Berlin. Für die Ukraine gibt es größere Probleme als Munitionsmangel. Polen will mit einer Legion helfen. Wie freiwillig ist die Rekrutierung?

Ukraine-Krieg - Gebiet Donezk
Ukrainische Soldaten auf einer Panzerhaubitze. Viele sind zu alt und bräuchten Urlaub von der Front. Aber der Nachschub ist schwierig. © DPA Images | Evgeniy Maloletka

Alle reden von den fehlenden Waffen, von der Munitionsknappheit. Der Personalmangel ist womöglich das größere Problem der ukrainischen Armee. Polen will dem Nachbarn jetzt mit einer „ukrainischen Legion“ helfen.

Gemeint sind nicht ausländische Kämpfer, keine Fremdenlegion etwa; denn längst sind viele freiwillig in den Ukraine-Krieg gezogen. Vielmehr sind es Ukrainer, die sich angesprochen fühlen sollten.

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Nicht wenige haben schon vor dem russischen Überfall in Polen gelebt, mindestens eine Million. Viele sind danach geflohen, nicht zuletzt, weil sie sich bewusst nicht rekrutieren lassen wollten.

EU führt keine Deserteure oder Verweigerer zurück

Die Ukraine braucht dringend neue Soldaten und tut sich schwer mit der Rekrutierung; unter anderem eine Folge der Korruption. Ohne Not hätte das Parlament in Kiew im Mai wohl kaum beschlossen, Strafgefangene zum freiwilligen Militärdienst zuzulassen. Sowas kannte man bislang nur vom Kriegsgegner, von Russland.

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Trotz einer hohen Verlustrate haben die Russen inzwischen weniger Probleme. Ihre Soldaten werden angeworben, nicht mobilisiert. Der Sold lockt. Wer desertiert, riskiert die Versorgung der Familie. Außerdem: Wohin sollten sie fliehen? Da haben es die Ukrainer leichter. Ihnen steht Westeuropa offen.

Die Soldaten sind zu alt und vor allem müde

Die EU-Staaten stellen sich meist taub, wenn sie Wehrdienstverweigerer und mutmaßliche Deserteure ausliefern sollen. Das gilt auch für die Bundesregierung. Polen ist seit Langem die Ausnahme. Schon im April hatte die Regierung in Warschau beschlossen, bei der Rückführung ihrer wehrfähigen Männer zu „helfen“.

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Die künftige Legion soll in Polen gegründet, dort auch ausgebildet und ausgerüstet werden. Die Soldaten sollen sich nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj „freiwillig an der Verteidigung der Ukraine beteiligen.“ Ähnliches schwebt ihn für Litauen vor. Die drei Staaten haben eine gemeinsame Brigade. Verteidigungsminister Rustem Umerow rief in Kiew alle Ukrainer in Europa auf, „sich der Ukrainischen Legion anzuschließen“.

Die Ausbildung ist zeitraubend, aber essenziell

In der Ukraine gestaltet sich die Suche nicht immer einfach. Es kursieren Berichte über Zwangsmobilisierungen; über Menschen, die „von der Straße weg an die Front“ geschickt würden, wie die Neue Zürcher Zeitung titelte. Haben die Ukrainer wenigstens in Polen die Wahl, Nein zu sagen? Die Ansprache ist entscheidend. Niemand hat sie bisher darin gehindert, über die Grenze zu gehen und sich in der Heimat zum Dienst an der Waffe zu melden.

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Die Not der Ukraine hat zwei Aspekte: Quantität und Qualität. Dem Militärexperten Franz-Stefan Gady fällt bei Truppenbesuchen das wachsende Alter auf. „In manchen Einheiten ist das Durchschnittsalter eines Infanteristen 45 Jahre“, sagte er dem „Spiegel“. Es spricht viel dafür, dass die Soldaten erschöpft sind und Ruhepausen bräuchten.

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Für Gady ist die Personalnot das schwierigste Problem; zumal es nicht schnell gelöst werden kann. Es dauert Monate, bis die Soldaten ausgebildet werden; erst recht, wenn sie obendrein im Ausland trainiert werden.

600.000 Ukrainer in der EU

Nicht zufällig hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem Gedanken gespielt, Berater in die Ukraine zu entsenden. Diese frontnahe Ausbildung hätte viele Vorteile: Soldaten müssten nicht kreuz und quer durch Europa reisen. Vor allem könnte man Verbände flexibler und schneller verstärken.

Generell muss die Ausbildung höchsten Ansprüchen genügen. Wer Soldaten unvorbereitet in den Krieg schickt, riskiert höhere Verluste. Die setzen der Kampfmoral zu. Hinterher hat man es erst recht schwer, Leute zu finden.

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Noch delikater als die Qualität ist die Frage der Quantität. Weder kommuniziert die Ukraine verlässliche Zahlen über ihre Verluste noch über ihre Personalstärke. Der frühere Oberkommandierende Waleri Saluschnij hat sich Ende 2023 mal eine halbe Million neue Rekruten gewünscht. Sein Nachfolger Olexander Sirski teilte nur mit, dass sie „signifikant reduziert“ worden sei.

Putin „irregeführte“ Inder freilassen

Legt man Bevölkerungsstatistiken zugrunde, hätte die Ukraine gut zehn Millionen Männer im wehrfähigen Alter. Davon muss man alle abziehen, die schon in der Armee waren oder sind; ferner alle, die in den von den Russen besetzten Gebieten leben, die körperlich nicht infrage kommen oder auf anderen Feldern dringender gebraucht werden, etwa bei der Feuerwehr, im Gesundheitswesen oder bei der Strom- und Wasserversorgung.

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Das Schweigen der russischen Kriegsgefangenen

Im Krisenmodus

Selenskyj dürfte eine ganz andere Gruppe im Auge haben: Ukrainer, die sich im Ausland aufhalten, insbesondere in der EU. Es sollen mindestens 600.000 sein, ein Drittel davon in Deutschland, nicht weniger aber auch in Polen.

Kremlchef Wladimir Putin kann zwar auf einen größeren Pool und mehr Finanzmittel zurückgreifen, aber ein leichtes Unterfangen ist der stete Nachschub auch für ihn nicht. Als der indische Regierungschef Narendra Modi ihn diese Woche in Moskau besuchte, hatte er eine Bitte: Putin solle indische Staatsbürger freilassen, die „irregeführt“ worden seien. Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Inder von Menschenhändlern mit Drohungen und Versprechungen (angeblich 2000 Dollar im Monat) in die Streitkräfte gelockt werden. 

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