Odessa. Dmytro Melnyk war 2016 bei den Paralympischen Spielen dabei. Heute kämpft der Ukrainer gegen Russland. Das Töten musste er erst lernen.
- Bei den Paralympischen Spielen 2016 trat Dmytro Melnyk für die Ukraine an
- Inzwischen kämpft er wieder für sein Land – allerdings an der Front
- Dort steuert er eine tödliche Waffe
An dieses eine Spiel kann sich Dmytro Melnyk erinnern, als wäre es gestern gewesen. 16. September 2016 im Riocenter im brasilianischen Rio de Janeiro. Ukraine gegen Deutschland. Es ist das Spiel um den fünften Platz im Sitz-Volleyball bei den paralympischen Spielen. Melnyk trägt die Rückennummer 13. Sein Team gewinnt nach Sätzen 3:1. „Das war ein tolles Spiel“, schwärmt er noch acht Jahre später. Er träumt davon, in Ende August in Paris bei den Paralympics dabei sein zu können. Aber er konnte in den vergangenen Monaten nicht so intensiv trainieren wie damals vor Brasilien. An der Front ist das nicht möglich. Seit einem Jahr kämpft Melnyk gegen die russischen Invasoren, die sein Land überfallen haben. Er steuert Drohnen in feindliche Ziele.
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Es ist ein heißer Juli-Tag in Odessa, der Hafenstadt am Schwarzen Meer im Süden der Ukraine. Dmytro Melnyk sitzt in Flecktarn-Uniform auf einer Bank am Rand eines Spielplatzes. Kinder spielen und lachen, der Krieg scheint in diesen Tagen weit weg von Odessa, die russischen Luftangriffe sind nicht mehr so heftig wie im Frühjahr. Melnyk ist seit einigen Tagen hier, er absolviert eine Offiziersausbildung. Vor kurzem war er noch bei Tschassiw Jar, einer der am heftigsten umkämpften Städte in der Region Donezk, wo die Russen an allen Frontabschnitten massiven Druck ausüben. Seine 23. Brigade hält den Angriffen stand, doch wie lange das noch geht, ist ungewiss. „Die Situation dort ist sehr hart“, sagt er. Es klingt merkwürdig, aber er hat lange dafür gekämpft, in die Schlacht ziehen zu können.
Melnyk, 45, ist ein sportlicher Mann. Breite Schultern, muskulöse Arme. Er läuft aber staksend, trippelt auf den Zehenspitzen. Das ist die Folge einer schweren Verletzung, die er mit 18 Jahren erlitten hat. Als er damals mit seinem Vater den Balkon ihrer Wohnung repariert, stürzt er aus dem sechsten Stockwerk ab, zwanzig Meter in die Tiefe. Wie durch ein Wunder überlebt er. Aber sein Becken ist zertrümmert, die Nerven in seinen Beinen sind beschädigt. An diesem verhängnisvollen Tag endet sein Traum von einer Karriere als Profiboxer. „Ich hatte sehr gehofft, wieder der Alte zu werden. Aber das hat leider nicht funktioniert“, sagt er lakonisch. Er arbeitet sich in ein anderes Leben zurück.
Melnyks Traum vom Profiboxer endet durch einen tragischen Unfall
„Ich wusste, ich muss wieder Sport machen.“ Ein Freund überredet ihn, Volleyball zu spielen. Schnell wird Melnyk Stammspieler in einem Team seiner Heimatstadt, in dem körperbehinderte Sportler wie er aktiv sind. 2001 wird er in die ukrainische Volleyball-Nationalmannschaft aufgenommen. 2016 erlebt bei den paralympischen Spielen den Höhepunkt seines Sportlerlebens. Der Sieg gegen die Deutschen bei dem Spiel um den fünften Platz, „das hat sich für mich angefühlt, als hätten wir Gold geholt“.
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Es sind Zeiten, in denen die ukrainischen Sportler gut befreundet mit den Sportlern des Nachbarlandes sind. „Wir hatten gute Beziehungen mit dem russischen Team, ihr Trainer hat uns sehr unterstützt.“ Als Putin 2014 die Krim annektiert und russische Truppen die Separatisten im Donbass anführen, ändert sich alles. Die Sportsfreunde entfremden sich von Jahr zu Jahr mehr voneinander.
Als die große russische Invasion im Februar 2022 beginnt, will sich Melnyk sofort freiwillig zum Dienst an der Waffe melden. In den Rekrutierungsbüros wird jedoch er abgelehnt. Er fasst sich ans Knie. „Sie wollten mich nicht wegen meiner Beine.“ Melnyk gibt nicht auf. Der Armeedienst wird für ihn zu einer Mission. Nach einem Jahr wird er schließlich genommen. In Kiew nimmt er an einer Grundausbildung teil, manche Offiziere machen abfällige Bemerkungen, das ärgert ihn. „Man musste da sehr viel laufen, das war natürlich sehr schwierig für mich.“ Er schafft es aber. Wieder hat er einen Sieg für sich erkämpft.
Dmytro Melnyk wurde wegen seines Handikaps beim Militär zuerst abgelehnt
Jetzt ist er als Drohnenpilot eingesetzt. Er steuert vor allem sogenannte FPV-Drohnen. Das sind kostengünstige Maschinen, die von den Soldaten mit Sprengstoff bestückt werden und dann als Kamikazedrohnen eingesetzt werden, um feindliche Ziele zu zerstören. Über eine Videobrille kann Melnyk sehen, was die Drohne sieht. Wenn seine Fluggeräte im Ziel explodieren, kann er vor dem Einschlag manchmal erkennen, wem er das Leben nimmt.
Melnyk sagt von sich, er sei gläubiger Christ. „Als ich das erste Mal getötet habe, war das sehr hart für mich. Ich habe lange mit mir gehadert.“ Aber die Russen hätten nun mal sein Land überfallen und bedrohten seine Familie. „Sie würden nicht sterben, wenn sie einfach zu Hause blieben, mit ihrer Mutter essen würden oder sich um ihre Familien kümmern würden.“ Auf seinen rechten Unterarm hat er einen Schutzengel tätowiert. Der Engel trägt ein Schwert. „Es war nicht ich, der als erster zur Waffe gegriffen hat“, steht darunter.
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Sein erster Kampfeinsatz ist im Mai 2023 in Staromaiorske an der westlichen Donezkfront. In den Kämpfen in jenem Frühjahr und Sommer können die ukrainischen Streitkräfte kleine Geländegewinne erzielen. Sie befreien besetzte Dörfer wie Staromaiorske, der Preis dafür ist aber hoch: Viele Männer in Melnyks Einheit sterben, noch viel mehr werden verletzt. „Wir haben mit unserem Blut bezahlt.“
Einsatz gegen Putin: Rund 3000 ukrainische Spitzensportler sind zur Armee gegangen
Melnyk unterstützt die, die verkrüppelt werden, ermutigt sie, Sport zu treiben. Durch den Krieg habe sich gesellschaftlich viel verändert in der Ukraine, sagt er. Früher hätte Körperbehinderungen und Sport nicht zusammengepasst. Jetzt, wo viele junge Männer in den ukrainischen Städten zu sehen sind, die Prothesen haben, hätten die Menschen ihre Einstellung verändert: „Man weiß, dass das Kämpfer sind.“
Melnyk ist einer von rund 3000 ukrainischen Spitzensportlern, die zur Armee gegangen sind. Über 460 sind nach Angaben des Sportministeriums bereits gefallen, unter ihnen der zweifache Europameister im Gewichtheben, Oleksandr Peleshenko, der am 5. Mai starb. Den Sport hat Melnyk auch im Krieg nicht aufgegeben. Es gibt an der Front aber wenig Gelegenheiten, zu trainieren. Er improvisiert, wirft seinen blau-gelben Volleyball gegen Häuserwände, nutzt provisorische Gewichte, spielt Pingpong mit Kameraden. „Ich versuche, mich irgendwie in Form zu bringen.“
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Er hofft inständig darauf, dass sein Team ihn mit zu den paralympischen Spielen nimmt, die am 28. August beginnen. „Ich werde sicherlich kein Spitzenspieler in meinem Team sein, aber ich kann es unterstützen.“ Die Entscheidung, ob er dabei ist, soll am 7. August fallen. Würde Dmytro Melnyk nach Paris fahren können, würde er wieder auf die Deutschen treffen. Sie sind der erste Gegner der Ukraine.