Kabul. Die Bundesregierung kündigt vollmundig Abschiebungen von Straftätern an – notfalls über Usbekistan. Die Antwort fällt überraschend aus.
Das Gelände des afghanischen Außenministeriums im Kabuler Stadtteil Shahr-e Naw ist gut gesichert. Hohe Mauern, hinein geht es durch eine Schleuse. Ein Wächter in brauner Uniform, bewaffnet mit einem Sturmgewehr aus den USA, weist lässig den Weg zum Sitz des Außenministers Mawlawi Amir Khan Muttaqi. Ich bin hier, um zu erfahren, was die afghanische Regierung über die Abschiebepläne der deutschen Regierung denkt.
Nach dem Polizistenmord von Mannheim, begangen von einem afghanischen Flüchtling, gab sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang Juni entschlossen. Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder hätten in Deutschland nichts verloren. „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen“, tönte der Kanzler im Bundestag. Allerdings gestaltet sich das schwierig. Weder mit dem syrischen Assad-Regime noch mit der De-facto-Regierung der afghanischen Taliban gibt es offizielle Beziehungen.
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„Wir erwarten, dass eine Entscheidung im Einklang mit den internationalen Praktiken im Bereich der Migration getroffen wird“, sagt Abdul Qahar Balkhi, Sprecher des Außenministeriums in Kabul. Die Taliban sehen die Abschiebepläne der Bundesregierung als Chance, die diplomatische Isolation weiter aufzuweichen. Noch kein Land hat ihre Regierung anerkannt, Länder wie Katar, China oder Russland führen aber offizielle Gespräche mit ihnen. Ohne direkte Verhandlungen mit der deutschen Regierung werden sie sich nicht auf die Rücknahme afghanischer Staatsbürger einlassen – das macht auch der Außenminister deutlich.
Taliban fordern Sicherheitsüberprüfungen von Abschiebekandidaten
Amir Khan Muttaqi (53), ein Mann mit schwarzem Bart, schwarzem Turban, weißem Gewand, ist ein altgedienter Diplomat der Taliban. Während ihrer ersten Herrschaft war er ihr Repräsentant in den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen. Das halbstündige Gespräch mit ihm wird als privat deklariert, wörtlich zitiert werden darf nur, was sein Sprecher zu Protokoll gibt.
Die Taliban erwarten nicht nur die Öffnung direkter Gesprächskanäle, sie fordern auch, dass ihre Staatsbürger im Ausland wieder Zugang zu konsularischen Dienstleistungen wie Geburts- oder Heiratsurkunden „ohne Diskriminierung und Politisierung der Angelegenheit“ erhalten. Und sie drängen auf Sicherheitsüberprüfungen von Abschiebekandidaten.
Es müsse sichergestellt werden, betont Muttaqi, dass diejenigen, die nach Afghanistan zurückkehren, nicht von „Daesh“, dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) rekrutiert wurden oder unter anderen Voraussetzungen gefährlich werden können. Die radikalislamischen Taliban wollen sich keine Gefährder ins Land holen. Die IS-Filiale in Afghanistan ist der Erzfeind der Taliban.
Taliban mahnen Deutschland: Internationales Recht berücksichtigen
„Im Einklang mit den Wiener Konventionen und internationalen Gepflogenheiten sollte eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein, wie beispielsweise Sicherheitskontrollen oder Identitätsüberprüfungen, bevor ein Aufnahmeland Personen in ihr Herkunftsland zurückführt“, formuliert es Ministeriumssprecher Balkhi. Man erwarte, „dass jede von Deutschland getroffene Entscheidung internationales Recht, Konventionen und bewährte Praktiken berücksichtigt“.
Eine Dreiviertelstunde Fahrt vom Außenministerium entfernt liegt am Rande Kabuls das afghanische Flüchtlingsministerium, in dem Muhammad Arsala Kharutai zum Interview empfängt. Er ist der stellvertretende Flüchtlingsminister der Taliban. Kharutai sagt, man habe prinzipiell kein Problem mit der Rückführung afghanischer Staatsbürger aus Deutschland. „Aber es ist nicht akzeptabel, wenn alle Afghanen für die Verbrechen Einzelner verantwortlich gemacht werden.“
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Kharutai kennt die Kritik an der Diskriminierung von Frauen und Mädchen, denen unter den Taliban der Besuch von Universitäten und weiterführenden Schulen untersagt wird. Er dreht den Spieß um: „Die deutsche Regierung spricht oft über Menschenrechte und fordert sie ein. Der beste Weg, die Menschenrechte derjenigen zu wahren, die abgeschoben werden sollen, also dafür zu sorgen, dass sie sicher nach Afghanistan zurückkehren, ist, direkt mit der afghanischen Regierung zu sprechen.“
Taliban: „Drittstaatenlösung ist für uns nicht akzeptabel“
Überlegungen der Bundesregierung, afghanische Flüchtlinge nach Usbekistan abzuschieben, um sie von dort aus weiter nach Kabul zu transportieren, erteilt Kharutai eine klare Absage: „Eine Drittstaatenlösung ist für uns nicht akzeptabel.“ Die „Verfechter der Menschenrechte wie die deutsche Regierung“ sollten für die Flüchtlinge den einfachsten Weg suchen, sie zurück nach Afghanistan zu bringen. „Alles andere hieße, ihre Rechte nicht zu respektieren.“
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Unter den vom Westen unterstützten Vorgängerregierungen waren Folter und Misshandlungen in den Gefängnissen in Afghanistan an der Tagesordnung. Die Taliban haben bislang auf die Wiedereinführung von Körperstrafen wie der Amputation von Gliedmaßen verzichtet. Es gibt aber Berichte über öffentliche Auspeitschungen, zudem wurden in diesem Jahr bereits mindestens drei Männer wegen Mordes öffentlich hingerichtet.
Ob abgeschobenen afghanischen Straftätern in der alten Heimat Bestrafung, gar Folter oder die Hinrichtung drohe? Kharutai antwortet zurückhaltend: „Wenn sie zurückkommen, müsste erst bewiesen werden, ob sie tatsächlich ein Verbrechen begangen haben. Danach werden wir entscheiden, was wir mit ihnen machen.“ Grundsätzlich gilt für ihn: „Wer in Deutschland eine Straftat begeht, sollte in Deutschland dafür bestraft werden.“
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