochschulen abebbt, hat einen weiteren Effekt, der Abiturienten und Schulabgänger mit Fachabi interessieren dürfte: Die Zahl der örtlichen Zulassungsbeschränkungen (Numerus Clausus) werde absehbar noch weiter sinken, so die Wissenschaftsministerin. Ein gutes Beispiel dafür sei das Grundschul-Lehramt. „Dort wurden lange weniger Studienplätze angeboten als nachgefragt waren. Dank dem Studienplatzausbau in NRW kann man hier nun NC-frei Grundschullehramt studieren“, so Brandes.

Die „Ticket-Studenten“ verschwinden aus der Statistik

Als Gründe für die sinkenden Studierendenzahlen nennen die Rektoren und die Ministerin die demografische Entwicklung, die Folgen der Pandemie und den Absprung vieler so genannter „Ticket-Studierender“, die sich nur einschreiben, um an das günstige Semesterticket zu kommen. Das neue Deutschlandticket macht diesen „Trick“ weitgehend überflüssig.

Im Jahr 2026 öffnet sich vor den Hochschulen zudem die „Abi-Lücke“ zwischen dem letzten G8-Jahrgang und dem ersten G9-Jahrgang. Einst gab es in NRW wegen der Gymnasialreform einen „doppelten Abiturjahrgang“, nun seht dem Land sozusagen das Gegenteil bevor. Viel Kopfzerbrechen scheint diese Lücke den Verantwortlichen allerding nicht zu bereiten. Sie biete die Gelegenheit zur Einführung des „nullten Semesters“, heißt es. Außerdem kämen viele Studierende aus den anderen Bundesländern und immer mehr Studierende aus dem Ausland nach NRW.

Holland will weniger ausländische Studenten. NRW könnte davon profitieren

„Uns spielt da zum Bespiel die politische Entwicklung in den Niederlanden in die Hände“, erklärte Johannes Wessels. Viele Hochschulen dort wollten die Zahl der ausländischen Studierenden reduzieren, was den Hochschulstandort Deutschland attraktiver mache. „Wir beobachten ein sehr großes Interesse internationaler Studierender an NRW, und das gilt auch für arrivierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“, so Brandes.

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