Berlin. Ist unser Leitungswasser wirklich so gesund? Die Chefin der Amtsärzte sagt, worauf Sie achten sollten – und welche Gefahren lauern.

Kristina Böhm war viele Jahre als Sanitätsoffizierin bei der Bundeswehr, jetzt ist sie Amtsärztin in Potsdam und Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Ein Gespräch über die Qualität unseres Leitungswassers, Dürreperioden – und auf welche Szenarien wir uns im Sommer einstellen müssen.

Den ersten Teil des Interviews lesen Sie hier: Wir müssen uns für einen Wasser-Notfall wappnen

Wie viel Wasser sollte man jeden Tag trinken?

Kristina Böhm: Zwei Liter – mindestens. Wenn es wärmer wird oder wenn man Sport macht, muss es definitiv mehr sein. Man kann das leicht selbst testen: Wenn man eine trockene Zunge hat oder wenn der Urin nicht mehr hell ist, muss man mehr trinken. Im Sommer sollte man nie ohne Trinkflasche das Haus verlassen.

Kann man auch zu viel Wasser trinken?

Ja. Das sind aber extrem seltene Fälle. Es gibt sogar das Phänomen der Wasservergiftung. Aber dazu muss man in sehr, sehr kurzer Zeit extrem viel Wasser trinken. Ab einer Menge von sieben bis zehn Litern kann es zu einer gefährlichen Elektrolytverschiebung im Körper kommen.

Brauchen wir mehr Trinkwasserbrunnen in den Innenstädten?

Jeder muss im öffentlichen Raum Zugang zu hochwertigem Trinkwasser haben – das ist seit Anfang 2023 gesetzlich geregelt. Die Kommunen sind also verpflichtet, rund um die Uhr zugängliche Wasserspender aufzustellen. In der Praxis ist das noch längst nicht angekommen.

Kann man überall in Deutschland bedenkenlos aus der Leitung trinken?

Das kann man. Deutschland gehört zu den Ländern, die die europäische Trinkwasserverordnung sehr diszipliniert umsetzen.

Ist der starke Kalkgehalt im Wasser einiger Regionen ein Problem für den Körper?

Nein. Das ist völlig unproblematisch.

Kristina Böhm erklärt, in welchem Fall wir mit steigenden Wasserpreisen rechnen müssen.
Kristina Böhm erklärt, in welchem Fall wir mit steigenden Wasserpreisen rechnen müssen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Woran erkennt man mangelhaftes Leitungswasser?

Am Geschmack und an der Färbung. Wasser muss klar sein und geschmacksneutral. Wenn man das Wasser in ein weißes Waschbecken laufen lässt, kann man gut erkennen, ob es klar ist.

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Worauf muss man bei den Wasserleitungen achten?

In jeder Wasserleitung bildet sich mit der Zeit ein Biofilm. Das ist völlig unbedenklich, solange das Wasser regelmäßig durchfließt. Wenn es länger als 72 Stunden keinen Durchfluss gab, etwa weil man verreist war, sollte man erst mal für ein paar Minuten den Hahn aufdrehen, bevor man das Wasser nutzt. Wenn man Babynahrung zubereitet, sollte man Wasser, das länger als vier Stunden in der Leitung stand, erst ablaufen lassen.

Wie kann man im Ausland herausfinden, ob man das Leitungswasser trinken kann?

Alle europäischen Staaten unterliegen der Trinkwasserverordnung, im Prinzip können Sie in Europa überall das Wasser aus dem Hahn trinken. In Südeuropa wird allerdings oft Chlor zugesetzt, um es zu desinfizieren. Das ist Geschmackssache, gesundheitsschädlich ist das aber nicht.

Kann man sich darauf verlassen, dass sich alle in Europa an die Regeln halten?

(lacht) Wenn man sich unsicher ist, sollte man besser abgepacktes Wasser trinken.

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Ist das deutsche Leitungswasser gesünder als Mineralwasser?

Tatsächlich ist das Trinkwasser in Deutschland das am besten untersuchte und kontrollierte Lebensmittel, das wir haben. Bei Mineralwasser aus der Flasche gibt es dagegen manchmal Probleme mit dem Mineralstoffgehalt. In manchen Produkten fehlen wichtige Mineralstoffe, in anderen sind die Mengen zu hoch für den individuellen Bedarf.

Viele haben Angst vor Rückständen von Antibiotika oder Schmerzmitteln im Trinkwasser. Zu Recht?

Das Problem wird größer. Wir messen regelmäßig solche Rückstände von Medikamenten. Das liegt auch daran, dass viele ihre abgelaufenen oder nicht mehr benötigten Arzneimittel über die Toilette entsorgen. Dazu kommen immer mehr Antibiotika aus den Ställen, die ins Abwasser gelangen. Die Klärwerke kommen hier an ihre Grenzen: Die Rückstände von Medikamenten sind so klein, dass man enorm filtern müsste, was wiederum das Wasser enorm teuer machen würde. Im Moment wird deswegen nur so weit gefiltert, dass die Medikamentenreste keine Wirkung mehr haben.

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Wird der Wasserpreis weiter steigen?

Wir sind in Deutschland abhängig von unserem Grundwasser. Wenn es weniger wird oder die Reinigung immer teurer wird, muss man mit steigenden Preisen rechnen.

Laut einer Studie werden in Mitteleuropa Dürre und Hitze vermehrt in Kombination auftreten.
Laut einer Studie werden in Mitteleuropa Dürre und Hitze vermehrt in Kombination auftreten. © Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa | Unbekannt

In einigen Regionen in Deutschland wird das Wasser jetzt schon knapp. Wie lange gibt es noch Trinkwasser?

Deutschland ist im weltweiten Vergleich in einer sehr luxuriösen Lage. Wir haben viel Grundwasser und auch viel Oberflächenwasser in Seen und Flüssen. In vielen Regionen leidet die Grundwasserreserve aber seit einigen Jahren massiv. In trockenen Sommern sinken die Pegel oft so stark, dass das Wasser nicht mehr für alles reicht. Wir hatten ja schon Wasserverbote für Pools oder Rasensprenger.

Trockenheit, sinkende Grundwasserpegel – wo stehen wir in zehn Jahren, wenn sich nichts ändert?

Das könnte dazu führen, dass wir nicht nur in der Hitzephase, sondern ganzjährig mit Einschränkungen rechnen müssen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Bewässerung von Gärten und Grünanlagen komplett eingestellt werden muss. würden dann auch nicht mehr arbeiten können. In einem nächsten Schritt könnten dann auch temporäre Wassersperrungen nötig werden.

Ob der eigene Garten bei der Hitze noch bewässert werden darf, entscheiden die Kommunen.
Ob der eigene Garten bei der Hitze noch bewässert werden darf, entscheiden die Kommunen. © dpa | Julian Stratenschulte

Wird es in diesem Sommer wieder zu Verboten kommen?

Ich fürchte, dass es dieses Jahr wieder zu längeren Hitzephasen kommt, wir hatten Ende März bereits hochsommerliche Tage mit 29 Grad. Wir müssen deswegen damit rechnen, dass es auch wieder zu Bewässerungsverboten kommt.

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