Berlin. Zu wenig Geld, zu wenig Personal: Die Probleme im Bildungssystem sind seit Jahren bekannt – und sie verschärfen sich durch Migration.
Ungerecht, ineffizient und trotzdem teuer: Die Kritik am deutschen Bildungssystem ist seit Jahrzehnten groß. Doch so heftig wie jetzt war der Druck noch nie. Grund ist die anhaltend hohe Zahl an geflüchteten Kindern bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht „Bildung in Deutschland 2024“, der von einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftlern erstellt und von der Kultusministerkonferenz und dem Bildungsministerium gefördert wird. Alle zwei Jahre gibt der seit 2006 erscheinende nationale Bildungsbericht einen Überblick über die Lage. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
„Das System arbeitet vielerorts bereits am Anschlag“, sagt Professor Kai Maaz, Sprecher der Studienautoren. Gerade der Fachkräftemangel sei ein zentrales Problem: Es gebe viel zu wenig Lehrkräfte, zu wenig Erzieherinnen und Erzieher. Aber auch die Digitalisierung gehe nur schleppend voran. Hinzu komme die Zuwanderung: Die hohe Zahl an Geflüchteten und Migranten im Schulsystem verstärke die soziale Ungleichheit.
Wie sehr wirken sich familiäres Umfeld und der Migrationshintergrund aus?
Über den Bildungserfolg entscheidet vor allem das Elternhaus und weniger die Schule, so eine alte Erkenntnis, die auch im aktuellen Bericht wieder bestätigt wird. Schon im Grundschulalter erreichen viele Kinder die Mindestanforderungen nicht. Für Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, liegt das am hohen Anteil von Kindern, die kaum oder gar nicht Deutsch sprechen. „Das überfordert die Kolleginnen und Kollegen“, sagte er dieser Redaktion. „Sie können schließlich kein Farsi und auch kein Ukrainisch. Wie sollen sie da unterrichten?“ Ihm sind ganze Klassen bekannt, die das Ziel am Ende des Schuljahres nicht erreichen.
Lesen Sie auch: Jugendliche ab 16 dürfen wählen – aber sind sie dafür bereit?
Zudem wirke sich der hohe Migrationsdruck auf den Schulalltag aus: „Je höher der Prozentsatz der Zugewanderten, desto schwieriger die Motivation in der Klasse“, sagt der Lehrerpräsident. Seine Befürchtung: „Es kann durchaus passieren, dass die Gruppe der Analphabeten größer wird“. Die Spätfolgen sind auch den Autoren des Berichts bewusst. Sie verweisen auf die schon jetzt hohe Zahl von gering qualifizierten Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, die weder eine Ausbildung abgeschlossen noch eine Hochschulreife haben. Auch der Anteil der Schulabbrecher ist nach leichter Erholung in den Corona-Jahren wieder gestiegen.
Wird genug in Bildung investiert?
Laut Bericht belief sich das Bildungsbudget aus öffentlicher und privater Hand auf rund 264 Milliarden Euro – ein Anstieg um 46 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Die Autoren betonen jedoch, dass der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum nur um 0,2 Prozent gestiegen ist – viel zu wenig, um den gestiegenen Bedarf zu decken, so die Forscher. Und egal, wie viel investiert und reformiert werde: „Das System hängt immer hinterher, weil ständig neue Aufgaben hinzukommen“, sagt Stefan Düll. „Es geht zu schnell.“
Verschärft sich der Fachkräftemangel in der Bildung?
Die Expertinnen und Experten sind sich einig: Es müssten viel mehr Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieher eingestellt werden. „Unterschiedliche Kinder brauchen individuelle Betreuung – was ein Schulsystem, das an der Grenze ist, nicht leisten kann“, sagt Dirk Heyartz, Vorsitzender des Bundeselternrats. Doch der Fachkräftemangel im Bildungsbereich ist besonders groß. Ohne Seiteneinsteiger kommen die Schulen schon jetzt nicht mehr aus.
So wurden 2023 wurden bereits zwölf Prozent der Lehrkräfte ohne das klassische Lehramtsstudium eingestellt. Auch in den Kitas und der beruflichen Bildung ist die Personaldecke dünn und wird trotz steigender Beschäftigungszahlen bis 2035 dünn bleiben, danach sorgen demografische Gründe für eine Entlastung. In den Berufsschulen ist die Hälfte der Lehrkräfte älter als 50, was die Lage in einigen Jahren ebenfalls verschärfen wird.
Wie ist der Stand der Digitalisierung?
Die Digitalisierung könnte den Fachkräftemangel abmildern, heißt es im Bericht. Doch das Potenzial bleibe oft ungenutzt. Ein Beispiel ist die individuelle Förderung von Schulkindern: Mit digitalen Unterrichtsmaterialien und Online-Programmen könnten Lehrerinnen und Lehrer entlastet werden. Zwei Drittel der Lehrkräfte erklären laut Bericht allerdings, dass sie sich in der Nutzung digitaler Medien noch fortbilden müssten. Diese mangelnde Kompetenz der Lehrkräfte kritisierte die Bundesschülerkonferenz. Auch die technische Ausstattung und Infrastruktur sei oft mangelhaft – gerade in strukturschwachen Gegenden. „Das muss sich ändern, damit die Lernenden in einer zunehmend digitalen Welt nicht abgehängt werden.“
Besser sieht es im Fort- und Weiterbildung von Erwachsenen aus: Hier werden digitale Medien selbstverständlicher genutzt. Jede dritte Weiterbildungsveranstaltung finde komplett online statt. „Bildungsprozesse müssen zudem vermehrt digital gestaltet und der Kulturwandel durch die Digitalisierung mitgedacht werden“, so Kai Maaz. Dabei dürfte jedoch nicht aus den Augen gelassen werden, dass sich dadurch aber auch neue Herausforderungen und Ungleichheiten ergeben könnten. Es hat eben nicht jeder das erforderliche iPad oder den Laptop.
Mehr zum Thema Bildung
- Bildung: Studie belegt – AfD-Wähler sprechen seltener mehrere Sprachen
- Jugendforscher: Politische Bildung? „Läuft über die Algorithmen von TikTok“
- Große Mehrheit unzufrieden mit Bildungspolitik und Schulen