Berlin. Nationalspieler Merih Demiral wird nach seinem Wolfsgruß durch die Uefa gesperrt. Türkische Ultras starten einen brisanten Aufruf.
Nationalismus und Chauvinismus sind die hässlichen Begleiterscheinungen einer bisher friedlichen Europameisterschaft in Deutschland. Der umstrittene Jubel des türkischen Nationalspielers Merih Demiral im Achtelfinale gegen Österreich zeigt, dass Fußball oft auch für politische Statements missbraucht werden kann. Der sogenannte Wolfsgruß bringt Demiral nun offiziell eine Sperre durch die Uefa ein. Der Verteidiger verpasst damit das Viertelfinale am Samstag gegen die Niederlande und auch ein mögliches Halbfinale.
Bei politischen Botschaften auf dem Spielfeld reagiert die Uefa in der Regel prompt und kompromisslos. Wie die Reaktion des Fußballverbandes ausfallen wird, wenn türkische Fans auf den Rängen das umsetzen, was eine Ultra-Gruppierung nun fordert, verspricht spannend zu werden. Eine Ultra-Gruppierung hat nämlich Fans im Berliner Olympiastadion beim EM-Viertelfinale ihres Teams gegen die Niederlande zum Zeigen des Wolfsgrußes aufgefordert. Alle Anhänger auf der Tribüne seien eingeladen, die Geste während der Nationalhymne zu machen, heißt es in einem Aufruf auf der Plattform X.
Demiral zeigt sich nach Eklat ahnungslos
Wegen des Eklats um die Geste hatte es in den vergangenen Tagen auch auf der politischen Ebene heftigen Wirbel gegeben. Das türkische Außenministerium bezeichnete die Uefa-Untersuchung gegen Demiral als inakzeptabel. Die türkische Ultra-Gruppierung betonte, der Wolfsgruß sei nicht rassistisch zu verstehen, sondern „das nationale Symbol des Türkentums“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, nach Berlin kommen zu wollen, um die türkische Nationalmannschaft vor Ort im Olympiastadion zu unterstützen.
Demiral selbst zeigt sich vom Wirbel um seine Geste überrascht. Der 26-Jährige beteuerte, dass dahinter keine „versteckte Botschaft“ stecke. Er sei nur „sehr stolz, Türke zu sein“, erklärte Demiral. Dass er nicht weiß, dass der Wolfsgruß auch ein Erkennungszeichen der rechtsextremen Ülkücü-Bewegung aka Graue Wölfe ist, nimmt man Demiral nicht so recht ab.
Wie verhält es sich nun genau mit dem Wolfsgruß? Ganz so klar ist die Angelegenheit bei näherem Hinsehen nicht. Einerseits drückt er die Zugehörigkeit oder das Sympathisieren mit der Ülkücü-Bewegung und ihrer Ideologie aus. In der Türkei wird er etwa von der ultranationalistischen Partei MHP genutzt, die Partner der Regierung von Recep Tayyip Erdogan ist. Andere verweisen jedoch darauf, dass der Gruß zuletzt auch von Vertretern der politischen Mitte verwendet wurde, um Wähler aus nationalistischen Milieus anzusprechen. Ein Beispiel ist der damalige Erdogan-Herausforderer und Mitte-links-Politiker Kemal Kilicdaroglu im Präsidentschaftswahlkampf 2023.
Der Wolf als Motiv in türkischen Gründungsmythen
Zur Klärung lohnt ein Blick in den Bericht des Verfassungsschutzes, der die Grauen Wölfe beobachtet. Mit mehr als 18.000 Mitgliedern sind die „Bozkurtlar“ die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland. Der Graue Wolf ist zweifelsfrei ein wichtiges Erkennungszeichen der Szene. Ein Wolf prangt auch auf der linken Brust des ehemaligen deutschen Nationalspielers Mesut Özil, der sein Tattoo kurz nach dem Skandal um Demiral stolz auf Instagram präsentierte.
„Doch auch wenn das Zeigen des Wolfsgrußes ein Bekenntnis zur Ülkücü-Ideologie ist, muss nicht jeder Verwender dieses Grußes ein türkischer Rechtsextremist sein“, schreibt der Verfassungsschutz in eindeutiger Zweideutigkeit. Damit ist gemeint, dass es beim Wolfsgruß immer auch auf den Kontext ankommt. Denn in der Tat sei der Wolf ein uraltes Symbol der türkischen Mythologie, wie der Verfassungsschutz fortfährt. Der Legende nach habe ein Wolf die von Feinden bedrängten Vorfahren des türkischen Volkes aus ihrem Zufluchtsort im Tal Ergenekon herausgeführt, heißt es etwa im Ergenekon-Mythos. Und die Asena-Legende erzählt davon, wie die Wölfin Asena den Stammvater der Türken aus größter Gefahr rettete. Insofern kann der Wolfsgruß bei wohlwollender Auslegung als rein türkisches Bekenntnis ohne rechtsextreme Konnotation gelesen werden. Wie so oft im Leben ist eben vieles eine Frage der Interpretation. tok mit dpa