Düsseldorf. Der neue SPD-Fraktionschef Jochen Ott will den Ministerpräsidenten attackieren: „Hendrik Wüst kann mir nicht aus dem Weg gehen.“

Drei Wochen nach seiner Wahl zum SPD-Landtagsfraktionschef läuft sich Jochen Ott in seiner neuen Rolle als Oppositionsführer und Herausforderer des Ministerpräsidenten warm. In einer „Jahresbilanz“ aus SPD-Sicht zur Arbeit der Landesregierung sagte er am Dienstag, Schwarz Grün sei „eine Koalition der enttäuschten Hoffnung“.

SPD gegen CDU -- das ist im Moment wie David gegen Goliath

Die Ausgangslage ist für die Sozialdemokraten äußerst ungünstig. Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag dieser Zeitung kam die SPD vor wenigen Wochen bei der „Sonntagsfrage“ nur auf 20 Prozent, die CDU auf 38 Prozent. Die einst so stolze NRW-SPD hat im Moment nicht einmal eine richtige Parteispitze, während Hendrik Wüst (CDU) zusammen mit den Grünen seit zwölf Monaten relativ geräuschlos regiert, gerade erst von einem Magazin und einer Hochschule zum „Politiker des Jahres“ gekürt wurde und schon als möglicher Kanzlerkandidat der Union gehandelt wird.

"Der ambitionsloseste Ministerpräsident, den dieses Land bisher gesehen hat"

So, wie in den vergangenen Monaten -- also mit angezogener Handbremse –, kann die SPD ein Wettrennen gegen den smarten Hendrik Wüst nicht gewinnen. Das weiß der Kölner SPD-Mann Ott, und darum knöpft er sich den Konkurrenten von der CDU auf undiplomatische Weise vor: „Hendrik Wüst ist der ambitionsloseste Ministerpräsident, den dieses Land bisher gesehen hat“, behauptet er.

Während Otts Vorgänger an der Spitze der Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty, im Wahlkampf 2022 gegen Wüst betont staatsmännisch auftrat und im „TV-Duell“ vor der Landtagswahl jede Neigung zum Duellieren vermissen ließ, übt Ott gleich den offenen Angriff gegen Wüst inzwischen bei jeder Gelegenheit. „Er wird mir nicht aus dem Weg gehen können. Er muss davon ausgehen, dass wir jetzt in den Konflikt um die besten Ideen für dieses Land gehen wollen. Wer so agiert wie dieser Ministerpräsident, der hat Attacke mehr als verdient“, sagte der 49-Jährige am Dienstag bei einer Pressekonferenz.

Karikatur: "Instapräsident statt Ministerpräsident"

In einer Karikaturen- Broschüre mit dem Titel „Ein Jahr Schwarz-Grün in Bildern“ macht sich die SPD über die Arbeit der Landesregierung lustig. Vor fünf Jahren gab es schon mal ein ähnliches Heftchen. Damals sprach beißender Spott aus den Bildern, zum Beispiel jagte auf einer Zeichnung ein Schwein die damalige Landwirtschaftsministerin und Bäuerin Christina Schulze Föcking (CDU). Die Broschüre 2023 ist feiner gezeichnet und subtiler geschrieben, zielt aber unmittelbar auf Hendrik Wüst: Er ist hier gleich auf den ersten Seiten als „Instapräsident“ zu sehen, also als einer, der sich angeblich lieber in den sozialen Medien in Szene setzt als für das Land zu arbeiten.

„Wüst sorgt dafür, dass er schöne Fotos produziert. Er ist lieber ein Insta-Präsident als ein Ministerpräsident. Aber das reicht nicht“, witzelt Jochen Ott. Wüst rühme sich zwar des geräuschlosen Arbeitens, aber wer so wenig mache wie er, der könne auch nicht viele Fehler machen.

Weniger, dafür aber prägnantere Themen

Nach und nach kristallisiert sich heraus, wo Ott den Ministerpräsidenten stellen möchte. In den vergangenen Jahren ritten die Sozialdemokraten zwar viele Attacken gegen die Regierungen Laschet und Wüst, aber kaum eine blieb in Erinnerung. Jochen Ott will sich nun auf wenige Themen konzentrieren und dabei vor allem die „arbeitende Mitte“ umwerben.

Die Regierung Wüst stehe nicht Jedenfalls nicht für eine Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Familien, die sich wegen der hohen Mieten, steigenden Preisen und schwindenden Bildungschancen für ihre Kinder sorgten. Alle Vorschläge zur Entlastung der „arbeitenden Mitte“ lehre Schwarz-Grün konsequent ab, zum Beispiel die Abschaffung der Kita- und Ganztags-Gebühren und die kostenlose Verpflegung in Kitas und Schulen. Der Bildungsexperte und Lehrer Jochen Ott dürfte außerdem jede Gelegenheit nutzen, um die Schulpolitik von Ministerin Dorothee Feller (CDU) zu kritisieren.

Werbung für die Altschuldenlösung

Mit Nachdruck fordert der Oppositionsführer eine Altschuldenlösung für die armen Städte. Hendrik Wüst solle seien Einfluss auf CDU-Bundeschef Friedrich Merz nutzen, damit dieser im Bundestag die Blockade des Altschuldenfonds beende. Die Schulden-Städte seien inzwischen nicht mehr handlungsfähig, und darunter leide die Demokratie insgesamt. Die Menschen hätten nicht mehr den Eindruck, dass der Staat funktioniere, warteten monatelang auf einen Personalausweis, suchten vergeblich Kita-Plätze für ihre Kinder. Deshalb sei der Schuldenschnitt dringend erforderlich.

Der neue SPD-Fraktionschef drückt also auf die Tube und scheint nicht viel von einer politischen Sommerpause zu halten: „Ich habe mir fest vorgenommen, Schwarz und Grün aufzuwecken aus ihrem Schlaf.“

Was die SPD der Landesregierung vorwirft:

In ihrer Bilanz zu einem Jahr Schwarz-Grün spricht die SPD zum Beispiel von einem „absoluten Tiefpunkt“ beim Wohnungsbau. Vor allem in den Städten werde viel zu wenig gebaut, die Zahl der Sozialwohnungen sinke immer weiter.

NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) sei es nicht einmal gelungen, ihr selbst gestecktes Ziel von 34.500 Unterbringungs-Plätzen für Geflüchtete zu erreichen. Die rot-grüne Landesregierung habe auf dem Höhepunkt der vorherigen Flüchtlingskrise rund 85.000 Plätze organisieren können.

Schwarz-Grün ermögliche längst nicht so viele Windräder wie versprochen. 2022 seien nur 68 Anlagen dazugekommen, es müsste aber 200 im Jahr sein.

In NRW fehlten 6700 Lehrkräfte und im offenen Ganztag 200.000 Betreuungsplätze. Kein anderes Bundesland gebe so wenig Geld für Schülerinnen und Schüler aus. Jedes fünfte Grundschulkind könne nicht richtig lesen, jedes dritte Grundschulkind nicht richtig rechnen.