Düsseldorf. SPD-Oppositionsführer Jochen Ott will Erklärungen von Ministerpräsident Hendrik Wüst(CDU): Warum macht NRW jetzt doch neue Schulden?
Der Haushaltsstreit um die von der Landesregierung überraschend angekündigte Neuverschuldung eskaliert. SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott (SPD) will NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk und Ministerpräsident Hendrik Wüst (beide CDU) am kommenden Montag in einer Sondersitzung des Landtags zu einer Erklärung zwingen.
Übrraschende Wende hin zu neuen Schulden: Wurde das Parlament missachtet?
„Es ist eine Missachtung des Parlamentes, wenn es nicht darüber informiert wird, dass das Land 1,2 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen will, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die glauben, sie können sich alles erlauben. Deshalb haben wir eine Sondersitzung beantragt, die wir mit unseren Stimmen auch herbeiführen können“, sagte Ott am Freitag. Mögliche Einsparerlasse und die Entscheidungsgrundlage für die geplante Schuldenaufnahme müssten dann auf den Tisch.
Die schwarz-grüne Landesregierung will, wie am Mittwoch bekannt wurde, erstmals nach Jahren der „schwarzen Null“ wieder neue Schulden in ihrem Kernhaushalt machen. Angesichts einbrechender Steuereinnahmen und gestiegener Zinsen wird Minister Optendrenk die so genannte Konjunkturkomponente der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse nutzen. Ein harter Sparkurs soll so vermieden werden.
Konjunkturkomponente: Ein legaler Haushaltstrick im Rahmen der Schuldenbremse
Mit diesem legalen Haushaltstrick dürfen in konjunkturell schlechten Zeiten ausnahmsweise begrenzt Kredite aufgenommen werden, die jedoch bei einer Belebung der wirtschaftlichen Lage sofort wieder zurückgezahlt werden müssen. Mehrere andere Bundesländer und der Bund hätten diesen Trick bereits bemüht, betont die NRW-Regierung.
Für das laufende Haushaltsjahr soll über einen Nachtragshaushalt eine Einnahme-Lücke von 1,2 Milliarden Euro durch Schulden ausgeglichen werden. Es heißt, für den Haushalt 2025 sollen weitere 1,3 Milliarden Euro im Rahmen der „Konjunkturkomponente“ aufgenommen werden.
Die SPD wirft Schwarz-Grün vor, das noch kurz zuvor gegebene Versprechen eines ausgeglichenen Haushaltes zu brechen, um liquide zu bleiben. „Mit diesen Schulden sollen Löcher im Etat gestopft werden. Das ist eine Finanzpolitik, um die eigene Haut zu retten“, sagte Ott. Er mutmaßt, dass insbesondere die grünen Ministerinnen und Minister unfähig seien, um in ihren Ressorts zu sparen.
Scharfe Kritik am Schuldenkurs von Schwarz-Grün kommt auch von den Liberalen. „Die Haushaltspolitik ist die Achillesferse der Koalition. Anstatt das Haushaltsloch von 1,2 Milliarden Euro selbstverständlich durch Einsparungen zu schließen, greift Finanzminister Optendrenk zu neuen Schulden – das ist unverantwortlich!“, sagte FDP-Landesvorsitzender Henning Höne in dieser Woche. Auch er reibt sich daran, dass die Regierung zuletzt zwar die Presse grob über ihre Pläne informiert habe, nicht aber den Landtag. „Die verdeckte Art und der eingeschränkte Empfängerkreis dieser Informationen zeugen von einem irritierenden Regierungs- und Medienverständnis“.
Die Union spricht von „inszenierter Empörung“ der Opposition
Aus der CDU-Landtagsfraktion hieß es am Freitag, die Kritik der Opposition sei „inszenierte Empörung“. NRW könne sich von der schwachen konjunkturellen Entwicklung in Deutschland nicht abkoppeln. Zudem belasteten bundespolitische Maßnahmen den NRW-Haushalt zusätzlich um vier Milliarden Euro in jedem Jahr. Vor diesem Hintergrund sei die Anwendung der Konjunkturkomponente, die in der Schuldenbremse verankert sei, „ein Akt des gesunden Menschenverstands“. Selbstverständlich werde ein Nachtragshaushalt im Parlament ausreichend diskutiert werden.
Wirtschaftliche Flaute drückt auch in NRW auf die Staatsfinanzen
Der Konjunkturmotor schwächelt in Deutschland und In NRW, die Wirtschaft wächst nicht so stark wie erhofft, die Zinsen sind gestiegen, und Firmen halten sich bei Investitionen zurück.
Das wirkt sich auch auf die Staatsfinanzen aus. NRW greift angesichts der jüngsten Steuerschätzung tief in jene Trickkiste, die die Schuldenbremse zulässt und greift erstmals auf die so genannte Konjunkturkomponente zurück. Das bedeutet, dass in konjunkturell schlechten Zeiten Kredite aufgenommen werden dürfen. Der Haken: Wenn es wieder besser läuft, müssen diese Schulden flugs wieder getilgt werden und belasten einen späteren Haushalt. Andere Bundesländer haben diesen Haushalts-Trick schon bemüht, der Bund sowieso.
2024 muss eine Lücke von 1,2 Milliarden Euro geschlossen werden
Für das laufende Haushaltsjahr 2024 wird nach Informationen aus der Landesregierung mit Steuermindereinnahmen von rund 1,2 Milliarden Euro und im Hashaltsjahr 2025 mit Steuermindereinnahmen von rund 1,3 Milliarden Euro gegenüber der Finanzplanung aus dem letzten Jahr gerechnet. Die Konjunkturkomponente soll diese Lücke füllen.
„Diese Auswirkungen der Steuerschätzung kompensiert Nordrhein-Westfalen durch die Inanspruchnahme der Konjunkturkomponente, die in der Schuldenbremse verankert ist. Sie wird über einen Nachtragshaushalt eingebracht“, sagte NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) am Mittwoch. 2025 soll die Konjunkturkomponente offenbar Teil der regulären Haushaltsaufstellung sein.
Die Landesregierung sieht in dieser Verschuldung die einzige Möglichkeit, um einen harten Sparkurs in den Ressorts zu vermeden. Dass es nach der jüngsten Steuerschätzung im Bund auf für NRW knüppeldick kommt, hatte Marcus Optendrenk zuvor bereits angedeutet.
Zwischen 2024 bis 2028 erwartet NRW Mindereinnahmen von 4,9 Milliarden Euro gegenüber der ursprünglichen Planung.
FDP-Landeschef Henning Höne nennt die Pläne „unverantwortlich“
„Ministerpräsident Hendrik Wüst und seine Regierung sind auf direktem Weg, NRW zum Schuldenland zu machen“, sagte NRW-FDP-Chef Henning Höne. Noch am 20. März habe der Finanzminister eine Schuldenaufnahme ausgeschlossen, so die Liberalen. Nun setze er sich die „Schuldenkrone“ auf. Die SPD-Opposition sprach schon am Mittwoch von „Pfusch am Haushalts-Bau“.
„Schwarz-Grün schlägt in der Finanzpolitik eine Kapriole nach der nächsten. Der vermaledeite Haushalt für das Jahr 2023, der aktuell noch vom Verfassungsgerichtshof geprüft wird, war da offenbar erst der Anfang“, teilte Alexander Baer, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, mit. Auch der Haushalt für das laufende Jahr scheine „ein Schuss in den Ofen zu werden“.