Berlin. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sorgt sich um die Demokratie – und sagt, was die Schulen und Unternehmen dringend tun müssen.

  • Bärbel Bas bezieht Stellung zur AfD
  • Die Bundestagspräsidentin sorgt sich um die Demokratie
  • Zudem warnt sie vor einem „rechtsextremen Ministerpräsidenten“

Die Demokratie wird angegriffen, von innen und von außen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ruft zur Stärkung der Bundeswehr auf, um der russischen Bedrohung zu begegnen. Im Interview mit dieser Redaktion nimmt die Sozialdemokratin auch die Wirtschaft in die Pflicht, mehr zu tun im Kampf gegen Verfassungsfeinde.

Frau Präsidentin, fürchten Sie um unsere Demokratie?

Bärbel Bas: Wir sind herausgefordert, wie wir es uns vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen konnten. Ich bin aber zuversichtlicher als noch zum Jahreswechsel. Die gesellschaftliche Mitte, die sich lange zurückgezogen hat, steht auf für unsere Demokratie. Am 2. März findet auch in meinem Duisburger Wahlkreis eine große Demonstration statt, an der ich teilnehmen werde. Die Enthüllungen über das Treffen in Potsdam, wo offenbar über die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte diskutiert wurde, haben viele Menschen wachgerüttelt. Die Demokratie ist nicht verloren.

Woher kommt die größere Bedrohung – von innen oder von außen?

Wir müssen uns gegen beides wappnen. Es gibt Verfassungsfeinde im Land, die unsere parlamentarische Demokratie angreifen wollen. Auf der anderen Seite erleben wir Spionage, Manipulation über Social Media und Cyberangriffe aus dem Ausland, vor allem aus Russland. Seit dem Angriffskrieg auf die hat das zugenommen. Man darf nicht die Augen davor verschließen, dass die Gefahren größer geworden sind.

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Russlands Überfall auf die Ukraine ist genau zwei Jahre her. Müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass es uns auch so ergehen könnte?

Wir hoffen alle, dass es nie so weit kommt. Und die Nato ist eine starke Verteidigungsgemeinschaft. Klar ist aber: Wir müssen die Bundeswehr wieder besser aufstellen, das bedeutet vor allem, sie fit zu machen für die Landes- und Bündnisverteidigung. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind auch in Litauen stationiert, an der Ostflanke der Nato. Vergangenes Jahr war ich in Rukla. Da spürt man, wie nah das Thema ist.

„Kriegstüchtig“ werden – so nennt es Verteidigungsminister Pistorius.

Den Begriff mache ich mir nicht zu eigen. Richtig ist, dass wir die Fähigkeiten haben müssen, unser Land zu verteidigen. Dafür müssen unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgebildet und ausgestattet werden. Es geht aber auch darum, dass wir – die Politik und die Gesellschaft – hinter unserer Bundeswehr stehen und sie wertschätzen.

Gehören zur Verteidigungsfähigkeit auch europäische – oder deutsche – Atomwaffen? Die Vereinigten Staaten könnten als Schutzmacht ausfallen, wenn Donald Trump wieder Präsident wird.

An dieser Debatte beteilige ich mich nicht. Wir müssen jetzt wirklich schauen, wie wir die Ukraine unterstützen, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnt. Mord und Terror dürfen sich nicht durchsetzen. Es geht um Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa.

Tut Deutschland dafür genug?

Wir tun sehr viel für die Ukraine – militärisch, finanziell und humanitär. Bundeskanzler Olaf Scholz hat jetzt ein neues Sicherheitsabkommen geschlossen. Im Juni gibt es eine Wiederaufbaukonferenz der Bundesregierung in Berlin. Mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk stehe ich in ständigem Austausch. Die Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Parlament ist auf allen Ebenen sehr eng – politisch, aber auch zwischen den Ausschüssen und den Verwaltungen beider Häuser. Wichtig ist, das Material schnell zu liefern, das die Ukraine jetzt braucht.

Welches meinen Sie?

Von einer Debatte über einzelne Waffensysteme, die angeblich alles ändern, halte ich nichts. Es ist Sache der Regierung, hierüber besonnen und in enger Absprache mit den Partnern in der Nato zu entscheiden.

Kanzler Scholz will den Wehretat deutlich aufstocken. Woher kommt das Geld?

Die Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 wird eine besondere Herausforderung. Wir haben auch innenpolitisch genug Baustellen: soziale Gerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Infrastruktur oder die ökologische Transformation unserer Industrie. Das Geld wird knapper, wir können nicht mehr alle Wünsche erfüllen. Aber wenn wir das eine gegen das andere ausspielen, droht unsere Gesellschaft auseinanderzudriften, und die Menschen verlieren auch die Solidarität zur Ukraine.

Ergo?

Die Schuldenbremse ist richtig und wichtig. Aber wir müssen die Debatte führen, ob sie angepasst werden muss, um mehr Spielräume für wichtige Zukunftsinvestitionen zu bekommen.

Wird es Zeit, zur Wehrpflicht zurückzukehren?

Wir haben die Wehrpflicht ja nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Im schlimmsten Fall können wir darauf zurückgreifen. Die alte Wehrpflicht möchte aber kaum jemand zurück. Der Verteidigungsminister lässt jetzt verschiedene Modelle prüfen. Nach dem Angriff auf die Ukraine hat sich auf jeden Fall das Bewusstsein bei vielen Menschen verändert. Die Wertschätzung für die Bundeswehr ist aus meiner Sicht gewachsen. Diese Anerkennung haben unsere Soldatinnen und Soldaten auch verdient. Kürzlich bin ich von Schülern gefragt worden, ob ich bereit wäre, selbst zu kämpfen.

Was haben Sie geantwortet?

Ich kann das nicht ausschließen. Aufgrund unserer Geschichte war ich grundsätzlich pazifistisch eingestellt, aber die Zeitenwende findet auch in meinem Kopf statt. Spätestens seit ich im Jahr 2022 in Butscha und Irpin die schrecklichen Konsequenzen des Krieges mit eigenen Augen gesehen habe. Fest steht in jedem Fall für mich: Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihr Land so tapfer verteidigen, verdienen unseren höchsten Respekt.

Ist die Wehrpflicht ein Thema für die Bürgerräte, die Sie organisieren?

Ja, es ist ein mögliches Thema für den nächsten Bürgerrat. Die Frage dürfte allerdings nicht allein auf die Wehrpflicht – ja oder nein – verengt werden, sondern müsste sich auf gesellschaftliches Engagement allgemein beziehen: Was müsste der Staat tun, damit ich mich ehrenamtlich engagiere? Der Bürgerrat könnte dabei auch die Meinung junger Menschen einbeziehen.

Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht könnte bald wieder politisch brisant werden.
Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht könnte bald wieder politisch brisant werden. © DPA Images | Frank May

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Sie reisen in diesen Wochen mit dem Bundestagspräsidium durch das Land. Was bekommen Sie zu hören, wenn Sie mit den Menschen sprechen?

Wir sprechen beim Format „Präsidium vor Ort“ in den Heimatregionen der Präsidiumsmitglieder mit Vereinen, Verbänden, Unternehmen, Schülerinnen und Schülern. Wir möchten insbesondere diejenigen unterstützen, die sich ehrenamtlich, in Vereinen oder in privaten Initiativen für unsere Demokratie vor Ort engagieren. Bei vielen Menschen kommt nur an, dass die Politik sich streitet. Sie finden es gut, dass wir als Politikerinnen und Politikern verschiedener Parteien gemeinsam zu ihnen hinkommen, um einen vernünftigen Dialog zu führen. In Sachsen haben wir auf der Wegstrecke spontan angehalten, sind auf einen Acker gestiegen und haben eine halbe Stunde mit den Bauern diskutiert.

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Haben Sie ein Gefühl bekommen, warum so viele einfache Menschen das Vertrauen in die Demokratie verlieren?

Die verschiedenen Krisen überfordern viele Menschen. Manche ziehen sich in ihren privaten Raum zurück und schauen überhaupt keine Nachrichten mehr, weil sie das nicht mehr ertragen. Die Corona-Zeit hat viele Bürgerinnen und Bürger von der Politik entfremdet. Es hat Freiheitseinschränkungen gegeben, die immer noch richtig tief sitzen. Gaststätten wurden geschlossen, Kinder durften nicht in die Schule. Mit dem Wissen von heute würde man manches anders entscheiden.

Ist die Politik zu abgehoben? Sie selbst haben sich aus einfachen Verhältnissen mit Hauptschulabschluss hochgearbeitet, aber solche Biografien sind im Bundestag selten.

Wir können im Bundestag nie die gesamte Bevölkerung abbilden. Wichtig ist, dass Politikerinnen und Politiker nicht als „Die da oben“ wahrgenommen werden. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Abgeordneten – unabhängig von Herkunft und Ausbildung – die Menschen in ihren Wahlkreisen erreichen. Aber die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere. Ob auf Social Media oder in Talkshows: Es kommt oft nur an, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Parteien verbal übereinander herfallen und nicht nach Kompromissen suchen. Und das stößt viele Menschen ab.

Akademiker-Parlamente sind nicht das Problem?

Die Parteien sollten stärker auf Diversität achten, wenn sie ihre Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen – nicht nur was das Geschlecht, sondern auch was Herkunft, Ausbildung und Beruf angeht. Voraussetzung ist aber natürlich, dass die Leute überhaupt kandidieren möchten. Leider ziehen sich viele Politikerinnen und Politiker vor allem auf kommunaler Ebene zurück, weil sie Hass und Hetze in Social Media abbekommen oder körperlich angegriffen werden. Das ist eine große Gefahr für unsere Demokratie.

Im Herbst wählen Thüringen, Sachsen und Brandenburg – und die AfD liegt in den Umfragen vorn. Könnte Deutschland einen rechtsextremen Ministerpräsidenten verkraften?

Meine Hoffnung ist, dass sich die Demonstrationen auch in Wahlergebnissen niederschlagen. Mich hat erschreckt, dass eine ehemalige AfD-Abgeordnete, die wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft sitzt, bei der Nachwahl in Berlin noch mehr Stimmen bekommen hat. Ein rechtsextremer Ministerpräsident würde dem Ansehen unseres Landes massiv schaden. Dass ausgerechnet in Deutschland wieder verfassungsfeindliche Kräfte im Aufwind sind, macht im Ausland vielen Angst. Das gefährdet auch unseren Wirtschaftsstandort, weil Fachkräfte abgeschreckt werden. Daher sind neben den eindrucksvollen Demonstrationen der Zivilgesellschaft auch die Unternehmen gefordert, noch stärkere Signale für unsere Demokratie und den Zusammenhalt in unserem Land zu setzen. In den vergangenen Wochen ist eine positive Dynamik bei den Unternehmen zu erkennen, die sich zum Beispiel mit großen Zeitungsanzeigen positionieren. Das macht mich zuversichtlich.

Menschen demonstrierten zuletzt bundesweit gegen die AfD und Rechtsextremismus. Hier vor dem Rathaus in Herne.
Menschen demonstrierten zuletzt bundesweit gegen die AfD und Rechtsextremismus. Hier vor dem Rathaus in Herne. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Was können die Schulen leisten, um die Demokratie zu stärken?

Medienkompetenz ist ganz entscheidend. Die Schülerinnen und Schüler müssen lernen, sich nicht nur auf TikTok oder YouTube zu informieren – und Informationen von Falschnachrichten zu unterscheiden. An unseren Schulen sollte immer auch der Wert der Demokratie vermittelt werden. Es geht aber auch um Erwachsenenbildung. Politische Bildung ist sehr wichtig.

Hilft es, das Wahlalter zu senken?

Bei der Europawahl im Juni dürfen zum ersten Mal auch 16-Jährige wählen. Das tut unserer Demokratie gut. Wir sollten mit der Bundestagswahl und den Landtagswahlen nachziehen. In einigen Bundesländern kann man schon mit 16 wählen, zum Beispiel in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder in Brandenburg. Manche haben Bauchschmerzen, wenn Jugendliche vor der Volljährigkeit das Wahlrecht haben. Ich werde aber nicht aufhören, für eine verfassungsändernde Mehrheit zur Absenkung des Wahlalters auf 16 zu werben. Für mich ist das Teil der Demokratieerziehung. Studien zeigen: Je früher Menschen wählen gehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie auch zukünftig regelmäßig an Wahlen teilnehmen.

Welchen Beitrag kann die Digitalisierung leisten? Sollte sich Deutschland an Estland orientieren, das Abstimmungen per Wahl-App vorbereitet?

Diese App möchte ich mir unbedingt anschauen, das könnte zukünftig ein sinnvolles Instrument sein. Mit dem estnischen Parlamentspräsidenten Lauri Hussar habe ich in dieser Woche erst darüber gesprochen. Selbstverständlich muss sichergestellt sein, dass eine Wahl-App nicht manipulierbar ist. Wir wollen gerade auch mehr junge Leute für Wahlen gewinnen und die Wahlbeteiligung erhöhen. Deshalb müssen wir offen für Neues sein.