„Es werden Kränze auf Gräber von Kriegsverbrechern gelegt“
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La Cambe. Am 6. Juni 1944 sterben auch Tausende deutsche Soldaten. Über ihre letzte Ruhestätte wacht Marie-Annick Wieder – zunehmend mit Sorge.
Gerade einmal 554 Einwohner hat La Cambe. Dennoch kommen jährlich 450.000 Besucher in den kleinen Ort in der Normandie, der nicht weit entfernt ist vom berühmten Omaha Beach. Dort startete am 6. Juni 1944 eine der größten und blutigsten Militäroperationen des Zweiten Weltkriegs. Noch heute liegen in La Cambe die Überreste von mehr als 21.000 gefallenen Wehrmachtssoldaten in einer der größten deutschen Kriegsgräberstätten in Frankreich. Marie-Annick Wieder ist seit 2014 Friedhofsverwalterin – und sie sieht kritisch, wie sich das Gedenken zum sogenannten D-Day verändert.
Frau Wieder, wer besucht den Friedhof heute noch – und aus welchen Motiven?
Marie-Annick Wieder: Zu uns kommen sehr viele historisch und thematisch interessierte Menschen aus ganz Europa, aber auch aus den USA und Kanada. Das Gedenken an den D-Day ist dort sehr präsent. Die Eintragungen in den Besucherbüchern zeigen, dass die Menschen von diesem Friedhof und vor allem von der Ausstellung berührt sind. In La Cambe gibt es auch einen von vier Friedensparks des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge, für den Bäume gespendet wurden. Die ganze Anlage beeindruckt viele Gäste.
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Kommen auch noch Angehörige von den hier begrabenen Soldaten nach La Cambe?
Das ist inzwischen eher selten der Fall. Dafür besuchen uns viele Schülerinnen und Schüler, weil die Landung der Alliierten im französischen Geschichtsunterricht behandelt wird.
Auf dem Friedhof in La Cambe liegen zahlreiche Angehörige der Waffen-SS. Welche Herausforderungen bringt das für die Leitung des Friedhofs mit sich?
Wir machen das transparent. In unserer Ausstellung präsentieren wir eine Auswahl von Biografien. Darunter sind deutsche Soldaten, die in La Cambe bestattet sind, aber auch Soldaten der alliierten Streitkräfte. Auf deutscher Seite verweisen wir zum Beispiel auf Adolf Diekmann.
Wer ist das?
Er war 1944 für das Massaker von Oradour-sur-Glane mitverantwortlich. Er ließ über 640 Zivilisten ermorden, darunter viele Kinder. Privat war er ein liebevoller Vater. Wie geht das zusammen? Diese Frage können wir nicht beantworten, aber sie soll Besucher zum Nachdenken bringen über das, wozu Menschen fähig sind.
Einige Besucher, die nach La Cambe kommen, scheint das wenig zu kümmern.
Wir registrieren bei manchen Besuchern ein Geschichtsverständnis, das wir sehr kritisch sehen. Manchmal werden Kränze auf den Gräbern von Kriegsverbrechern abgelegt. Wir entfernen diese dann – oder zumindest die Schleifen mit problematischen Texten. Das Gleiche gilt für Souvenirs wie Spielzeugpanzer und Mützen mit Eichenblättern. Aber das kommt glücklicherweise nicht so häufig vor.
Es ist davon auszugehen, dass immer noch die Überreste von deutschen Soldaten in der Normandie liegen. Gibt es Überlegungen, sie zu bergen – und wenn ja, wer würde das finanzieren? Wo könnten sie bestattet werden?
Die systematischen Exhumierungsarbeiten in Frankreich sind schon lange abgeschlossen. Wenn wir Zufallsfunde haben, werden sie meist in der Nähe des Fundortes auf einer Kriegsgräberstätte eingebettet. Der Volksbund übernimmt diese Arbeiten, gemeinsam mit der französischen Schwesterorganisation, der ONAC.
Bald werden die letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr unter uns sein. Zugleich ist in Europa mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine der Krieg zurück. Soldatenfriedhöfe wird es wohl auch in Zukunft geben – können sie unseren Umgang mit Krieg und Gewalt verändern?
Von Albert Schweitzer stammt das Zitat: Soldatenfriedhöfe sind die großen Prediger des Friedens. Wir würden uns das wünschen, denn wenn man diese „Jugendfriedhöfe“ sieht, sollte man darüber nachdenken, dass unter jedem Kreuz eine ganze Welt voller Hoffnungen begraben liegt. Viele Tote waren nicht einmal 20 Jahre alt.
Versöhnung ist ein großes Wort. Erleben Sie so etwas manchmal in La Cambe?
Manchmal bringen die Kriegsgräberstätten Menschen aus vormals verfeindeten Nationen zueinander und manchmal – immer seltener – kann man noch alte Veteranen sehen, die sich die Hand schütteln oder in den Armen liegen und weinen. Eine Episode, die mir in dem Zusammenhang einfällt, ist die mit einem deutschen Veteranen und dem Enkel eines kanadischen Soldaten, dessen Biografie in der Ausstellung zu sehen ist. Beide haben sich die Hände gegeben. Der Kanadier erzählte uns, dass seine Mutter ihn um dieses Zeichen der Versöhnung gebeten habe. Diese Szenen sind ergreifend.
Wie steht es um die Zukunft der Soldatenfriedhöfe?
Die Ausstellung in La Cambe informiert über Biografien von Toten, die dort liegen – einfache Soldaten, aber auch Kriegsverbrecher. Die Besucherinnen und Besucher sollen sich damit auseinandersetzen, dass dort Menschen liegen, die durch Gewalt ihr Leben verloren haben – egal, ob schuldig oder unschuldig. Und dass der Krieg keine Gnade kennt. Deshalb bringt der Volksbund in Workcamps junge Menschen zusammen, damit sie auf den Kriegsgräberstätten die Folgen von Krieg sehen können. Sie können sich austauschen, kennenlernen und auch Verständnis füreinander entwickeln. Und sie sollen lernen, dass der Frieden ein kostbares Gut ist, das es zu bewahren gilt.
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