Berlin. Die UEFA gab, Politiker nahmen sie: 669 EM-Freikarten. An der parteiübergreifenden Mitnahme-Praxis regt sich Kritik. Alles nur Neid?

Einmal geht noch. Am Sonntag ist EM-Finale, England gegen Spanien. Ein Stelldichein der Promis: Prinz William hat sich angesagt, auch König Felipe – und wer noch? Von vielen Spielen während der Fußball-Europameisterschaft hätte man ihn glatt auf einem Wimmelbild suchen können: Wo ist Karl?

Karl, Karl Lauterbach: SPD-Politiker, Gesundheitsminister, Fußballfan, ein Mann mit preußischem Pflichtbewusstsein. Seine Repräsentationspflichten sind ihm heilig. Nur ein Spiel der deutschen Mannschaft hat er verpasst, das Halbfinale ließ er sich selbstredend auch nicht nehmen, beim Finale sollte er erst recht nicht fehlen.

Kein Dienst, sondern Spaß

Lauterbach steht für die vielen Politiker, die von der UEFA mit Freikarten bedacht wurden. Insgesamt sind es 669 Tickets, wie das Innenministerium bestätigte. Wie die Nationalmannschaft blieben auch sie unter ihren Möglichkeiten. Es hätten 700 Freikarten sein können, wenn die DFB-Elf es bis zum Finale geschafft hätte. Bundesregierung und Bundestag haben bei der Verteilung Halbe-Halbe gemacht.

Darum ist längst eine (Neid?)Debatte entbrannt. Es geht um Privilegien, geldwerte Vorteile, den Verdacht einer „Untreue“ und darum, ob Repräsentanz schon der Generalschlüssel ins Stadion sein kann. Als „schlicht abwegig“ bezeichnet der Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate gegenüber t-online die Argumentation des Innenministeriums, die kostenlosen Eintrittskarten würden im Zuge der Dienstausübung der Amts- und Mandatsträger genutzt.

Spaßfaktor: Lauterbachs Selfies

„Es liegt auf der Hand, dass die Empfänger solcher Karten nicht ins Stadion gehen, weil sie ihren Dienst ausüben, sondern weil sie Freude an der Beobachtung eines spannenden sportlichen Wettbewerbs haben“, sagte er. Sein Kronzeuge: Lauterbach. „Das zeigt sich beispielsweise auch an den Selfies und Texten, die Herr Lauterbach bei jedem Spielbesuch ins Netz twittert.“

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Es gibt im Kabinett Politiker, deren Teilnahme selbsterklärend ist: Innenminister Nancy Faeser (SPD) etwa ist auch für den Sport zuständig, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenminister Annalena Baerbock (Grünen) repräsentieren Deutschland. Baerbock war kein Weg zu kurz, wegen eines Fluges nach Frankfurt geriet sie während der EM in die negativen Schlagzeilen.

Die (Selbst)Kritik daran und erst recht an den Ehrenkarten hält sich in Grenzen. Wer sollte auch den ersten Stein werfen? Die Karten hat sich niemand nehmen lassen, von der AfD bis zu den Grünen, von Tino Chrupalla bis Omid Nouripour, die nebeneinander auf der Tribüne im Berliner Olympiastadion zu sehen waren.

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Tino Chrupalla (AfD, l) und Omid Nouripour (Die Grünen) bei der EM. © DPA Images | Michael Kappeler

Es gab über 20 Millionen Anfragen für insgesamt 2,7 Millionen Tickets. Politiker mussten nichts zahlen, vor allem nicht anstehen für ein Ticket wie normale Leute. Als Ausrichter eines so großen Turniers dürfte die UEFA ein Interesse daran haben, die Entscheidungsträger in Bundesregierung und Parlament bei Laune zu halten. „Das hat“, sagte Strafrechtsexperte Till Zimmermann t-online zur Vergabepraxis, „ein korruptives Geschmäckle.“

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