Willich. In NRW leben schätzungsweise 20.000 Kinder mit einem Elternteil im Gefängnis. Ein Insasse berichtet, wie oft er seine beiden Kinder sehen darf.
Vom Bahnhof im Willicher Stadtteil Anrath sind es nur ein paar Minuten Fußweg. Schon bei der Einfahrt kann man sie sehen, die rund 120 Jahre alten Justizvollzugsanstalten Willich I und II. Es sind zwei von insgesamt 36 Gefängnissen in NRW.
Dass der Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen Benjamin Limbach (Grüne) sich gerade diese Anstalt für seinen Pressetermin ausgesucht hat, liegt daran, dass hier 2020 ein Pilotprojekt gestartet wurde, das den Strafvollzug in NRW dauerhaft familienfreundlicher gestalten will. Neben Willich I und II sind daran die JVAs in Bielefeld-Brackwede, Remscheid, Rheinbach und Siegburg beteiligt. Für Willich könnte also auch der kurze Anreiseweg gesprochen haben; bis zur Landeshauptstadt sind es gerade einmal 25 Kilometer.
Gestrafte Familie: Rund 100.000 Kinder in Deutschland betroffen
„Wir wollen im bevölkerungsreichsten Bundesland Taktgeber im familiensensiblen Vollzug sein“, erklärte ein sichtlich gut gelaunter Minister vor der versammelten Presse. Das Pilotprojekt hatte sein Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) gestartet. „Heute wollen wir einfach mal einen Zwischenstand zeigen“, so Limbach weiter, der dann erklärte, was es mit dem sogenannten familiensensiblen Vollzug auf sich hat.
Limbach berief sich auf Schätzungen, wonach in Deutschland rund 100.000 Kinder mit einem Elternteil im Gefängnis lebten, circa 20.000 davon in NRW. Für die Kinder habe das teils schwerwiegende Folgen. Viele trügen Entwicklungsstörungen von sich oder litten an psychischen Krankheiten. Nicht wenige gerieten später selbst auf die krumme Bahn. Deswegen habe man vor 20 bis 25 Jahren begonnen, die Blickrichtung zu ändern: Weg von der Perspektive der Inhaftierten, hin jener der Familienangehörigen, so Limbach. „Die Familie hat keine Straftat begangen, wird aber trotzdem automatisch in die Strafe mit einbezogen“, beklagte der Minister.
In Willich I, wo derzeit 468 männliche Straftäter einsitzen und in Willich II mit 298 Frauen im geschlossenen Vollzug, hat man dazu vor vier Jahren eine Reihe von Maßnahmen eingeführt. Eltern erhalten extra Besuchsrechte für die Zeit mit ihren Kindern, Familienbeauftragte betreuen die Anliegen der einsitzenden Eltern, eigens eingerichtete Besuchsräume sollen so wenig wie möglich den Eindruck einer Haftanstalt erwecken.
„Das ist schlimm, ich vermisse meine Frau und meine Familie“
In einem von ihnen sitzt Herr L., Ende 40 und Vater zweier Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren. Warum er einsitzt und wie lange noch, möchte er nicht preisgeben. Umso auskunftsfreudiger ist er beim Thema Familie. Die Seinige liegt dem besonnen und herzlich wirkenden Mann offenbar am Herzen. „Das ist schlimm, ich vermisse meine Frau und meine Familie“, beschreibt er seinen Gefühlszustand. Umso dankbarer sei er, dass er seine Kinder in Willich fast jede Woche zu Gesicht bekomme. „Die sind sehr glücklich, dass hier so viele Spielzeuge sind und dass sie Papa sehen können“, sagt er. In Wuppertal, wo er auch schon eingesessen habe, sei das anders gewesen. „Vorher war es schlimm“, sagt der Endvierziger, „da gab es keine Langzeitbesuche“.
Allzu umfangreich darf man sich das Besuchsrecht von Insassen wie Herrn L. indes nicht vorstellen: Zu den zwei Stunden pro Monat für alle, haben Eltern hier zusätzlich das Recht auf maximal fünf weitere Stunden. In den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten deutet wenig auf den Ort hin, an dem sich Eltern und Kinder befinden. Die Langzeitbesuchsräume sind quasi komplett eingerichtete 1-Zimmer-Wohnungen mit Badezimmer und Küche. Die Fensterscheiben sind zum Teil beklebt; ganz verstecken lassen sich die dahinter befindlichen Gitterstäbe aber doch nicht.
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„Wir freuen uns, dass du kommst, um deine Mama zu besuchen“
Der Weg von der Eingangsschleuse hin zu den Besuchsräumen weist das Eichhörnchen Tim, daneben eine Sprechblase: „Schön, dass du da bist.“ Das klinge vielleicht etwas platt, sagt Benjamin Limbach. Was man damit aber vermitteln wolle, sei zentral: „Wir freuen uns, dass du kommst, um deine Mama zu besuchen.“ Selbst konzipierte Fotobücher sollen die kleinen Gäste zudem behutsam auf den Besuch in Willich vorbereiten. Eines trägt den Titel: „Wo ist meine Mama?“
Eindrucksvoll ist die Zahl betroffener Kinder allein in den Haftanstalten in Willich. 2022 gab es 88 Kinder im Alter bis zehn Jahren und 166 über zehn Jahren, deren Mütter in der JVA Willich II einsaßen. In Willich I wurden im gleichen Jahr insgesamt 424 Kinder von männlichen Häftlingen gezählt, davon 154 im Alter bis zehn Jahren.
Langfristig wolle man das Pilotprojekt auf alle JVAs in NRW ausweiten, versprach Benjamin Limbach. Bis alle Häftlinge in NRW die Möglichkeit bekommen, die Bindung zu ihren Kindern aufrechtzuerhalten, dürfte allerdings noch etwas Zeit vergehen. Mit den bislang vom Land bereitgestellten Mitteln seien Limbach zufolge die Stellen der sechs Familienbeauftragten geschaffen worden und die bislang vollzogenen Umbaumaßnahmen an den Pilotstandorten finanziert worden. Auf die angespannte Haushaltslage im Land anspielend, sagte der Justizminister: „Mit den wenigen Ressourcen, die wir haben, wollen wir den größtmöglichen Effekt erzielen.“