Berlin. Warum wurde der Attentäter von Solingen nicht abgeschoben? Für den Polizisten William Bobach sind Abschiebungen Alltag. Was er erlebt.

Geht nur mit Polizeieinsatz. Abschiebung eines Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle.
Geht nur mit Polizeieinsatz. Abschiebung eines Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Michael Kappeler

Geht es um Abschiebungen, ist Deutschland nicht konsequent genug: Das ist der Hauptvorwurf, der beim Umgang mit Flüchtlingen, die sich nicht legal in Deutschland aufhalten, gemacht wird. Auch Issa al H., der Attentäter von Solingen, hätte nicht mehr in Deutschland sein müssen. Schließlich ist nach geltendem EU-Recht Bulgarien für sein Asylverfahren zuständig, weil er dort nach seiner Flucht zum ersten Mal die EU betrat. Doch die Abschiebung scheiterte 2023.

Für William Bobach gehörten Abschiebungen allerdings zum Alltag. Der Bundespolizist ist „Personenbegleiter Luft“ – eine Tätigkeit, die er freiwillig im Nebenamt ausführt. Seine Aufgabe: Ausreisepflichtige am Flughafen von den Ausländerbehörden oder der Landespolizei in Empfang nehmen und außer Landes bringen. Ein Abschiebepolizist also.

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Abschiebepolizist bringt Ausreisepflichtige zurück in die Heimat

Auf die Frage, wohin er denn als Nächstes abschiebt, zückt William Bobach sein Handy. Sein Kalender ist gut gefüllt: „Nach Lagos. Später dann nach Belgrad und Baku“, so der Beauftragte der Jungen Polizei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Er steht auf dem Freilichthof des Münchner Flughafens. Dort, wo Reisende ein-, aus- oder umsteigen, ist für gewöhnlich Bobachs Arbeitsplatz. Doch mehrmals im Monat steigt auch er die Flugzeugtreppe hinauf. Im Schlepptau: Ausreisepflichtige, die er zurück in die Heimat bringt.

„Es müssten weit über 100 Flüge sein“, mutmaßt der Polizeihauptmeister. Die genaue Statistik hat er mittlerweile aufgegeben. Seit vier Jahren bildet er zudem seine Kolleginnen und Kollegen für Abschiebungen aus. So viele Ausbilder gebe es ja nicht. „Das zeigt natürlich, dass ich mich für das Thema Rückführungen interessiere.“

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Als „unmittelbar ausreisepflichtig“ mussten deutschlandweit in der ersten Jahreshälfte 2023 rund 54.300 Menschen eine Abschiebung fürchten, so die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken. In Anbetracht der fast 280.000 Ausreisepflichtigen ist das ein Bruchteil, da der Rest eine Duldung vorweisen kann. Laut Ausländerzentralregister befanden sich vor einem Jahr unter den unmittelbar Ausreisepflichtigen knapp 19.500 abgelehnte Asylbewerber. Hinzu kommen Menschen, die aus anderen Gründen ihren Aufenthalt verwirkt haben. So können ausländische Arbeiter, Studierende oder Touristen, deren Visum, Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis ausgelaufen ist, „unmittelbar ausreisepflichtig“ werden.

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Abschiebungen: Bobachs „krassester“ Flug ging nach Italien

Bobach ist in Sachsen geboren und wollte eigentlich Sport studieren. Seinen breiten Schultern sieht man seine Sportlichkeit an. Nach einer Verletzung entschied er sich aber für den „sicheren“ Weg und machte eine Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten. Sich an Regeln zu halten und Regeln für andere durchzusetzen – das passe zu ihm.

William Bobach am Flughafen von München. Der Gewerkschafter ist auch Bundespolizist und meldet sich mehrmals im Monat freiwillig für Abschiebungen.
William Bobach am Flughafen von München. Der Gewerkschafter ist auch Bundespolizist und meldet sich mehrmals im Monat freiwillig für Abschiebungen. © Theo Klein | Theo Klein

„Der krasseste und schlimmste Flug, den ich erlebt habe, war eine Rückführung nach Italien“, erinnert sich Bobach auf die Frage nach seinem eindringlichsten Erlebnis. „Da ging es um 17 Afrikaner, die schwerste Widerstände geleistet haben.“ Bereits im Bus seien sie gewalttätig gegenüber den Beamten geworden, hätten sich selbst verletzt, eingekotet und eingenässt. Später seien dann Flugzeugsitze auseinandergenommen worden. „Wenn mal einer ausrastet, okay. Aber dass alle 17 gleichzeitig Widerstand leisten, das war schon Wahnsinn.“

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Der Polizist setzt bei Spuckattacken dem Abschiebehäftling einen speziellen Helm auf

Dann gibt es noch diejenigen, die sich einkoten. Dreimal sei ihm das in der letzten Zeit passiert. „Die werden dann zurückgebracht, mit Wasser sauber gemacht, bekommen neue Klamotten – und dann versuchen wir es aufs Neue.“ Dass Ausreisepflichtige sich wehren oder sich selbst verletzen, um ihre Rückführung zu verhindern, komme regelmäßig vor. „Neuralgische Punkte sind an der Treppe beim Zustieg.“ Zudem wollten viele an Bord von Linienfliegern das Aufsehen der anderen Fluggäste erwecken, um den Abflug zu verhindern. Wenn er erzählt, klingt Bobach routiniert. Die Abschiebung von Menschen als Alltag.

Polizeibeamte begleiten 2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. 45 abgelehnte Asylbewerber wurden damals mit dem Sonderflug in Afghanistans Hauptstadt Kabul abgeschoben.
Polizeibeamte begleiten 2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. 45 abgelehnte Asylbewerber wurden damals mit dem Sonderflug in Afghanistans Hauptstadt Kabul abgeschoben. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Michael Kappeler

„Wenn dann Gewalt im Spiel ist, müssen wir die Rückkehrer mit einem speziellen Festhaltegurt oder anderen Fesslungsmitteln fixieren“, so Bobach. Oder aber eine Art Helm aufsetzen, um Spuckattacken oder Kopfstöße zu vermeiden. Das „Rumgeschreie“ müsse er dann einfach aushalten. Bei Linienflügen entscheide sich der Kapitän zwar oft gegen den Abflug, da den meisten der Festhaltegurt zu martialisch sei. Sammelflüge hingegen werden seltener abgebrochen.

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Der Einsatz im Ausland reizt den Bundespolizisten

Vor jedem Flug setzt sich Bobach mit der „Vita“ des Rückzuführenden auseinander. Er begleitet Menschen unterschiedlicher Backgrounds in verschiedene Teile der Erde. „Afrika habe ich, glaube ich, schon gänzlich gesehen“, so der 32-Jährige. In der ersten Jahreshälfte 2023 wurden aus Deutschland 7861 Menschen abgeschoben – vorwiegend nach Georgien, Nordmazedonien, Afghanistan, Albanien und in die Türkei. Für Polizisten wie Bobach geht es in die ganze Welt.

Bobach schwärmt von der Vielfältigkeit seines Jobs, bei dem er mit Kollegen eng im Team zusammenarbeitet und sich auch mit den Rückkehrern über die verschiedenen Kulturen austausche. „Die meisten Rückführungen verlaufen ja auch ganz okay“, sagt er. Er könne Small Talk über Hobbys oder Familie führen. „Ich begegne jedem gleich auf Augenhöhe“, das gehöre zu den Standards der Rückführungspraxis. Mehrmals erwähnt er den Vorfall von 1999, wo der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb bei einer Rückführung ums Leben kam. „Das darf einfach nicht noch mal passieren.“

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Beamte werden schnell in eine Ecke gedrängt

Zwangsläufig sei man in seinem „Business“ auch politisch interessiert, sagt er. Und auch wenn Beamte mit gewissen Haltungen schnell in eine Ecke gedrängt würden, könne er sich positionieren: „Natürlich sollte Deutschland, um die Wirtschaftlichkeit der Bundesrepublik zu erhalten, Rückführungen weiter durchführen – und wenn notwendig die Zahl erhöhen.“ Viel zu viele ausreisepflichtige Personen gebe es hierzulande. „In der Bundesrepublik Deutschland kann man sich meiner Meinung nach relativ viel erlauben, bis aufenthaltsbeendende Maßnahmen auferlegt werden.“ Es müsse völlig klar sein, dass Menschen, die Deutschland eher schaden als Gutes tun, das Land verlassen. Schließlich koste auch die JVA täglich Geld.

Abgesehen von der Tatsache, dass sie nicht freiwillig ausreisen, ist weniger als die Hälfte der Rückzuführenden mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Von Januar bis September 2023 wurden 799 Menschen vom Münchner Flughafen rückgeführt, teilte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen unserer Redaktion mit. 314 von ihnen waren rechtskräftig verurteilt. Das entspricht einer Quote von rund 40 Prozent.

William Bobach am Flughafen München. Dort übernimmt er Ausreisepflichtige und begleitet sie außer Landes.
William Bobach am Flughafen München. Dort übernimmt er Ausreisepflichtige und begleitet sie außer Landes. © Theo Klein | Theo Klein

Ob der Abschiebepolizist am Job zweifelt? „Ich bin ja nur das letzte Glied der Kette“

Zahlen, hinter denen sich auch immer individuelle Geschichten verstecken. Mit nach Hause nehme Bobach seine Erlebnisse aber nicht, sagt er. „Aber natürlich bin ich kein Roboter, den das alles kaltlässt – vor allem, wenn ich Kinder betreue.“ Mitunter waren sie noch nie in dem Herkunftsland ihrer Eltern. „Da würden mir ad hoc immer andere Fälle einfallen, die man prioritär behandeln sollte.“ 

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Ein Grund zum Zweifeln für den Bundespolizisten? Natürlich hinterfrage er diese Fälle. Doch gezweifelt habe er noch nie an seinem Job – schließlich würden die Entscheidungen ohnehin andere treffen. Wen er abschiebe, behandle er als neutralen Teil seines Aufgabengebietes. „Das obliegt ja nicht mir. Ich bin ja nur das letzte Glied der Kette.“