Berlin. Israels Premier setzt den Machterhalt über das Wohl seines Landes – und riskiert sogar den Bruch mit seinem wichtigsten Verbündeten.
Das Osterfest verströmt immer wieder die Magie der Hoffnung. Christen feiern an diesem Sonntag die Auferstehung von Jesus. Aber auch Menschen, die mit der Kirche nichts am Hut haben, träumen von der Möglichkeit einer besseren Welt. So gehen Ostermarschierer mit dem Wunsch auf die Straße, die Kriege im Gazastreifen und in der Ukraine mittels Verhandlungen zu beenden.
Von einem derartigen Szenario ist der Nahe Osten Lichtjahre entfernt. Bei alledem darf nicht vergessen werden: Vor Beginn des Gaza-Krieges stand der bestialische Terroranschlag der islamistischen Hamas am 7. Oktober. Die Extremisten provozierten damit eine ultra-harsche Reaktion Israels. Sie nahmen das schreckliche Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Kauf und bauten auf eine große regionale Eskalation. Das ist zynisch, ruchlos und kriminell.
Gaza-Krieg: Netanjahu hat Israel international isoliert
Dennoch hat sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit seinem Kurs eines blindwütigen Krieges im Gazastreifen verrannt. Die Bilder von Menschen, die in Trümmerwüsten hausen und kaum etwas zu essen haben, dürfen nicht als „Kollateralschäden“ verbucht werden.
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Dass Israel nicht mehr Hilfslieferungen in den Küstenstreifen lässt, ist eine moralische Bankrotterklärung. Mehr als 32.000 getötete Palästinenser beim Kampf gegen die Hamas sind ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust für ein Land, das immer stolz auf seine Stärke als einzige Demokratie im Nahen Osten war. Es muss andere Mittel geben, die Terrorgruppe auszuschalten.
Netanjahu hat Israel international isoliert. Mehr noch: Er hat seinen wichtigsten Verbündeten, die Vereinigten Staaten, verprellt. Präsident Joe Biden hat eine israelische Bodenoffensive in die Stadt Rafah, in der bereits mehr als eine Million Geflüchtete eingezwängt sind, indirekt als „rote Linie“ bezeichnet. Doch Netanjahu lässt Biden abblitzen. Das ist unklug.
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Die kürzliche Enthaltung Amerikas bei der Resolution des UN-Sicherheitsrats, die auf eine „sofortige Waffenruhe“ im Gazastreifen pochte, darf man getrost als Wendepunkt bezeichnen. Washington ist nicht mehr automatisch die politische Veto-Eskorte Israels in internationalen Gremien.
Netanjahu muss seine radikalen Kabinettskollegen bei der Stange halten
Netanjahu fallen derzeit nicht nur die Fehler in Gaza auf die Füße. Er hat keinen Nachkriegsplan. Und er verfügt über kein Konzept für die langfristige Lösung des Konflikts. Ohne Angebote an die Palästinenser mit einer Perspektive auf politische Teilhabe, wirtschaftliche Entwicklung und ein Leben in Würde wird die Spirale aus Terror und Krieg nicht durchbrochen werden. Dass dabei Israels Sicherheit gewahrt werden muss, versteht sich von selbst.
Netanjahu hat sich in den Schraubstock seiner rechtsextremen und ultraorthodoxen Koalitionspartner begeben. Diese setzen nicht nur auf die Vernichtung der Hamas. Sie träumen auch von einem „Großisrael“ mit Annexion des Westjordanlandes und jüdischer Wiederbesiedelung des Gazastreifens.
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Netanjahu muss das nicht eins zu eins umsetzen. Doch er verfolgt gegenüber den Palästinensern eine betonharte Politik, um seine radikalen Kabinettskollegen bei der Stange zu halten. Dabei geht es auch um Gefälligkeiten: Jetzt musste Netanjahu beim Obersten Gericht eine Fristverlängerung beantragen, damit ultraorthodoxe Juden weiterhin keinen Wehrdienst leisten müssen.
Verliert er sein Amt, beginnt nicht nur die große politische Abrechnung über die Sicherheitskatastrophe am 7. Oktober. Ein abgewählter Premier müsste sich in diversen Verfahren wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit vor Gericht verantworten. Netanjahus Gaza-Krieg ist daher auch eine Operation Machterhalt.