Insel Riems. Auf der „Seucheninsel“ wird an gefährlichen Erregern geforscht. Im Kampf gegen die nächste Pandemie ist Riems wichtiger denn je.

Auf einer kleinen Insel in der Ostsee stehen sechs Alpakas auf einer Wiese. Hinter den Tieren glänzt das Wasser des Greifswalder Boddens in der Sonne, ein leichter Wind streicht durch die Bäume. Die Szene ist idyllisch. Nur der Stacheldraht, der das Ufer abschirmt, weist darauf hin, dass die Insel keine Touristendestination ist und die Tiere nicht in einem Streichelzoo leben.

Die Alpakas haben Glück. Sie stehen hier nur als Blutspender, weil sie sehr kleine Antikörperfragmente produzieren. An den allermeisten Tieren auf der Insel – rund 10.000, rechnet man die Zecken und Mücken in den Laboren mit – wird dagegen direkt geforscht. Riems, Hauptsitz des Friedrich-Loeffler-Instituts, ist das oberste deutsche Tierseuchenlabor. Und in seiner langen Geschichte war es vielleicht noch nie so wichtig wie jetzt. Denn der Mensch kommt den Tieren immer näher, und er bringt sich dabei selbst in Gefahr.

Seucheninsel Riems: Denkmal für Tausende tote Meerschweinchen

Gegründet wurde das Institut 1910 von seinem Namensgeber, dem Mediziner und Virologen Friedrich Loeffler. Der bekam damals von der preußischen Landesregierung den Auftrag, die Maul- und Klauenseuche zu untersuchen. Wer über den Damm fährt, der die Insel heute mit dem Festland verbindet, kommt vorbei an einem Denkmal für die Tausenden Meerschweinchen, die in den Experimenten auf der Suche nach einem Impfstoff damals ihr Leben verloren. Auf die Insel kommt aber nur, wer einen guten Grund hat – Riems ist Sperrgebiet.

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Doch am Institut wird längst nicht mehr nur an Krankheitserregern geforscht, die Nutz- und Wildtiere bedrohen. Große Teile der Arbeit drehen sich um Zoonosen – Krankheiten also, die zwischen Menschen und Tieren übertragen werden. Laut Weltgesundheitsorganisation sind 60 Prozent aller neu auftauchenden Infektionskrankheiten tierischen Ursprungs. Auch beim Coronavirus gilt es nach derzeitigem Wissensstand als wahrscheinlich, dass der Erreger ursprünglich aus dem Tierreich stammt.

„Wir sind ein Frühwarnsystem“, sagt Christa Kühn, seit vergangenem Jahr Präsidentin des Friedrich-Löffler-Instituts. Mit seinen Laboren, auch mit den Kontakten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in alle Welt habe das Institut die Möglichkeit, früh zu erkennen, wo sich möglicherweise neue Bedrohungen anbahnen.

60 Prozent aller neuen Infektionskrankheiten sind Zoonosen

Etwa bei H5N1: Vor einigen Monaten wurde bekannt, dass das Vogelgrippe-Virus, inzwischen weltweit verbreitet, in den USA nicht nur bei Rindern entdeckt wurde, sondern von dort auch in mehreren Fällen auf Menschen übergesprungen war. H5N1 gilt als einer jener Viren, die großes Potenzial haben, eine neue Pandemie auszulösen. Die Alarmglocken gingen an.

Und auf Riems begannen Forschende, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA, selbst Rinder anzustecken – um besser zu verstehen, wie das Virus sich in den Tieren vermehrt, wie schwer sie erkranken und wie sich der Erreger weiterverbreitet.

L4 Labor im Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit
Als die Vogelgrippe in den USA auf Kühe und dann auf Menschen übersprang, gingen in Riems die Alarmglocken an. © picture alliance / dpa | Stefan Sauer

Das Ergebnis war ein gemischtes Bild. Demnach kann auch der in Deutschland verbreitete Virenstamm Kühe krank machen. In den Eutern der infizierten Tiere führte das Virus zu schweren Symptomen, auch in der Milch wurden große Mengen der Viren gefunden. Eine systemische Ausbreitung im ganzen Körper aber blieb aus, ebenso wie eine Vermehrung der Viren in den Atemwegen der Tiere.

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Für solche Versuche sind sie auf der Insel ausgestattet wie an kaum einem anderen Ort auf der Welt. Riems ist eines von einer Handvoll von Tierseuchenlaboren mit dem Sicherheitslevel 4, die es weltweit gibt. Für Besucher ist dieser Teil des Labors nicht zugängig.

Geforscht wird an Nipah- und Hendra-Viren, Ebola, dem Marburg-Virus

Wer rein will, muss nicht nur in einem aufwendigen, halbstündigen Prozess mehrere Lagen Schutzkleidung anlegen, sondern auch jahrelang auf die entsprechende Qualifikation hinarbeiten. Maximal vier Stunden am Stück arbeiten die Forschenden im Hochsicherheitsbereich.

Von außen kann man die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachten, die in leuchtend gelben Schutzanzügen an den Mikroskopen stehen. Über Schläuche werden sie mit gefilterter Luft versorgt. Das Labor selbst steht unter Unterdruck, damit Luft einströmt, aber nur über die Hochleistungsfilter nach außen gelangen kann.

Hinter dickem Doppelglas werden hier einige der gefährlichsten Erreger der Welt untersucht: Nipah- und Hendra-Viren, Ebola, auch das Marburg-Virus, bei dem ein Verdachtsfall in Hamburg kürzlich für Aufsehen sorgte. Die Sterblichkeitsraten bei einer Infektion liegen bei manchen Erregern bei 90 Prozent.

West-Nil-Virus: Von Vögeln und Pferden zum Menschen

„Für die meisten dieser Viren haben wir keine Impfstoffe, keine Therapiemöglichkeiten“, sagt Thomas Hoenen, Leiter des Laborbereichs. Es gehe bei der Arbeit des FLI hauptsächlich darum, die Viren besser zu verstehen, um dann Heilungsmöglichkeiten zu entwickeln. „Man kann die Tierseuchen und die Humanseuchen nicht mehr getrennt voneinander betrachten“, sagt Hoenen. Deshalb sei es wichtig, die Arbeit des Instituts unter einem „One-Health-Gedanken“ zu betrachten.

One Health, das heißt, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt sind untrennbar verbunden. Und wo Tiere und Lebensräume unter Druck geraten, wirkt sich das bald auch auf Menschen aus – die rasant schwindende biologische Vielfalt und der Klimawandel befeuern die Ausbreitung von Krankheiten. Tiere, die Krankheiten übertragen, etwa bestimmte Mückenarten oder Zecken, breiten sich immer weiter nach Norden aus. Und sie bringen Erreger mit, die hier nie heimisch waren.

Institut
Mit dem Festland ist die Insel durch einen schmalen Damm verbunden. Riems ist Sperrgebiet. © picture alliance / ZB/euroluftbild.de | Martin Elsen

Das West-Nil-Virus zum Beispiel erreichte Deutschland im Hitzesommer 2018. Bei Menschen führt es zu grippeähnlichen Symptomen, in seltenen Fällen greift es auch das Gehirn an und kann dann bis zum Tod führen. Seit 2018 ist der Erreger in mehreren Bundesländern in Ost- und Norddeutschland heimisch geworden. Und er breitet sich weiter aus, sagt Ute Ziegler, die am FLI das Nationale Referenzlabor für die Krankheit leitet. Denn auch in diesem Jahr waren die klimatischen Bedingungen gut für die gemeine Stechmücke, die den Erreger überträgt.

„„Nicht erst starten, wenn eine mögliche Pandemie da ist.““

Christa Kühn
FLI-Präsidentin

Hauptwirte für das West-Nil-Virus sind Vögel, aber auch Pferde können erkranken und daran sterben. Gehen bei den Tieren die Infektionszahlen hoch, bedeutet das auch ein höheres Risiko für Menschen, sagt Ziegler. Zum einen, weil sie selbst durch Mückenstiche angesteckt werden können. Zum anderen, weil das Virus auch über Blut- und Organspenden weitergegeben werden kann. Bis Mitte September wurden in diesem Jahr 51 Fälle bei Vögeln festgestellt und 85 bei Pferden. Es gebe eine „akute Welle“, sagt Ziegler. Für Pferde gibt es Impfstoffe. Für Menschen bislang nicht.

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Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der kürzlich auf der Insel war, um sich über die Arbeit dort zu informieren, lobte den ganzheitlichen Ansatz des Instituts. Der One-Health-Gedanke, sagte er, sei dort „gelebte Praxis“.

Für FLI-Präsidentin Kühn ist das Teil der Rolle der Insel als Frühwarnsystem. „Nicht erst starten, wenn eine mögliche Pandemie da ist“, sagt sie, sondern vorausschauend forschen, das müsse das Ziel sein.