Berlin. Der Militärexperte über die Bedeutung des Gefangenenaustauschs und was möglich ist, wenn Putin und der Westen ähnliche Interessen haben.

Der Gefangenaustausch zeigt: Auf einmal geht was, wenn Russland und der Westen gemeinsame Interessen haben. Ob das jetzt auch die Chance auf Frieden in der Ukraine erhöhen kann, erklärt Militärexperte Carlo Masala im Interview.

US-Präsident Joe Biden nennt den Gefangenenaustausch einen Triumph der Demokratie. Welche Bedeutung hat er?

Carlo Masala: Es war ein groß angelegter Deal. Nicht nur amerikanische und deutsche Staatsbürger, sondern auch russische Oppositionelle sind aus den Gefängnissen entlassen und ausgeliefert worden. Es waren mehrere Länder involviert. Auch die Norweger haben einen russischen Attentäter ausgeliefert. Das ist schon relativ umfangreich und groß, aber es ist kein Triumph der Demokratie.

Zeigt dieser Austausch nicht, dass es gute Kontakte, Gesprächskanäle und Vermittler gibt? Macht das nicht auch Hoffnung auf ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs?

Nein, ich würde mit Blick auf den russischen Krieg in der Ukraine daraus nichts ableiten. Aber, und das geht im Geschrei von Sahra Wagenknecht und der AfD immer unter: Es gibt die ganze Zeit Kanäle, über die man über verschiedene Fragen mit den Russen redet. Sie sind mal offener, mal geschlossener. Es gab zu keiner Zeit einen kompletten Stopp der Kommunikation zwischen Russland und dem Westen. Wenn man sich den Gefangenen-Austausch zwischen Russland und der Ukraine anschaut, der regelmäßig stattfindet oder den Getreide-Deal, dann sieht man, das es durchaus in eng definierten Bereichen Einigung geben kann. Natürlich hatte Russland jetzt ein Interesse daran, seine Leute aus den Gefängnissen in Europa herauszubekommen. Und wir wollten unsere Leute nach Hause zu holen. Dann geht vieles. Aber mit Blick auf die größere Frage, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sind momentan keinerlei gemeinsame Interessen zwischen Moskau und Kiew zu erkennen.

Carlo Masala

Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.

Wächst jetzt der Druck auf den ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach einem solchen Deal, der zeigt, was möglich ist?

Der Druck auf Selenskyj wächst nicht durch den Gefangenenaustausch. Aber er wächst generell durch die Tatsache, dass der Westen nicht in der Lage ist, seine Waffen- und Munitionsproduktion massiv zu erhöhen. Er wächst, weil wir im dritten Kriegsjahr sind und unsere westlichen Gesellschaften keine Lust mehr auf diesen Krieg haben. Dazu kommt die Einschätzung, dass die Ukrainer nicht in der Lage sein werden, im Rahmen von Gegenoffensiven weitere Teile ihres eigenen Territoriums zurückzuerobern.

Professor Carlo Masala ist einer der wichtigsten Militärexperten in Deutschland.
Professor Carlo Masala ist einer der wichtigsten Militärexperten in Deutschland. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres

Hat sich der Westen durch den Gefangenenaustausch erpressbar gemacht?

Das ist eine schwierige Frage. Geiselaustausch ist nicht neu. Die meisten Ausgetauschten waren einfache Spione. Nur beim sogenannten Tiergarten-Mörder war die Sache anders. Wir haben mit diesem Austausch eines unserer Prinzipien verletzt – nämlich keine verurteilten Mörder auszuliefern. Aber daraus lässt sich nicht ableiten, dass wir jetzt dauerhaft erpressbar geworden sind. Derartige Entscheidungen werden von Fall zu Fall getroffen.

Muss man jetzt befürchten, dass es zu weiteren Festnahmen ausländischer Staatsbürger in Russland kommt?

Man sollte Journalisten und anderen Bundesbürgern dringend davon abraten, nach Russland zu reisen, weil man dort jederzeit festgenommen und als Erpressungsmasse benutzt werden kann. Das muss man sehr ernst nehmen. Russland ist nun mal ein totalitärer Staat. 

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Wer profitiert von diesem Gefangenendeal mehr – Russland oder der Westen?

Russland – definitiv. Der russische Präsident Putin gibt damit das Signal, dass sich der russische Staat um all jene kümmert, die in seinem Auftrag spionieren und morden.

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Der Tiergarten-Mörder Krassikow war Putin offenbar sehr wichtig. Er hat ihn im Vorfeld sogar in öffentlichen Gesprächen um Thema gemacht. Warum ist er so bedeutend?

Ich glaube, nicht speziell Krassikow war ihm wichtig, sondern das Signal, dass er damit gibt. Wenn man diese Leute in den westlichen Gefängnissen belässt, wenn man sich nicht um sie kümmert, wird man auf Dauer mit der Anwerbung von Spionen ein Problem bekommen. Diese Leute müssen sicher sein, dass der russische Staat sie herausholt, wenn etwas schiefgehen sollte.

Könnte das auch damit zu tun haben, dass Putin selbst ein Geheimdienstmann war?

Da kann man nur spekulieren, das möchte ich nicht tun.

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Ein Blick auf den anderen Krisenherd. Alle Welt rechnet nach der Beerdigung von Ismail Hanija, dem getöteten politischen Führer der Hama, mit einem Gegenschlag des Iran auf Israel. Droht da ein Flächenbrand?

Nichts deutet darauf hin, dass es einen Flächenbrand geben wird. Die Iraner haben angekündigt, dass sie reagieren werden. Vieles deutet auf eine koordinierte Aktion mit Drohnen und Raketen auf militärische Ziele in Israel. Das ist kein Flächenbrand. Entscheidend wird sein, wie Israel darauf reagiert. Werden sie – wie am 30. April – danach die Füße stillhalten? Oder werden sie ihrerseits wieder reagieren. Sollte das der Fall sein, könnte es zu einem Flächenbrand kommen. Danach sieht es aber derzeit eher nicht aus. Wenn bei solche einem Angriff jedoch Zivilisten ums Leben kommen sollten, dann wird es zu einer hochexplosiven Situation kommen.