Köln. Anne Brorhilker hat im Cum-Ex-Skandal ermittelt und Kanzler Scholz in Erklärungsnot gebracht: Nun verlässt die Ermittlerin die Justiz.
Die Chefermittlerin bei den Cum-Ex-Steuerdeals, Anne Brorhilker, hat überraschend gekündigt. Brorhilker habe um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln am Montag auf Anfrage. Zuvor hatte der WDR berichtet.
Als Peter Biesenbach am Montagmorgen von der brisanten Personalie aus seinem früheren Geschäftsbereich erfährt, wirkt er regelrecht schockiert. „Mit dem Abgang von Frau Brorhilker gehen der nordrhein-westfälischen Justiz Motor und Brain der Cum-Ex-Ermittlungen unwiderruflich verloren“, klagt der ehemalige NRW-Justizminister von der CDU. Resigniert schiebt er hinterher: „Sie war das Mobbing wohl leid.“
Cum-Ex-Ermittlerin Brorhilker wirft hin: Sie hat einen Ruf wie Donnerhall
Anne Brorhilker war nicht irgendeine Oberstaatsanwältin im Landesdienst. Die 50-Jährige hatte sich vielmehr als Ermittlerin im Cum-Ex-Skandal bundesweit einen Ruf wie Donnerhall erworben. Die Juristin spürte über Jahre dem organisierten Steuerbetrug in Milliardenhöhe nach, bei dem bis vor gut zehn Jahren Banken und andere Finanzakteure gezielt den Fiskus austricksten. Aktien wurden mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch so schnell hin und her geschoben, dass am Ende Erstattungen für Steuern flossen, die nie gezahlt wurden.
Brorhilker gehörte von Beginn an zu den wenigen Ermittlern, die das System durchschaut haben und 120 Ermittlungsverfahren gegen 1700 Beschuldigte einleitete. Sie hatte sich vorgenommen, den größten Steuerskandal der Bundesrepublik penibel aufzuarbeiten. Da ab einer hinterzogenen Summe von einer Millionen Euro in der Regel Gefängnis droht, waren Verfahrenseinstellungen auch keine Option.
Doch nun reicht es ihr. „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, sagte Brorhilker dem WDR. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe bereits Cum-Ex-Nachfolgemodelle. Sie bat um ihre Entlassung aus der Generalstaatsanwaltschaft Köln und dem Beamtenverhältnis.
Cum-Ex-Ermittlerin Brorhilker wirft hin: Schlusspunkt einer Entfremdung mit Justizminister Limbach
Es ist wohl der Schlusspunkt einer längeren Entfremdung mit dem angeschlagenen NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Der hatte im September 2023 zunächst angekündigt, dass die für die Cum-Ex-Ermittlungen zuständige Hauptabteilung H der Kölner Staatsanwaltschaft aufgespalten werden solle. Brorhilker sollte eine zweite Führungsperson an die Seite gestellt werden. Limbach bestritt, dass dahinter die Absicht stecke, Brorhilker zu entmachten. Es müsse aber vermieden werden, dass Cum-Ex-Taten womöglich verjährten oder mit billigen „Deals“ endeten. Die Arbeit müsse auf mehr Schultern verteilt werden.
Nach wütenden Protesten aus der Fachwelt machte Limbach Mitte Oktober einen Rückzieher. Brorhilker durfte die Hauptabteilung H doch weiter allein leiten. Die vier Abteilungen unterhalb der Führungsebene sollten nun aber je eine neue Gruppenleitung aus dem vorhandenen Personal bekommen.
Für Limbachs Amtsvorgänger Biesenbach war das Manöver der Anfang vom Ende: „Sie hätte Unterstützung gebraucht statt ständiger Kritik.“ Dass Brorhilker nun zur Initiative „Finanzwende“ wechsele, einer NGO, zeige doch ihren Idealismus, so Biesenbach: „Frau Brorhilker hätte bei jeder Spitzenkanzlei in Deutschland ein Vielfaches verdienen können.“
Das NRW-Justizministerium kommentierte die Personalie sparsam: „Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker hat sich um die strafrechtliche Aufarbeitung der Cum-Ex-Machenschaften außerordentlich große Verdienste erworben. Es ist deshalb bedauerlich, dass sie für uns überraschend heute mitgeteilt hat, die Justiz Nordrhein-Westfalen verlassen zu wollen.“
Cum-Ex-Ermittlerin Brorhilker wirft hin: Ex-SPD-Chef Walter-Borjans hat nur Lob für sie
Der frühere NRW-Finanzminister und SPD-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans (SPD) hält es für unverzeihlich, eine solche Kapazität ziehen zu lassen: „Für besonders wichtige Ermittlungen im Bereich der Finanz- und Wirtschaftskriminalität benötigt man Spezialistinnen und Spezialisten. Anne Brorhilker ist so eine Spezialistin und in ihrem besonderen Aufgabenbereit eine Person mit Seltenheitswert. Die Politik hätte alles unternehmen müssen, um diese Spezialistin zu halten, auch gegen mögliche Widerstände aus der Justizverwaltung.“
Limbachs Versuch, die Hauptabteilung H aufzuspalten und Brorhilker zu entmachten, sei für sie „zweifellos eine Demütigung“ gewesen, erklärt Walter-Borjans. Die schwarz-grüne Landesregierung müsse aus ihrem Abschied die richtigen Schlüsse ziehen und dürfe ihn keineswegs zum Anlass nehmen, die Umorganisation der Cum-Ex-Ermittlungen nachträglich doch vorzunehmen. „Wenn man die Hauptabteilung H aufspaltet, jubeln am Ende nur die Cum-Ex-Angeklagten“, so Walter-Borjans. Dass Brorhilker ihr enormes Expertenwissen nun nicht versilbert, nötigt dem SPD-Mann höchsten Respekt ab: „Ich bin davon überzeugt, dass sie aus tiefer innerer Überzeugung handelt.“
Richterbund NRW zum Abschied von Brorhilker: „Ein Schlag für die Cum-Ex-Ermittlungen“
Auch innerhalb der NRW-Justiz ist die Betroffenheit groß. Professor Gerd Hamme, Geschäftsführer des Bundes der Richter und Staatsanwälte in NRW, sprach von einem „Schlag für die Cum Ex-Ermittlungen“. Minister Limbach beeilte sich zwar am Montag, auch ohne Brorhilker eine weiterhin „effektive und nachhaltige Verfolgung“ der Cum-Ex-Straftaten zu versprechen.
Für Hamme liegen die Probleme jedoch tiefer: „Ich sehe ihren Rückzug aus der Justiz als prominentes Beispiel für andere, die möglicherweise noch folgen werden. Schon Berufsanfänger sagen heute nach kurzer Zeit: So habe ich mir die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in einer Staatsanwaltschaft nicht vorgestellt.“ Erfahrene Staatsanwältinnen und Staatsanwälte litten darunter, dass unter den Arbeitsbedingungen Strafverfolgung nicht effektiv betrieben werden könne.
Cum-Ex-Ermittlerin Brorhilker wirft hin: Ruf nach Untersuchungsausschuss wird laut
Ex-Justizminister Biesenbach brachte am Montag sogar einen Untersuchungsausschuss ins Gespräch, der für seinen Amtsnachfolger Limbach ausgesprochen unangenehm werden könnte: „Ich halte einen Untersuchungsausschuss für unausweichlich. Wir müssen klären, warum der Staatsanwaltschaft Köln bei der Aufklärung des größten Steuerskandals in der Geschichte der Bundesrepublik Steine in den Weg gelegt wurden und nicht die benötigte politische Rückendeckung gewährt wurde.“
Was ist Cum-Ex-Betrug?
Bei den Steuerdeals wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenansprüche in kurzer Zeit zwischen Finanzakteuren hin- und hergeschoben. Bei dem Verwirrspiel erstattete der Fiskus unwissentlich Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Erst mit einer zum Januar 2012 greifenden Gesetzesänderung wurde den Deals ein Riegel vorgeschoben. (dpa)
- Großer Name, kleine Erfahrung: Wer ist Benjamin Limbach?
- Cum-Ex-Skandal: Hanno Berger verliert Kampf gegen Haftstrafe
- Immer mehr Fälle und viel Stress: Ein Staatsanwalt packt aus
- Cum-ex-Affäre: Wirbel um Laptops mit heiklen Mails
- Nach Kritik: Limbach gibt Pläne für Cum-Ex-Abteilung auf
- So will NRW den Staatsanwälten helfen