Düsseldorf. Jeder vierte angehende Polizist scheitert spätestens an der Prüfung. So viele wie noch nie. Liegt es an der Ausbildung?

In NRW scheitern mehr angehende Polizistinnen und Polizisten an der Ausbildung als je zuvor. Nach Recherchen dieser Redaktion beendeten nur 1983 von 2674 Anwärterinnen und Anwärtern aus dem Jahrgang 2021 das Studium erfolgreich. Aus dem ersten auf 3000 Studierende vergrößerten Jahrgang aus dem Jahr 2023 sollen bis jetzt schon mehr als 170 wieder ausgestiegen sein, aus dem Jahrgang davor fast 500.

„Ein starkes Indiz, dass etwas mit der Ausbildung nicht stimmt“

Der NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, vermutet dahinter nicht nur falsche Vorstellungen vom Polizeiberuf, sondern auch Probleme mit der Ausbildung. „Wenn man 3000 Frauen und Männer einstellt und sich als Politik dafür feiern lässt, dann muss man auch eine  Ausbildung organisieren, die allen gerecht wird“, sagte er dieser Zeitung. „Eine Abbrecherquote von 25 Prozent ist ein starkes Indiz dafür, dass etwas mit der Ausbildung nicht stimmt. So etwas hatten wir noch nie.“

„Man muss sich die Enttäuschung der jungen Menschen und ihrer Familien vorstellen, wenn es am Ende mit dem Traumberuf doch nicht klappt“: Michael Mertens, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP.
„Man muss sich die Enttäuschung der jungen Menschen und ihrer Familien vorstellen, wenn es am Ende mit dem Traumberuf doch nicht klappt“: Michael Mertens, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Immer mehr Kommissaranwärterinnen und -anwärter fühlten sich nicht gut auf das vorbereitet, was später im Beruf auf sie zukomme, so Mertens. „Die Hochschule der Polizei ist, was Personal und Räume angeht, für 2500 Studierende in einem Jahrgang ausgelegt und nicht für 3000.“ Das Betreuungsverhältnis stimme nicht, die Kurse seien zu groß, der persönliche Kontakt zu den Lehrenden komme zu kurz. Weder die Hochschule noch das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP) noch die Polizeiwachen seien angemessen ausgestattet für so viele Berufsanfänger.

Innenminister Herbert Reul: „Wir reizen die Kapazitäten die wir haben, aus“

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) entgegnet, dass die Polizeiausbildung auch eine Art Bestenauslese sei.  „Wir wollen möglichst vielen Menschen, bei denen wir Talent und Potenzial sehen, die Chance geben bei der Polizei zu beginnen. Deshalb reizen wir die Kapazitäten, die wir haben, aus. Das heißt aber nicht, dass nachher jeder Anwärter Polizist wird. Die Leute müssen sich beweisen“, so Reul.

Dieser Job sei nicht wie jeder andere. Man müsse Leuten, die später mit Waffen herumlaufen und in Grundrechte eingreifen dürften, „ordentlich auf den Zahn fühlen“. Die Ausbildung bleibe anspruchsvoll. Das diene der inneren Sicherheit.

Maßnahmenbündel gegen die hohen „Ausbildungsverluste“

NRW  reagiere auf die hohen „Ausbildungsverluste“ erklärt das Innenministerium: Zu den Maßnahmen gehörten Repetitorien in allen Klausurfächern, zusätzliche kleine Lerngruppen, mehr Sport, Online-Rechtschreibkurse, mehr Studienberatung  und spezielle „Jahrgangsbetreuer“. Es gebe auch eine „Jokerregelung“. Damit ist ein zusätzlicher Prüfungsversuch in der Fachtheorie im Grundstudium gemeint.

Der Schwelmer Kriminologe Frank Kavelowski, früher selber lange im gehobenen Polizeidienst im Ruhrgebiet, wirbt dafür, sich vom Allround-Polizisten zu verabschieden: „Wenn jemand körperlich nicht olympiareif ist, aber sehr gut am PC, ist es bei einem leergefegten Ausbildungsmarkt ein Fehler, ihn in die Wüste zu schicken.“ Helfen würde es auch, in einem Fach eine 5 bis in den Abschluss zuzulassen. „Heute fliegen Leute raus, die überall gut sind, aber in einem Fach nicht. Ich würde mir wünschen, dass ein schwaches Fach erlaubt bleibt. Dadurch könnten wir mehr Leute retten.“ 

Herbert Reul
„Es wird nicht jeder Anwärter Polizist. Die Leute müssen sich beweisen“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). © DPA Images | Federico Gambarini

Vereidigungsfeier: Fliegt jede vierte Polizeimütze umsonst?

Die Vereidigung von angehenden Polizistinnen und Polizisten in der Kölner Lanxess-Arena ist eine bewegende Veranstaltung mit einem „Gänsehautmoment“: Rund 3000 Kommissaranwärterinnen und -anwärter warfen bei der letzten Feier im März – wie bei diesen feierlichen Anlässen üblich -- ihre Mützen in die Luft. Der Mützenwurf steht für Freude, Stolz, Aufbruch, Mitgliedschaft in der „Polizeifamilie“. Aber die Sache hat einen Haken: „Jede vierte Mütze fliegt umsonst“, sagt Michael Mertens, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. „Man muss sich die Enttäuschung der jungen Menschen und ihrer Familien vorstellen, wenn es am Ende mit dem Traumberuf doch nicht klappt.“

Manche scheinen keine richtige Vorstellung vom Polizeiberuf zu haben

„Große Sorge bereitet mir die Tatsache, dass die Zahl der Menschen, die aus persönlichen Gründen das Polizeistudium abbrechen, immer größer wird“, sagt Gewerkschafter Mertens. „Vielleicht sind sich einige angehenden Polizistinnen und Polizisten nicht darüber im Klaren, was es bedeutet, in diesem Beruf zu arbeiten, mit Wochenend- und Nachtarbeit. Nach dem ersten Praktikum werfen sie dann hin.“

Vorfahrt für die Kripo

Angesichts immer komplexerer Ermittlungsverfahren plant NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in der Polizeiausbildung wieder eine deutlich frühzeitigere kriminalistische Spezialisierung.

Ab Dezember 2025 soll der aktuelle Berufseinsteiger-Jahrgang beim Studium an der Polizei-Hochschule in seinem dritten und letzten Ausbildungsjahr erstmals zwischen den Schwerpunkten „Einsatz“ und „Ermittlungen“ wählen können. Ab 2026 wird sogar bereits im Bewerbungsverfahren abgefragt, in welchem Arbeitsbereich sich die dann neu eingestellten 3000 Kommissarsanwärter sehen.

Wer „Ermittlungen“ wählt, soll künftig bereits vor Studienbeginn eine Verwendungszusage für die Kriminalpolizei und eine regionale Standortgarantie erhalten. Es bleibt zwar dabei, dass jeder Polizist in NRW nach der Ausbildung zunächst ein Jahr im Wachdienst verbringen muss, um die oft raue Realität auf der Straße kennenzulernen. Berufsanfänger mit dem Interessengebiet „Ermittlungen“ gehen danach aber für mindestens drei Jahre zur Kripo. (tobi)

Mehr Einstellungen als je zuvor, aber auch mehr Abbrecher

Doch es scheint nicht nur an falschen Vorstellungen vom Dienst bei der Polizei zu liegen. NRW stellt inzwischen viel mehr Bewerberinnen und Bewerber ein als früher, was allgemein auf große Zustimmung stößt. Vor 20 Jahren wurden nur rund 500 Bewerberinnen und Bewerber im Jahr angenommen, später wurden es 1100. Viel zu wenige, um die personellen Lücken zu füllen. Heute sind es 3000. „Herausragend“ nennt Michael Mertens diese Zahl. Er kritisiert aber, dass die Ausbildung in der Polizeihochschule, im für das Training der Berufsanfänger zuständigen Landesamt LAFP und in den Polizeibehörden vor Ort nicht angepasst worden sei. Mehr Studierende benötigten mehr Lehrende und auch mehr Räume.

Fast 25 Prozent der Studierenden beendeten das Polizeistudium in NRW zuletzt nicht erfolgreich. In Duisburg, Düsseldorf und Gelsenkirchen soll diese Quote nach Informationen dieser Redaktion sogar überdurchschnittlich hoch gewesen sein.

Mehr zum Thema