Berlin. Die Bürger spüren eine größer werdende Kluft zwischen den Worten und den Taten in der Politik – und das betrifft nicht nur die Regierung.

Drei Tage nach dem blutigen Anschlag auf das Bürgerfest von Solingen tobt eine politische Debatte und wir erleben einen Überbietungswettbewerb an Ideen, wie man dem Problem schwerkrimineller oder terroristischer Taten durch Asylbewerber Herr werden will. Das Problem ist: Bürgerinnen und Bürger erkennen eine immer größer werdende Kluft zwischen dem, was vollmundig angekündigt wird und dem, was in der Realität passiert.

Der Bundeskanzler, der versprochen hatte „wir müssen endlich im großen Stil abschieben“, hat bislang nicht geliefert. Seine kurze Rede am Tatort war sicher ehrlich gemeint, aber brachte in der Sache nichts Neues. Die Zahl der Abschiebungen, die Ländersache sind, bleibt trotz deutlichen Steigerungsraten gemessen an der absoluten Zahl abgelehnter Asylbewerber marginal. Das Scholz-Versprechen wird die SPD daher bei den Landtagswahlen am kommenden Wochenende brutal einholen, auch wenn im Fall von Solingen eine CDU-geführte Landesregierung betroffen ist.

Solingen: Der Fall ist szenetypisch für eine gescheiterte Abschiebepolitik

CDU-Chef Merz will das Problem mit einer Härte lösen, die spätestens vom Verfassungsgericht gestoppt wird. Ein genereller Asylstopp für einzelne Länder wie Afghanistan oder Syrien ist in unserer Verfassung nicht vorgesehen. Es ist schon ein abenteuerlicher Spagat, den die Konservativen bei diesem Thema hinlegen. Es war schließlich CDU-Chefin Angela Merkel, die als Bundeskanzlerin das Problem krimineller Migration erschreckend lange ignorierte und diese Laxheit wird durch unrealistische Vorstöße ihres Nachfolgers im Nachhinein nicht besser. Es sei denn, Merz organisiert die politische Mehrheit für eine entsprechende Grundgesetzänderung, was ohne die AfD – der Merz nicht die Hand reichen will – unmöglich sein wird.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion.
Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion. © Privat | Privat

Der Fall selbst ist nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen szenetypisch für eine gescheiterte Abschiebepolitik, egal ob von CDU oder SPD verantwortet. Ein einziger Versuch, den radikalisierten Syrer abzuschieben, ist daran gescheitert, dass der 26jährige nicht anwesend war. Es gab keine weiteren Versuche ihn zurück in das Erstaufnahmeland Bulgarien zu bringen und nach Ablauf der Überstellungsfrist musste er „subsidiären Schutz“ bekommen. Überhaupt gab es im vergangenen Jahr 74.622 deutsche Übernahmeersuche, unter anderem an Einreiseländer wie Bulgarien, aber tatsächlich wurden nur 5053 Migranten abgeschoben.

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Wenn die Justiz auf diesem Level weitermacht, kann der Kanzler sein Abschiebe-Versprechen einsammeln, will er sich nicht maximal unglaubwürdig machen. Und das Problem selbst wird größer, statt kleiner. Das Kanzlerwort wird erst einlösbar sein, wenn der Staat seine selbstgesetzten Standards auch entschlossen durchsetzt. Das heißt: Wenn er dafür sorgt, dass seine Gesetze eingehalten werden, auch wenn es anstrengend ist.

Diese Entschlossenheit des Staates kennen die Bürgerinnen und Bürger schon lange.  Wenn es um die Durchsetzung von Verordnungen oder das Eintreiben von Steuerforderungen geht, zeigt sich, wie hartnäckig der Staat seine Interessen durchsetzen kann. Es ist höchste Zeit, diese Entschlossenheit auch bei der Sicherung von Grenzen und bei der gesetzeskonformen Anwendung unseres großzügigen Asylrechts an den Tag zu legen.