Düssekdorf. Nach ihrer historischen Niederlage 2022 ist die NRW-SPD laut dem „NRW-Check“ weiter im Sinkflug. Dafür gibt es drei Hauptgründe.

Wäre die Fallhöhe nicht so groß, würde man nicht so genau hinschauen. Aber die SPD, die Nordrhein-Westfalen über Jahrzehnte geprägt und große Landespolitikerinnen und -politiker hervorgebracht hat, bei 16 Prozent? Was läuft da schief?

Laut dem „NRW“-Check“ -- der großen Wahlumfrage der Tageszeitungen in NRW -- erfeut sich die schwarz-grüne Landesregierung zunehmender Beliebtheit, die SPD aber rutscht nach ihrer herben Wahlniederlage 2022 noch tiefer in den Keller.

Der Fraktionsvorsitzende ist voller Temperament, aber kaum jemand in NRW kennt ihn

Jochen Ott, SPD-Oppositionsführer im Landtag, ist ein fröhlicher, extrovertierter Mensch. Der Kölner schunkelt sich durch den Karneval, hüllt sich gern in seine grelle Lieblingsmotto-Farbe („Die Zukunft ist pink“) und verspottet den Ministerpräsidenten: „Von Berlin aus mag Hendrik Wüst groß aussehen, aber er ist nur ein Scheinriese.“ Im Vergleich zu seinem leisen Vorgänger Thomas Kutschaty ist Ott ein Temperamentsbündel. Nur profitiert er bisher nicht davon. 96 Prozent der im „NRW-Check“ der Tageszeitungen befragten Bürger kennen ihn gar nicht.

Temperamentvoll und angriffslustig, aber in NRW noch nicht bekannt: Jochen Ott aus Köln führt die SPD-Landtagsfraktion.
Temperamentvoll und angriffslustig, aber in NRW noch nicht bekannt: Jochen Ott aus Köln führt die SPD-Landtagsfraktion. © dpa | Rolf Vennenbernd

„Ott macht im Landtag eine ordentliche Oppositionsarbeit. Er ist pointiert, spitzt zu, greift an. Aber der Landtag ist eine relativ kleine Bühne, auf die die breite Öffentlichkeit nicht schaut“, erklärt Prof. Stefan Marschall, Politikwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Es wirkt befremdlich, wie wenig die Sicht der NRW-SPD auf sich selbst zum anhaltenden Liebesentzug der Wählerinnen und Wähler passt. „Mehr Einigkeit war noch nie. Wir sind eine Team-Partei“, behauptet Landesparteichefin Sarah Philipp. Ihr Co-Vorsitzender, der Bundestagsabgeordnete Achim Post wähnt die NRW-SPD wieder „auf dem Platz“. Generalsekretär Frederic Cordes sagt, es gebe jetzt nur noch eine SPD im Land. Das soll heißen, dass sich Sozialdemokraten in Bund, Land und Städten nicht mehr wie früher ständig streiten. Das mag so sein. Attraktiv macht sie das noch lange nicht.

Die Ergebnisse des „NRW-Checks“

Eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl in NRW steigt die schwarz-grüne Landesregierung weiter in der Gunst der Wählerinnen und Wähler. Mit 47 Prozent ist die Zufriedenheit in der Bevölkerung nach bald zweijähriger Regierungszeit deutlich größer geworden als noch im Juni 2023. Damals zeigten sich nur 38 Prozent mit der Arbeit von Schwarz-Grün zufrieden. Einer profitiert besonders: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist auf seinem bisherigen persönlichen Beliebtheits-Hoch angekommen. Derzeit sind 53 Prozent der Menschen in NRW mit seiner Arbeit zufrieden. Im Juni 2023 waren es noch 50 Prozent. Gestartet war Wüst im Dezember 2021 mit 30 Prozent.
Das geht aus dem aktuellen „NRW-Check“ hervor. Dabei handelt es sich um eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von 38 Tageszeitungen aus Nordrhein-Westfalen. 1502 Wahlberechtigte über 18 Jahre aus NRW wurden dafür befragt.
Würde der Düsseldorfer Landtag schon am Sonntag gewählt, könnte die CDU mit 37 Prozent rechnen. Die Grünen würden mit 16 Prozent schwächer abschneiden als bei der Landtagswahl 2022 (18,2 Prozent). Ebenfalls auf 16 Prozent käme die SPD. Die AfD könnte laut der Forsa-Umfrage mit 13 Prozent rechnen. Die FDP (4), die Linke (2) und das Bündnis-Sarah-Wagenknecht (4) würden an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Neben den Langzeit-Problemen der SPD wie dem Wegbrechen der klassischen Klientel aus der Industrie-Arbeitnehmerschaft und einer gewissen Entfremdung in Sprache, Themenauswahl und Auftritt von den Alltagssorgen normaler Bürgerinnen und Bürger drücken drei Umstände die einst stolze Partei nach unten.

Nachteil eins: Die „Ampel“ reißt die SPD in NRW gleich mit runter

Erstens leidet die SPD an Rhein und Ruhr unter dem für die Ampel so schmerzhaften Bundes-Trend. „Oft spiegelt sich in Landesumfragen die Stimmung im Bund, und dort läuft es für die SPD nicht gut“, sagt Stefan Marschall. Der SPD in NRW falle es zum Beispiel schwer, der Landesregierung Versagen in der Wohnungsbaupolitik vorzuwerfen, ohne gleichzeitig der eigenen Bundesbauministerin Versagen vorzuwerfen.

Überhaupt scheint es im Gegensatz zur Landtagswahl 2017 heute fast unmöglich, in NRW mit Landespolitik durchzudringen. Als Armin Laschet (CDU) damals die Wahl gewann, bewegten Verkehr, innere Sicherheit und Schulpolitik die Menschen in NRW. Heute geht es um Krieg, Frieden, Inflation, globale Krisen. Da rücken Staulängen, Schul-Streit, Wohnungsbau ins Abseits. 2017 hatten viele Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die damalige Landesregierung von Hannelore Kraft (SPD) verloren. Die Ministerpräsidentin wurde sozusagen abgewählt. Von einer Abwahlstimmung gegen Hendrik Wüst kann die SPD im Moment nur träumen. Dafür gibt es keine Indizien.

Nachteil zwei: Die Protagonisten der NRW-SPD fallen nicht auf

Zweitens hat die NRW-SPD, die einst mit Persönlichkeiten wie Johannes Rau, Wolfgang Clement, Peer Steinbrück und Hannelore Kraft aufwarten konnte, keine bekannten Köpfe mehr auf der Landesebene. Der frühere Landespartei- und Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty fuhr 2022 als Spitzenkandidat eine historische Niederlage ein. Nun probiert es die SPD nicht mehr mit einer, sondern mit einer Art Dreierspitze. Das Problem: Kaum einer kennt Fraktionschef Jochen Ott und die NRW-SPD-Vorsitzenden Sarah Philipp und Achim Post.

Die Verteilung auf diese Drei mache es umso schwerer, eine Person in den Mittelpunkt zu stellen, die als Haupt-Gegner von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und künftiger Spitzenkandidat oder Spitzenkandidatin wahrgenommen werde, sagt Stefan Marschall.

Wüst dürfte es gelingen, seinen Amtsbonus weiter ausbauen, vermutet der Forscher. Die SPD sollte daher im eigenen Interesse mit der Auswahl eines prominenten Gegenkandidaten nicht zu lange warten. „Die Zeit läuft“, warnt Marschall.

Eines der wenigen Gesichter der NRW-SPD, das auf Bundesebene bekannt ist: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas aus Duisburg.
Eines der wenigen Gesichter der NRW-SPD, das auf Bundesebene bekannt ist: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas aus Duisburg. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Die SPD könnte einen Promi aus der Bundespolitik zum Wüst-Gegenspieler machen. Auf den Landtagsfluren fällt ab und zu der Name Bärbel Bas. Sollte die Duisburgerin nach der Bundestagswahl nicht mehr Bundestagspräsidentin sein können, weil die SPD-Fraktion nicht mehr die größte im Bundestag wäre, käme Bas als neues Gesicht der NRW-SPD in Frage.

Alternativ könnte sich die SPD in NRW bei ihren bewährten Rathausspitzen bedienen. Allerdinges lassen Sören Link (Duisburg), Thomas Eiskirch (Bochum) und diverse andere Lokalpolitikerinne und Politiker solche Ambitionen überhaupt nicht erkennen. Chancenlos wären sie wohl nicht. „Bürgermeisterinnen und Bürgermeister verfügen oft über Charisma und haben bewiesen, dass sie Menschen in einer Personenwahl für sich gewinnen können“, so Stefan Marschall.

Nachteil drei: Am „Teflon“-Ministerpräsidenten Wüst bleibt keine Kritik haften

Drittens bieten Hendrik Wüst und seine schwarz-grüne Regierung der SPD praktisch seit Amtsantritt kaum eine Angriffsfläche. Die Geräuschlosigkeit, mit der Schwarz-Grün in NRW regiert, ist Gift für die Opposition. Von Abwahlstimmung ist jedenfalls nichts zu spüren, dabei kann die SPD in NRW nur gewinnen, wenn viele Menschen unzufrieden sind mit Schwarz-Grün.

Fazit: Es gibt -- Stand heute - kaum einen Hoffnungsschimmer für die NRW-SPD. Sie steckt im Abstiegsstrudel der Ampel, muss auf grobe Fehler von Schwarz-Grün in NRW oder eine beue Bundesregierung warten, und ihr Spitzenpersonal ist unbekannt. Ein Promi aus dem Bund könnte das Ruder womöglich rumreißen. Aber ein Retter oder eine Retterin ist nicht in Sicht.

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