Berlin. Die Bundeswehr müsse „kriegstüchtig“ sein, hat der Verteidigungsminister gefordert. Nun hat er erklärt, was das für ihn genau heißt.
„Wir müssen kriegstüchtig werden“: Mit diesen Worten mischte Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich die Debatte um Deutschlands Rolle in einer Welt voller Krisen und Kriege auf. Für die provokante Aussage bekam der SPD-Politiker Zuspruch, aber auch Kritik. Nun hat Pistorius verteidigungspolitische Richtlinien veröffentlicht: Darin erläutert der Verteidigungsminister, was er sich unter Kriegstüchtigkeit vorstellt.
Die Bedrohungslage
„Der Krieg ist mit Putins brutalem Angriff gegen die nach Europa zurückgekehrt“, analysiert Pistorius die Ausgangssituation. Russland bleibe „ohne einen fundamentalen inneren Wandel“ dauerhaft die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa. Weitere Gefahren seien Krisen, Konflikte und regionale Spannungen in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten, in der Arktis sowie im Indopazifik. So wolle etwa China die internationale Ordnung nach seinen Vorstellungen umbauen. Das, so wird in dem Pistorius-Papier gewarnt, wirke sich auch direkt auf Sicherheit und Wohlstand einer weltweit vernetzten Handelsnation wie Deutschland aus.
Deutschlands Verantwortung
Der Minister folgert daraus: „Deutschland muss als bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas das Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein.“ In diesen Sätzen schwingt die Ungewissheit darüber mit, inwieweit die USA in Zukunft die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent garantieren. Pistorius begründet die Forderung nach einer stärkeren deutschen Rolle historisch: Nachdem Deutschland im Kalten Krieg vom Schutz der Nato profitiert habe, stehe Deutschland heute in der Verantwortung für die Verbündeten.
Der Minister verweist auf die dauerhafte Stationierung einer 5000-köpfigen Kampftruppenbrigade der Bundeswehr an der Nato-Ostflanke in Litauen. Pistorius umschreibt die neue Rolle der Truppe so: „Vornepräsenz wird künftig für die Angehörigen der Bundeswehr die Norm.“ Allerdings, räumt der Minister ein: „Damit erwächst für Deutschland auch in besonderem Maße eine Bedrohung, auch militärisch.“
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter begrüßt die Analyse und das Bekenntnis zu einer führenden Rolle Deutschlands. Aber: „Dies funktioniert glaubwürdig nur mit einer umfassend einsatzbereiten Bundeswehr“, sagte Kiesewetter dieser Redaktion. „Diese ist jedoch nicht gegeben und wie dies erreicht werden soll, können auch die Richtlinien in der letzten Instanz nicht vorgeben.“
Kriegstüchtige Bundeswehr, wehrhafte Gesellschaft
Pistorius hat mit Altlasten zu kämpfen: Die Bundeswehr sei jahrzehntelang vernachlässigt und auf Einsätze in Krisengebieten ausgerichtet worden. Zwar hält Pistorius Beiträge zum internationalen Krisenmanagement weiterhin für unverzichtbar, etwa um in Afrika oder dem Nahen Osten Terrorismus zu bekämpfen. Erforderlich sei aber eine „konsequente Fokussierung“ auf die Verteidigung von Deutschland und seinen Verbündeten. Pistorius will eine „kriegstüchtige Bundeswehr“, die „wehrhaft und resilient“ sei. Diese Anforderung stellt der Verteidigungsminister nicht nur an die Truppe: „Unsere Wehrhaftigkeit ist eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, heißt es in den Leitlinien.
„Mit dem durchaus polarisierenden und für manche irritierenden Begriff ‚kriegstüchtig‘ meint der Minister in der Sache den notwendigen und richtigen Kurswechsel für mehr Abwehrbereitschaft, Stärke und Wehrhaftigkeit“, sagte die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger dieser Redaktion. Diese Debatte müsse dringend breit und transparent mit der Bevölkerung geführt werden. „Weil diese Diskussion sensibel ist und Ängste auslösen kann, sollten wir sie mit Klarheit und Klartext, aber auch mit ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl und Empathie führen.“
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Anforderungen an die Bundeswehr
Pistorius versteckt sich in dem Strategiepapier nicht hinter beschönigenden Formulierungen. Die Bundeswehr muss in seinen Augen „in allen Bereichen kriegstüchtig“ sein – das gelte für Ausrüstung wie für Personal: „Maßstab hierfür ist jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht.“ Angesichts der Versäumnisse der Vergangenheit habe die Truppe allerdings noch einen „langfristigen Anpassungsprozess“ vor sich, warnt Pistorius vor allzu hohen Erwartungen, was den Zustand der Truppe in den kommenden Jahren betrifft.
Milliarden für die Sicherheit
„Mindestens“ zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung müssten „dauerhaft“ in die Bundeswehr investiert werden, der Minister verlangt eine „deutliche“ Steigerung des Verteidigungsetats. Pistorius weiß, dass die Modernisierung seiner Truppe auch über das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro hinaus viel Geld kosten wird – und das in Zeiten, in denen der finanzielle Spielraum des Staates schrumpft. Das werde „nicht ohne schwierige Prioritätensetzungen“ gehen, räumt der SPD-Politiker ein.
Truppe ohne Soldaten
Die Bundeswehr hat ein Nachwuchsproblem. Eigentlich soll die Truppe wachsen, schafft es aber gerade einmal, ihre Stärke bei rund 180.000 aktiven Soldaten zu halten. Die Rekrutierung bleibe eine der „zentralen Herausforderungen“, erwartet Pistorius. Einen Vorstoß zur Wiedereinführung einer Wehrpflicht macht der Minister nicht. Er will aber „alle Möglichkeiten“ ausschöpfen, um die Einplanung der Reserve zu erhöhen. Doppelstrukturen in Truppe, Ministerium und Bundeswehrverwaltung will Pistorius ebenso abschaffen wie eine „schwerfällige Arbeitskultur“.
Zivile Verteidigung
Die Fähigkeit zu wirksamer Verteidigung bestehe nicht nur aus einer einsatz- und kampfbereiten Bundeswehr, warnt der Verteidigungsminister. „Gesamtverteidigung ist das Ergebnis militärischer und ziviler Verteidigung.“ Pistorius fordert dafür „die Verzahnung aller relevanten Akteure bereits im Frieden“ und nennt die Bereiche Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Wichtig sei es, den Schutz „verteidigungswichtiger sowie kritischer Infrastruktur“ auszubauen. Aber auch bestimmte Gesetze müssten der Bedrohungslage angepasst werden.
Rüstungsindustrie stärken
Die Beschaffung von funktionsfähigem Material ist ein ewiges Leid bei der Bundeswehr. Die eigenen Verfahren sind langwierig, die Bedürfnisse oft kompliziert. Pistorius will bei der Ausstattung konsequent auf marktverfügbare Produkte setzen und interne Verfahren beschleunigen. Damit die Bundeswehr aber „in Krise und Krieg“ schnell ausgerüstet werden kann, müsse die Rüstungsindustrie in Deutschland und Europa gestärkt werden.
Kiesewetter ist skeptisch, ob diesen Worten Taten folgen: Seit Russlands Angriff auf die Ukraine seien mittlerweile fast zwei Jahre „vergeudet“ worden, ohne dass die Koalition die Zeitenwende bei den Streitkräften umsetze. „Die Bundeswehr steht heute schlechter da als im Februar 2022“, kritisiert der CDU-Politiker. „Was die Bundeswehr braucht, ist eine Revolution in Strukturen, Mindset, Finanzierung, Beschaffung.“
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