Berlin/Moskau/Washington D.C. Trumps Wiederwahl wäre ein Freifahrtschein für Kremlchef Putin. Joe Biden sollte deshalb auf einen uramerikanischen Instinkt setzen.
Die inszenierte Volksabstimmung zum Machterhalt des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist über die Bühne. Man muss bitter konstatieren: Der Kremlchef befindet sich derzeit im Zenit seiner Herrschaft. Die Opposition in Russland ist bis auf symbolische Protestaktionen tot. Die russischen Truppen haben im Krieg gegen die Ukraine Oberwasser.
Putin droht auf ruchlose Weise mit dem Einsatz von Atomwaffen und schwadroniert von einer militärischen Konfrontation mit der Nato. Verbale Muskelspiele, um Europa in Angst und Schrecken zu versetzen und der Militärhilfe für die den Stecker zu ziehen.
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Hinzu kommt, dass das von US-Präsident Joe Biden aufgelegte Waffenpaket für die Ukraine in Höhe von 60 Milliarden Dollar in das Räderwerk der amerikanischen Innenpolitik geraten ist. Die Republikaner blockieren die Unterstützung, um Biden vorzuführen. Sie können das, weil der Kongress im US-Regierungssystem die Budgethoheit hat. Und sie tun es, weil die Partei ihrem designierten Präsidentschaftskandidaten Donald Trump hörig ist.
Schicksal der Ukraine hängt vom künftigen US-Präsidenten ab
Sollte Trump das Rennen ums Weiße Haus am 5. November gewinnen, wäre dies das Ende der demokratisch-freiheitlichen Staatengemeinschaft des Westens. Die Ukraine würde vom lebenswichtigen Nachschub aus Amerika abgeschnitten. Trump hatte bereits angekündigt, den Krieg „innerhalb von 24 Stunden“ zu beenden. Möglich wäre dies nur durch einen Deal mit Putin – von der Ukraine bliebe dann allenfalls noch ein Rumpfstaat übrig. Trumps Drohung, er würde Russland „ermutigen“, jedes Nato-Land anzugreifen, das seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Militärbündnis nicht nachkommt, muss man wörtlich nehmen.
Gewinnt Trump, ist die nach 1945 mühsam errichtete internationale Ordnung kaputt. Maßgebend wären nicht mehr Verträge und Abkommen, sondern das Gesetz des Dschungels. Militärisch stärkere Länder könnten schwächere überfallen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Putin würde dies als Freifahrtschein für seinen Aggressionskurs auffassen. Machen wir uns nichts vor: Europa wäre Russland ohne die mit Nuklearwaffen bestückte Schutzmacht USA ausgeliefert.
Vor diesem Hintergrund kommt dem Votum der Amerikaner im November eine entscheidende Bedeutung zu. Wahlen in den Vereinigten Staaten werden in erster Linie durch die Innenpolitik entschieden – auch wenn Biden von beträchtlichen Teilen seiner Partei dafür kritisiert wird, nicht genug für die Palästinenser im Gazastreifen zu tun.
Joe Biden muss an uramerikanische Instinkte appellieren
Den US-Bürgern brennen jedoch Themen rund um Wirtschaft und Arbeitsmarkt viel stärker unter den Nägeln als der Krieg in der Ukraine, der für sie weit weg ist. Das Problem: Unter Biden brummt die Konjunktur, die Inflationsrate ist deutlich gesunken. Doch viele schreiben dies nicht dem Präsidenten zu, dem außerdem die hohe Zahl illegaler Grenzübertritte aus Mexiko angekreidet wird. Will Biden nicht von Trumps Schlammschlacht-Wahlkampf überrollt werden, muss er in die Offensive gehen.
In seiner Rede zur Lage der Nation hat er gezeigt, dass er auch noch mit 81 Jahren Biss, Dynamik und Schlagfertigkeit an den Tag legen kann. Biden sollte seine Erfolge selbstbewusst herausstellen. Und er sollte sich als Anführer des Kampfes zwischen Freiheit und Autokratie profilieren: nicht nur national gegenüber Trump, sondern auch in der internationalen Arena. Biden muss an den uramerikanischen Instinkt für Demokratie und Gerechtigkeit appellieren – und an die Verantwortung der US-Bürger für eine Welt, die nicht in Anarchie versinkt. Die Europäer sollten ihn dabei in jeder Hinsicht unterstützen.