Berlin/Osnabrück. Wie kriegstüchtig sind die Kommunen? André Berghegger, Chef des Städte- und Gemeindebundes, will Milliarden für den Bevölkerungsschutz.
Russlands Überfall auf die Ukraine hat eine Zeitenwende eingeleitet – auch für die deutschen Kommunen. Wie gut wären sie vorbereitet, sollte auch Deutschland in einen Krieg verwickelt werden? André Berghegger, neuer Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, fordert Milliarden-Investitionen in den Bevölkerungsschutz. Der Nachfolger von Gerd Landsberg nimmt auch Schulen und Kitas in die Pflicht.
Deutschland muss kriegstüchtig werden – teilen Sie diese Forderung von Verteidigungsminister Pistorius?
André Berghegger: Ich würde eher von Widerstandsfähigkeit sprechen. Die Bedrohungslage hat sich verändert, das zeigt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Sicherheit ist nicht mehr selbstverständlich. Es ging uns lange Zeit sehr gut. Das hat uns etwas sorglos gemacht. Jetzt kommt es nicht nur darauf an, die Bundeswehr verteidigungsfähig zu machen. Es geht ganz allgemein um den Schutz der Bevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren. Die Stärkung unserer Widerstandsfähigkeit ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen.
Was bedeutet das konkret? Sollen neue Bunker gebaut werden?
Im Kalten Krieg hatte Deutschland mehr als 2000 öffentliche Schutzräume. Davon sind nur noch 600 vorhanden, die Schutz für rund 500.000 Personen bieten. Es ist dringend notwendig, stillgelegte Bunker wieder in Betrieb zu nehmen. Und wir müssen neue, moderne Schutzräume bauen. In Ballungszentren kann man sicher auch Tiefgaragen und U-Bahn-Schächte nutzen. Das sehen wir aktuell in Kiew, wo Menschen Zuflucht vor russischen Raketen suchen. Auch in Deutschland müssen wir für ein solches Szenario planen.
Nicht nur Bunker sind abgebaut worden, sondern auch Sirenen. Reicht es, wenn Bürger die Warn-App Nina auf dem Handy installieren?
Das Hochwasser im Ahrtal hat uns gezeigt, wie wichtig die rechtzeitige Warnung der Bevölkerung ist. Das gilt für Krieg wie für Naturkatastrophen. Wir tun gut daran, uns nicht allein auf Handy-Apps zu verlassen. Technik – egal welcher Art – ist anfällig. Wir brauchen einen breiten Mix aus digitalen und analogen Instrumenten. Dazu gehören Apps, Radio und Fernsehen, Anzeigetafeln und natürlich auch Sirenen. Es ist wichtig, dass Bund und Länder das Sirenenschutzprogramm fortführen und die nötigen Mittel bereitstellen. Es darf keine Kommune mehr ohne Sirenen geben. Mir ist lieber, die Bevölkerung wird doppelt und dreifach gewarnt als einmal zu wenig.
Die Warntage, an denen das geübt wird, sind teilweise ernüchternd verlaufen.
Die Bürger sollten Nina, die Notfall-App des Bundes, umfassend nutzen. Das ist eine Voraussetzung. Wichtig sind auch die automatischen Warn-SMS. Nach meinem Eindruck ist es von Warntag zu Warntag immer besser geworden. Beim letzten Mal bin ich Zug gefahren, um mir ein Bild zu machen. Und es hat überall geklingelt.
Ist die kritische Infrastruktur – Strom, Wasser, Kommunikation – ausreichend geschützt?
Der Brandanschlag auf das Tesla-Werk in Grünheide hat gezeigt, wie verwundbar unsere Energieversorgung sein kann. Wir müssen uns auch auf Cyberangriffe einstellen. Es wird nie den perfekten Schutz geben, aber wir müssen deutlich besser werden. Die Bundesregierung hat das sogenannte Kritis-Dachgesetz auf den Weg gebracht, das die Resilienz kritischer Infrastruktur verbessern soll – und auch die Betreiber in die Pflicht nimmt. Das unterstütze ich. Wir können nicht vor jeden Strommasten einen Polizisten stellen.
Wie kann die Lebensmittelversorgung gesichert werden?
In den Kommunen gibt es Netzwerke von Hilfsorganisationen: Rotes Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund oder Johanniter-Unfallhilfe tun gut daran, sich auf schwierige Ereignisse vorzubereiten – und entsprechende Übungen zur Versorgung der Bevölkerung abzuhalten. Was Bevorratung angeht, hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe viele gute Hinweise für Privathaushalte gegeben.
Das wird manchmal belächelt, aber Wasser, Lebensmittel, Medikamente oder Kerzen sollte jeder zu Hause haben. Wir sollten die Menschen dafür sensibilisieren, dass sie im Katastrophen- oder Verteidigungsfall möglicherweise einige Tage aus eigener Kraft überstehen müssen. Das Bewusstsein dafür sollten wir schon in Kitas und Schulen wecken. Dort lassen sich auch Zivilschutzübungen abhalten.
Geht es Ihnen – zugespitzt formuliert – um die kriegsfähige Kita?
Mir geht es um Resilienz. Man kann Kitas und Schulen durchaus mal üben, was zu tun ist, wenn es brennt – und wo die Sammelplätze sind. Das kann man auch kindgerecht ansprechen.
Wie denken Sie über ein neues Schulfach, das den Blick für Bedrohungen schärft?
Wir brauchen kein eigenes Schulfach für Verteidigung oder Resilienz. Es gibt genügend Pflichtfächer, um aktuelle Entwicklungen zu besprechen. Man kann auch an Projekttagen oder in Arbeitsgruppen für die neue Gefahrenlage sensibilisieren – und wie man sich im Verteidigungsfall verhält.
Wie teuer wird es, die Kommunen widerstandsfähig zu machen?
Für die Bundeswehr hat der Bund ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro eingerichtet. Wir müssen zusätzlich große Summen aufbringen, um die Widerstandsfähigkeit im Inneren zu gewährleisten. Für den Schutz der Zivilbevölkerung brauchen wir in jedem der nächsten zehn Jahre mindestens eine Milliarde Euro. Und das ist nur ein Anschub, damit ist die Aufgabe noch nicht erledigt. Vor diesem Hintergrund ist es ein fatales Signal, dass im laufenden Haushalt ausgerechnet beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe um 40 Millionen gekürzt wird. Hier müsste man aufstocken.
Woher soll das Geld kommen?
Aus dem regulären Bundeshaushalt, der in diesem Jahr 476 Milliarden Euro umfasst. Wenn wir Prioritäten setzen, sollte es möglich sein, eine Milliarde herauszuholen. Mit zusätzlichen Leistungsversprechen müssen wir uns dann eben zurückhalten.
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