Berlin. Die Jugend ist depressiv und rückt nach rechts, so das Ergebnis einer neuen Studie. Jugendforscher Schnetzer erklärt die Hintergründe.
Sie sind depressiv wie nie, immer öfter politisch am rechten oder rechtsextremen Rand eingestellt und suchen im Job ihren Vorteil: Die Generation Z ist wie keine andere Generation von den Krisen der Zeit gezeichnet, so das Ergebnis der Studie „Jugend in Deutschland 2024“. Einer der Autoren ist Jugendforscher Simon Schnetzer. Im Interview erklärt er, was die Haltung der Jugend für die Gesellschaft bedeutet und wie sich gegensteuern lässt.
Die Jugend will sich einbringen, aber zu ihren Bedingungen. Was bedeutet das für die Gesellschaft und das soziale Miteinander?
Simon Schnetzer: Am stärksten verändert sich die Arbeitswelt, das sehen wir bereits. Junge Menschen haben aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels einen Machthebel. Sie akzeptieren häufig die Konditionen nicht, sie sagen, das passt nicht zu meiner Lebensrealität – und setzen dann entsprechende Forderungen etwa nach Homeoffice, bezahlten Überstunden und mehr Flexibilität durch. Das soziale Miteinander wird schwieriger. Aktuell haben sehr viele junge Menschen das Gefühl, dass es finanziell nicht mehr reicht. 51 Prozent sind der Ansicht, Flüchtlinge würden besser behandelt als bedürftige Deutsche. Die Folge ist eine soziale Spaltung, die das Miteinander strapaziert. Junge Menschen haben oft das Gefühl, „uns geht es nicht gut“. Die Politik nimmt diese Gefühle und Bedürfnisse nicht wahr, kümmert sich nicht genug darum. Die Jugend reagiert darauf mit der Haltung: So kann es nicht weitergehen – und wendet sich vielfach der AfD zu. Wir erleben einen starken Rechtsruck. Wobei klar ist: Nicht alle, die AfD wählen wollen, sind rechte oder rechtsextreme Wähler, sondern oft enttäuschte Demokraten.
Die Generation Z wird oft als faul bezeichnet, der es um die persönliche Work-Life-Balance geht. Spiegelt das die Studie wider?
Es ist keine faule Generation. Wir haben ganz viele junge Menschen, die sich engagieren. 71 Prozent der Jungen arbeiten gerne, wollen sogar mehr arbeiten. Aber sie wollen auch eine andere Motivation. Und da liegt das gesellschaftliche Verständnisproblem. Jungen Menschen fehlt oft eine Vision, für die es sich lohnt, etwas zu leisten. Arbeite hart, dann kannst du dir ein gutes Leben leisten: An dieses Versprechen glauben die Jungen nicht mehr. Also verlagern sie das gute Leben, ihre Work-Life-Balance, ins Hier und Jetzt. Das Problem dahinter: Die angebliche Faulheit wird mit Demotivation verwechselt. Die Angst vor dem Zusammenbruch des Rentensystems ist nur ein Aspekt. Junge Menschen haben während der Pandemie erlebt, wie von einem Tag auf den anderen ihre Freiheit beschnitten wird. Sie erleben, dass das Geld nicht reicht, um eine Wohnung und ein Auto zu finanzieren. Sie trauen sich oft gar nicht mehr, länger als zwei oder drei Jahre zu planen.
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Was sind die großen Chancen, die sich aus der Studie ergeben?
In der Vergangenheit wurde versäumt, junge Menschen zu beteiligen. Aber wenn sie nur Statisten sind, können sie keine Krisenbewältigungskompetenz erwerben. Die Chance ist nun, dass sie gesellschaftlich und politisch beteiligt werden, das kann sie für eine gemeinsame Zukunft stärken. Für die Arbeitswelt bietet sich eine große Chance auf bessere Arbeitszeiten und mehr Rücksicht – und davon profitieren alle. Der große Unterschied der Generationen ist ja nicht, dass sie sich unterschiedliche Dinge wünschen. Vielmehr wird etwas, was sich alle wünschen, tatsächlich auch durchgesetzt.
Wo liegen die Gefahren?
Wir haben einen deutlichen Rechtsruck, die Gefahr, dass junge Menschen künftig verstärkt rechte Parteien wählen, ist groß. Außerdem könnten sie sich dem Arbeitsmarkt verweigern und nur so viel arbeiten, wie es ihnen passt, und nicht so viel, wie eine Volkswirtschaft braucht. Rechtspopulistische Stimmungen können überhandnehmen, außerdem könnte sich ein Lagerdenken zwischen Arm und Reich einnisten. Denn viele junge Menschen müssen verzichten und haben wenig Aussicht auf einen gewissen Wohlstand. Gleichzeitig ist die künftige Erbengeneration groß, es wird viele Menschen geben, die von finanzieller Belastung weniger betroffen sind.
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Allen fehlt das Gefühl, dass es aufwärtsgeht, dabei ist es leichter, ein Zusammengehörigkeitsgefühl in einem Aufwärtstrend als in einem Abwärtstrend zu entwickeln. Das hat ja auch der Bauernstreik gezeigt: Wenn der Kuchen kleiner wird, kommen die Verteilungskämpfe. Es ist zu erwarten, dass die Verteilungskämpfe zunehmen, wenn die finanziellen Mittel knapper werden.
Junge Leute bekommen immer mehr Verantwortung, so bei der Europawahl, bei der sie schon ab 16 Jahren wahlberechtigt sind. Ist das Bildungssystem darauf genügend abgestimmt?
Statt „Junge Menschen sind schon wahlberechtigt“ müsste die Klage lauten: „Junge Menschen sind meist noch nicht mal mit 16 wahlberechtigt“. Denn damit wird eine große Chance auf Beteiligung verspielt. Solange sie nicht wählen dürfen, sind sie für politische Bildung auch schwerer zu erreichen. Meine Forderung ist, ihnen das Wahlrecht mit spätestens 14 Jahren zu geben, damit junge Menschen sicher in der Schule informiert werden können. Denn da können wir sie noch erreichen. Mit dem Rechtsruck erleben wir jetzt, was passiert, wenn wir das nicht tun. Erstwähler informieren sich über Social Media, über Instagram und TikTok. Die Folge: Sie werden vor allem mit russischer oder antisemitischer Propaganda konfrontiert sowie klar rechtsextremen Beiträgen. Damit überlassen wir die politische Bildung den Algorithmen einer chinesischen Plattform, statt sie in der Schulzeit umfassend zu informieren.
Warum sind Populisten so erfolgreich auf Social Media?
Sie sind schon lange präsent, sie haben massiv investiert in Kampagnen. Sie haben gelernt, nicht einfach nur Botschaften rüberzubringen. Sie sind unterhaltsam, zugespitzt, und das verfängt. Irgendwann ist man im Algorithmus drin, und dann wird das immer wieder ausgespielt. Wenn die etablierten Parteien nun ihr Versäumnis aufholen wollen, dann brauchen sie eine mutige Vision, die sie bei den jungen Leuten rüberbringen.
Wie können Schule und Elternhaus die jungen Menschen unterstützen?
Klar ist: Wir brauchen mehr Medienkompetenz. Junge Menschen sind zum Teil überfordert. Je mehr Smartphone-Konsum sie haben, desto stärker sind sie psychisch belastet. Schule und Elternhaus müssen sie besser auf veränderte Zukunftsaussichten vorbereiten. Der Umgang mit Finanzen, dem knappen und teuren Wohnraum, die unklare wirtschaftliche Zukunft: Bei all diesen Fragen brauchen die jungen Menschen Unterstützung.
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