Tel Aviv. In Zukunft werden die Rechtsextremen noch stärker den Ton vorgeben. Ein Waffenstillstands-Deal mit Gaza wird nun unwahrscheinlicher.
Während die ganze Welt auf Amerika blickte und die US-Führung mit sich selbst beschäftigt war, nützte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Gunst der Stunde, um Verteidigungsminister Joav Gallant zu feuern – ausgerechnet mitten im Krieg an mehreren Fronten.
Israels wichtigster Verbündeter, die USA, war von dem Schritt vorab nicht informiert worden. Und das, obwohl Gallant für das Team von US-Präsident Joe Biden der wichtigste Kontaktmann in Israel war. Nun ist Gallant Geschichte – und in weniger als drei Monaten ist das auch bei US-Präsident Joe Biden der Fall.
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Tausende Menschen strömten schon kurz nach der Bekanntgabe von Gallants Rausschmiss in vielen Teilen Israels zu spontanen Protesten auf die Straßen. Das liegt nicht daran, dass Gallants Rausschmiss wirklich überraschend kam. Netanjahu hatte ihn lange vorbereitet. Der Zorn, der sich auf den Straßen entlud, wurzelt eher in einer Angst, dass das nur der Beginn einer Serie war.
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Viele in Israel sehen Gallants Entlassung als Teil eines umfassenden Kahlschlagprogramms. Nach dem Verteidigungsminister könnten auch der Armeechef, der Geheimdienstchef und die Generalstaatsanwältin entfernt und durch Ja-Sager ersetzt werden, befürchten sie. Die Angst ist nicht unbegründet.
Aus Netanjahus Büro sollen systematisch Protokolle gefälscht worden sein
Gallant musste gehen, weil er sich einem zentralen Programm dieser Regierung in den Weg stellte: Es geht um die Befreiung der Ultraorthodoxen vom Armeedienst. Dass jedes Jahr mehrere Tausend junge streng-fromme Männer vom eigentlich verpflichtenden Militärdienst ausgenommen sind, hat das Höchstgericht für grundrechtswidrig erklärt. Die ultraorthodoxen Parteien drohten mit ihrem Austritt aus der Regierung, sollte die Wehrdienstbefreiung ein Ende nehmen. Und Netanjahu, der nichts mehr fürchtet als ein Platzen der Koalition, beugt sich gern. Da er mit dem sicheren Widerstand der Generalstaatsanwältin rechnen muss, könnte auch ihr Kopf bald rollen – mehrere Abgeordnete in Netanjahus Likud-Partei rufen bereits danach.
Dass Gallant ausgerechnet Dienstagabend aus der Regierung katapultiert wurde, liegt nicht nur an den US-Wahlen. Nur wenige Stunden zuvor hatten israelische Medien den zweiten Teil der sogenannten Bibileaks-Affäre veröffentlicht: Aus Netanjahus Büro sollen nicht nur hochsensible Informationen geleakt, sondern auch systematisch Protokolle gefälscht worden sein – zum Schaden der Staatssicherheit und zum politischen Nutzen Netanjahus. Der Rausschmiss Gallants verdrängte das Thema der Affäre aus den Schlagzeilen – auch das war wohl beabsichtigt.
Israels Staatspräsident Isaac Herzog warnt nun vor einem „Umsturz“ in Israel, das Wort „Putsch“ ist vermehrt zu hören. Selbst, wenn es nicht so weit kommt: Gallants Entlassung allein reicht schon, um einen politischen Wandel in Israel einzuleiten: Denn Gallant war die einzige noch verbleibende Stimme in Netanjahus Regierung, die es wagte, den Radikalen etwas entgegen zu setzen. In Zukunft werden die Rechtsextremen noch stärker den Ton vorgeben. In Gaza wird so ein Waffenstillstands-Deal nun deutlich unwahrscheinlicher. Gallants Nachfolger Israel Katz ist anders als sein Vorgänger kein loyaler Armeegeneral mit politischem Amt, sondern Berufspolitiker, der zufällig Verteidigungsminister wurde – weil Netanjahu weiß, dass er auf ihn zählen kann.
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