Düsseldorf. Jens Südekum ist einer der renommiertesten Kritiker der strengen Schuldenbremse. Der Top-Ökonom liefert SPD und Grünen Argumente.
Die NRW-SPD schmückt sich in letzter Zeit häufig mit einem der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland: Jens Südekum, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Düsseldorf, zählt zu den schärfsten Kritikern der strikten Schuldenbremse in Deutschland, ist also ein natürlicher Gegenspieler von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Der 48-Jährige wird oft in Talkshows und Nachrichtensendungen eingeladen. So einen Star an ihrer Seite kann die bisher recht unbekannte SPD-Landesparteispitze gut gebrauchen.
Schuldenbremse: Südekum liefert der SPD Argumente für die Finanzpolitik
Das Verhältnis zwischen der SPD und prominenten Wissenschaftlern ist mitunter schwierig. Gerade erst haben sozialdemokratische Professoren um den Historiker Heinrich August Winkler mit der Ukraine-Politik der SPD abgerechnet. Unvergessen ist vielen noch die Häme, mit der der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 den Juristen und Steuerexperten Paul Kirchhof (parteilos) überzog. Von Schröder als „Professor aus Heidelberg“ mit Hang zu sozialer Kälte verunglimpft, verschwand Kirchhof, der sich Hoffnung auf den Finanzminister-Posten in einem Kabinett Merkel machte, tief frustriert nach wenigen Wochen aus dem Berliner Politikbetrieb.
Jens Südekum, der Professor aus Düsseldorf, ist keiner, der sich schnell einschüchtern lässt. Neulich geriet die Talkshow von Caren Miosga streckenweise zum Duell zwischen dem smarten Forscher und Finanzminister Lindner. Der Liberale zog einige Register, um seinen Tischpartner zu verunsichern. „Sie haben jetzt gesprochen wie das SPD-Mitglied Südekum und nicht wie der Professor Südekum“, warf er ihm vor. Und dass er oft „parteipolitisch“ spreche und nicht für den Mainstream in seiner Wirtschaftswissenschaftler-Zunft. „Er hat versucht, mich als Wissenschaftler zu diskreditieren“, ärgerte sich Südekum anschließend. Der SPD gehöre er seit 27 Jahren an, und er schäme sich nicht dafür.
Muss die Schuldenbremse korrigiert werden?
Im Streit um Sinn und Unsinn einer Schuldenbremse bedient Südekum die Positionen von SPD und Grünen in der Ampel und die Sehnsucht der in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannten NRW-SPD-Spitze nach etwas mehr Glanz. Landtagsfraktionschef Jochen Ott bestritt mit ihm im März eine Pressekonferenz. vor wenigen Tagen war er Gast des NRW-SPD-Präsidiums im Johannes-Rau-Haus in Düsseldorf, kurz darauf half er SPD-Landesparteichef Achim Post und der Bielefelder Bundestagsabgeordneten Wiebke Esdar bei einer Pressekonferenz zum Thema Schuldenbremse.
Wofür steht der Volkswirtschaftler Südekum beim Thema Schuldenbremse? Er meint, sie sei „falsch, kontraproduktiv und eine echte Gefahr für den Aufschwung“, weil Deutschland durch sie Gefahr laufe, wegen fehlender Investitionen international abgehängt zu werden.
Schuldenbremse: Ist Christian Lindners Rat zu sparen noch zeitgemäß?
Damit steht er im direkten Gegensatz zur Haltung von Christian Lindner und seinen Liberalen. Der FDP-Chef hält die Schuldenbremse für ein „Gebot der ökonomischen Vernunft“, um Deutschland wirtschaftlich und finanziell stabil zu halten. Als Negativbeispiele für eine zu hohe Staatsverschuldung nennt er die USA, Frankreich und Italien. Der Internationale Währungsfonds warne davor, dass die Verschuldung auf der Welt außer Kontrolle geraten könne.
Zur Person: Wer ist Jens Südekum?
Jens Südekum ist Universitätsprofessor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. In seiner Forschung befasst er sich mit internationalem Handel, den Arbeitsmarkteffekten von Globalisierung und Digitalisierung, Fiskalpolitik, Staatsverschuldung sowie mit Stadtökonomik und Regionalpolitik in Zeiten des Strukturwandels.
Professor Südekum ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für
Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und Berater der Bundesregierung und verschiedener
Parteien zu wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen. Zudem war er als Berater für diverse
internationale Institutionen tätig, darunter die EU-Kommission, die OECD und die
Welthandelsorganisation (WTO). Er zählt zu den einflussreichsten Ökonomen in Deutschland.
Jens Südekum sagt dagegen, jetzt sei die Zeit gekommen für eine „echte Reform“ der Schuldenbremse. Deutschland investiere zu wenig in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Verteidigung. „Das alles gleichzeitig zu stemmen ist im Korsett der Schuldenbremse unmöglich“, glaubt er und versichert, dass Deutschland mit seinem strikten Sparkurs auf Unverständnis stoße in großen internationalen Organisationen wie der OECD und der Welthandelsorganisation WTO. Deutschland sei der kreditwürdigste Staat der Welt und dürfe die Korrektur der Schuldenbremse nicht auf die lange Bank schieben. Nicht erst nach der nächsten Bundestagswahl, sondern schon mit Blick auf den Bundeshaushalt 2025 müsse die Reform kommen.
Die FDP soll sogar verhindert haben dass Südekum in den exklusiven Kreis des Rates der „Wirtschaftsweisen“ aufsteigen konnte, also in das wichtigste Beratergremium der Bundesregierung. Mit einem Südekum, so die Befürchtung der Liberalen, könnte der traditionsreiche Rat „nach links“ kippen.
Schuldenbremse: Ist sie ein „Relikt vergangener Zeiten“?
Der Südekum’schen These, die Schuldenbremse sei eine „falsche Fiskalregel“ stimmt der Chef der NRW-SPD, Achim Post, zu. Die Schuldenbremse sei „in der jetzigen Form ein Relikt vergangener Zeiten, eine Wachstumsbremse und Investitionsbremse“, sagte er bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf, an der auch Jens Südekum teilnahm. „Man hat fast das Gefühl, Deutschland ist der Geisterfahrer in dieser Frage der Schuldenbremse“, sagte Post. Er kenne kein einziges vergleichbares Land, das dieses Instrument habe.
Eine Frage rund um Jens Südekum dürfte aber vorerst ungeklärt bleiben: Ist er mit dem früheren preußischen Finanzminister Albert Südekum (1871 – 1944) verwandt? Nicht nur der SPD-Bezug stimmt. Die Geburtsorte der beiden, Goslar und Wolfenbüttel, liegen nur 30 Kilometer Luftlinie auseinander. Aber Belege dafür gebe es auch nach intensiver Ahnenforschung nicht, erklärt der Professor aus Düsseldorf.
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