Düsseldorf. In der Affäre um die Besetzung der OVG-Spitze hatte sich der freundliche NRW-Justizminister an den Rand eines Rücktritts gebracht.
Wer das Düsseldorfer Justizministerium am Martin-Luther-Platz betritt, fühlt sich schnell sehr klein. Der Amtssitz im ehemaligen Statthalterpalais mitten in der Landeshauptstadt verströmt mit seinen hohen Decken, den dunklen Korridoren und knarzenden Böden die ganze Herrlichkeit der Spitzenjuristerei.
Benjamin Limbach meinte man immer eine gewisse Ungläubigkeit anzumerken, dass ausgerechnet er hier im Sommer 2022 als neuer Hausherr zur Türe reingekommen war. Die Grünen-Parteiführung hatte in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU den Besetzungsvorschlag für vier Ressorts erstritten, darunter zum ersten Mal in der Landesgeschichte auch jenen für das Justizministerium. Das leuchtete zwar in der Öko-Partei nicht jedem ein, da die Rechtspolitik im grünen Wahlkampf keine große Rolle gespielt hatte und sich in den eigenen Reihen kein qualifizierter Bewerber aufdrängte. Wer als Justizminister akzeptiert werden will, muss schließlich Volljurist und politischer Vollprofi gleichermaßen sein.
Limbach war als Gegengewicht zum populären NRW-Innenminister Reul gedacht
Doch die Führung um die heutige Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur warb intern dafür, dass man mit einem grünen Justizminister ein bürgerrechtliches Gegengewicht zum CDU-Innenminister Herbert Reul, dem populären „Mister Null Toleranz“, aufbauen könne. Vor allem die Grünen-Basis sieht Reuls harte Linie kritisch. Neubaur präsentierte einen Überraschungskandidaten mit klangvollem Namen: eben jenen Benjamin Limbach, früherer Verwaltungsrichter, seit zwei Jahren Präsident der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und Sohn der früheren Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach.
Das Gesamtpaket schien zu passen, zumal der freundliche Familienvater aus Bonn, Jahrgang 1969, gar keinen Hehl aus seiner politischen Unerfahrenheit machte. Limbach stammt aus einer ur-sozialdemokratischen Familie und hatte erst nach der Bundestagswahl 2017 sein SPD-Parteibuch gegen den Aufnahmeantrag bei den Grünen eingetauscht. Seither war er aber bloß einfaches Mitglied in Bonn und konnte es zunächst gar nicht glauben, dass man ihn für ministrabel hielt. Ein Justizminister in NRW ist schließlich Herr über 43.000 oft ziemlich selbstbewusste Beamte und wandelt stets auf dem schmalen Grat zwischen den Staatsgewalten.
Erste Niederlage im Begriffsstreit um die Clankriminalität
Limbachs Amtsvorgänger Peter Biesenbach (CDU) und Thomas Kutschaty (SPD) hatten vor ihrer Berufung bereits etliche politische Schlachten als Landtagsabgeordnete geschlagen. Deren Vorgängerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) wiederum tummelte sich als Vorsitzende des Bundes der Richter und Staatsanwälte zumindest im politiknahen Feld.
Für Limbach dagegen war das Wasser, in das er im Sommer 2022 fröhlich sprang, so kalt wie das einer Eistonne im Fitness-Spa. Mit seiner Forderung nach einer diskriminierungsfreien Neudefinition der von Reul öffentlichkeitswirksam bekämpften „Clankriminalität“ verhob er sich gleich zum Start. Das Innenministerium dachte gar nicht daran, sich auf die Wortklauberei einzulassen. Das jährliche „Lagebild Clankriminalität“ heißt in NRW bis heute „Lagebild Clankriminalität“.
Die erste wirklich folgenschwere Niederlage musste Limbach im Umgang mit der Hauptabteilung zur Bekämpfung des Cum-Ex-Steuerbetrugs bei der Kölner Staatsanwaltschaft einstecken. Der Minister wollte die bundesweit führende Einheit bei der Ermittlung von milliardenschweren illegalen Aktiendeals aufteilen. Angeblich ging es ihm um die Verbesserung des „Outputs“, da es in 1700 Verfahren bislang zu lediglich sechs Anklagen gekommen sei. In Fachkreisen kam das hingegen als Entmachtung der Hauptabteilungsleiterin, Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, an.
Limbach legte sich ausgerechnet mit der bekannten Cum-Ex-Anklägerin an
Brorhilker war dem komplizierten Cum-Ex-Steuerbetrug, mit dem der Staat in riesigen Dimensionen ausgenommen wurde, vor Jahren überhaupt erst auf die Spur gekommen. Sie ist ein Star der Szene. Entsprechend groß war die Empörung über Limbach. Am Ende musste er seine Pläne beerdigen. Fragen warf auch die schleppende Herausgabe von Cum-Ex-Akten an einen Untersuchungsausschuss auf. Als Brorhilker vergangene Woche überraschend um Entlassung aus dem Staatsdienst bat und heftige öffentliche Kritik äußerte, fiel das auch Limbach auf die Füße.
Zum ernsthaften Problemfall im Kabinett von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) wurde Limbach seit dem Herbst 2023, als ihm zwei Verwaltungsgerichte bescheinigten, bei der Besetzung des wichtigen Präsidentenamtes beim Oberverwaltungsgericht mit einer alten Bekannten nicht korrekt vorgegangen zu sein. Scheibchenweise kamen geheime Bewerbungsgespräche an die Öffentlichkeit, die bundesweit Zweifel an einer unabhängigen „Bestenauslese“ in Düsseldorf nährten.
Konkurrentenstreitverfahren sind in der Justiz zwar nichts Ungewöhnliches. Auch laufen Richterbesetzungsverfahren hinter den Kulissen wohl häufiger nicht so politikfern ab, wie es in staatsrechtlichen Seminaren gelehrt wird. Doch mit einer Reihe von unglücklichen öffentlichen Auftritten und rechthaberischen Ausflüchten stand Limbach plötzlich als jemand da, der die Gewaltenteilung schleift. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem die Demokratie und ihre Institutionen gerade von erstarkenden Rechtsextremisten verächtlich gemacht werden, verspielte Limbach damit nach nicht einmal zwei Jahren im Amt seinen Vertrauenskredit. Den wollte er nach dem deutlichen „Freispruch“ des Oberverwaltungsgerichts am Freitag nun erst einmal mühsam wieder aufbauen. Ein schwebendes Verfahren beim Bundesverfassungsgericht und hartnäckige Befragungen in einem Untersuchungsausschuss des Landtags dürfte das deutlich erschweren.