Straßburg. Aufgewühlte Stimmung beim Auftritt von Ungarns Regierungschef im EU-Parlament. Was Orban fordert, was seine Kritiker befürchten.

Ein Auftritt des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban hat für heftige Emotionen im EU-Parlament gesorgt. „Sie sind nicht willkommen“, rief die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke Orban entgegen und fasste damit die Stimmung vieler Abgeordneter zusammen. „Dies ist das Haus der Demokratie, nicht der Korruption, der Lüge, des Populismus und autokratischen Regierens.“ Während Orbans Rede schwenkten sozialdemokratische Abgeordnete Schilder mit der Aufschrift „Demokraten gegen Autokraten“, nach seinem Auftritt sangen Parlamentarier aus dem linken Lager das antifaschistische Traditionslied „Bella Ciao“. Abgeordnete der Rechtsaußen-Fraktionen feierten Orban dagegen mit stehenden Ovationen.

Mit unbewegter Miene verfolgt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im EU-Parlament in Straßburg die Rede von Ungarns Premier Viktor Orban.
Mit unbewegter Miene verfolgt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im EU-Parlament in Straßburg die Rede von Ungarns Premier Viktor Orban. © dpa | Philipp von Ditfurth

Orban war vom Parlament in Straßburg einer festen Praxis folgend eingeladen worden, um die Schwerpunkte der laufenden ungarischen EU-Ratspräsidentschaft vorzustellen. Ärger war programmiert: Die Mehrheit der Abgeordneten wirft dem rechtspopulistischen Premier nicht nur Rechtsstaatsverstöße in Ungarn vor, sondern auch einen Missbrauch der noch bis Jahresende dauernden Ratspräsidentschaft für seine eigene politische Agenda. Als besonderes Ärgernis gilt Orbans sogenannte „Friedensmission“ zur Beendigung des Ukraine-Kriegs Anfang Juli nach Moskau, Peking und zu Donald Trump in den USA. Allerdings bemühte sich der rechtskonservative Regierungschef erkennbar, bei seiner Rede vergleichsweise wenig Angriffsfläche zu bieten.

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Orban forderte erneute einen grundsätzlichen Kurswechsel der Europäischen Union: „Lassen Sie uns Europa wieder groß machen“, bekräftigte er das offizielle Motto von Ungarns Ratspräsidentschaft. Er beklagte einen Verlust Europas an globaler Wettbewerbsfähigkeit, verlangte eine Stärkung der europäischen Verteidigungsanstrengungen und plädierte wegen des anhaltenden Migrationsdrucks für regelmäßige Gipfeltreffen der Schengen-Staaten. Der Premier beklagte, dass das europäische Asylsystem nicht funktioniere, und forderte als Konsequenz, die EU dürfe keine illegalen Migranten mehr einreisen lassen. Die Betroffenen müssten vielmehr in Asylzentren in Drittstaaten gebracht werden, wo über den Einlass in die EU entschieden werden solle – eine Forderung, die inzwischen von einer beträchtlichen Zahl anderer EU-Staaten geteilt wird.

Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Orban kritisierte auch die Abkopplung der EU von russischem Öl und Gas und warnte, die hohen Energiepreise gefährdeten das Wachstum in Europa. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ging auf die Rede nicht direkt ein, kritisierte vielmehr Orbans „Friedensmission“ und warf ihm vor, sein Land zur „Hintertür für ausländische Einmischung“ in Europa zu machen. Die chinesische Polizei dürfe in Ungarn operieren, russische Bürger ohne Sicherheitsprüfung ins Land einreisen, was ein Risiko für alle EU-Staaten darstelle. Von der Leyen kritisierte auch, dass die ungarische Regierung inzwischen Unternehmen aus dem europäischen Ausland benachteilige.

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Viele Abgeordneten beklagten massive Grundrechtsverstöße und Korruption in Ungarn, auf die die EU-Kommission bereits mit dem Einfrieren von aktuell über 20 Milliarden Euro an Fördergeldern reagiert hatte. EVP-Fraktionschef Manfred Weber sagte: „Korruption ist der Killer der Zukunft.“ Seine sozialdemokratische Kollegin Iratxe García Pérez warf Orban vor, er säe Hass zum Schaden der europäischen Gesellschaft. Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan meinte an Orbans Adresse: „Sie hätten den EU-Ratsvorsitz niemals übernehmen dürfen.“

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