Berlin. SPD, FDP und Länder wollen ein Bundesgesetz für die Bezahlkarte. Die Grünen weigern sich – und handeln sich einen heftigen Vorwurf ein.
Eigentlich hat sich die Berliner Ampel-Koalition ja vorgenommen, weniger zu streiten und Debatten hinter verschlossenen Türen auszutragen. Doch daraus ist bekanntlich nichts geworden. Kindergeld, EU-Lieferkettengesetz, Flottengrenzwerte für Lkw: Auch im neuen Jahr gibt es wieder jede Menge Clinch. Jetzt ist noch ein Thema hinzugekommen, das eigentlich bereits als weitgehend geklärt galt – nämlich die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber. FDP-Vize Wolfgang Kubicki droht sogar mit dem Ende der Koalition, auch die Bundesländer sind in Rage. Wir erläutern, worum es geht.
Was hat es doch gleich mit der Bezahlkarte auf sich?
Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Länder-Ministerpräsidenten hatten sich im vergangenen Herbst darauf verständigt, dass Asylbewerber künftig kaum noch Bargeld, sondern stattdessen elektronische Bezahlkarten erhalten sollen. Mit diesen Guthabenkarten ohne Kontobindung sollen sie in Geschäften Waren des täglichen Bedarfs kaufen können. Bund und Länder hoffen, dass Deutschland auf diese Weise weniger attraktiv für Asylbewerber wird. Die Argumentation lautet: Bekommen die Asylbewerber kein Bargeld, können sie auch kein Geld an Verwandte oder Freunde im Herkunftsland überweisen oder Schlepper bezahlen. Im besten Fall kommen viele Flüchtlinge erst gar nicht nach Deutschland, bleiben in ihren Herkunftsstaaten oder steuern andere Länder an, so die Hoffnung.
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Die Bezahlkarte solle „bundeseinheitlich“ sein. Es gehe auch darum, „den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen zu minimieren“, wie es im Beschlusspapier der Bund-Länder-Runde von Anfang November 2023 heißt. Die Kommunen ächzen unter der hohen Zahl an Flüchtlingen, die ins Land kommen beziehungsweise sich hier bereits aufhalten. Allein im vergangenen Jahr stellten hierzulande knapp 330.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl, was binnen Jahresfrist einer Zunahme um mehr als 100.000 entsprach. Die Kommunen und Länder müssen sich überdies noch um mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kümmern, die aber nicht unter das Asylrecht fallen und deshalb auch keine Bezahlkarten bekommen sollen.
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Gibt es die beschlossenen Bezahlkarten inzwischen?
Bislang gab es nur regionale Modellversuche, jetzt läuft die flächendeckende Einführung langsam an. Hamburg hat vor wenigen Tagen als erstes Bundesland begonnen, die „Socialcard“ genannte Karte an neu ankommende Asylbewerber auszugeben. Jeder Erwachsene erhält auf den Karten eine monatliche Gutschrift von 185 Euro.
Ende Januar hatten sich 14 von 16 Bundesländern auf gemeinsame Standards für ein Vergabeverfahren an einen Zahlungsdienstleister verständigt. Die technischen Möglichkeiten der Karten sollen in den teilnehmenden Ländern gleich sein. Die Bundesländer können aber jeweils entscheiden, ob sie den Geltungsbereich der Karten regional einschränken und ob sie bestimmte Branchen ausnehmen. Nicht möglich sollen Überweisungen auf andere Karten oder auf Konten sein sowie ein Einsatz im Ausland. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen als einzige Länder eigene Systeme einführen. Bayern plant den Start in zwei Wochen.
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Worum dreht sich jetzt der Streit in der Ampel?
Im Kern geht es um die Frage, ob die flächendeckende Einführung der Bezahlkarten im Bundesrecht gesetzlich abgesichert werden muss oder ob die bestehende Rechtslage ausreicht, damit die Länder tätig werden können. SPD und FDP wollen in der kommenden Woche im Bundestag unter anderem das Asylbewerberleistungsgesetz anpassen. Die Grünen aber ziehen nicht mit: Sie argumentieren, dass keine Gesetzesänderung notwendig sei und dies bisher auch das SPD-geführte Kanzleramt so gesehen habe.
In Berlin gibt es die Vermutung, dass die Ökopartei pokert, um an anderer Stelle Verbesserungen für Asylbewerber durchzusetzen – etwa dann, wenn diese einen Arzt aufsuchen wollen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte der Bild-Zeitung: „Sollten die Grünen diesen minimalinvasiven Eingriff in das Asylbewerberleistungsgesetz tatsächlich torpedieren, stellt das die Fortsetzung der Koalition infrage.“ Das Verhalten trage dazu bei, dass sich immer mehr Menschen von der Politik der Bundesregierung abwenden und die Problemlösungskompetenz demokratischer Institutionen anzweifelten. „Wer den Kampf gegen Rechts gewinnen will, darf sich so nicht verhalten“, sagte Kubicki.
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Was sagt die Regierung?
Das Kanzleramt war am Montag sichtlich bemüht, der Debatte die Schärfe zu nehmen. Die flächendeckende Einführung der Bezahlkarte sei auf einem guten Weg. Die notwendige Gesetzesänderung sei „so schmal, da fehlt mir der Glaube, dass es so viel Streit geben sollte“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Er gehe davon aus, dass die Grünen eine Formulierungshilfe aus dem Bundesarbeitsministerium mittragen. Diese werde im Kabinett beschlossen und dann im Bundestag behandelt.
Wie positionieren sich die Bundesländer?
Sie dringen auf eine Gesetzesänderung im Bund, um die Einführung der Bezahlkarte rechtssicher zu gestalten. Nach Angaben des Landes Hessen, das derzeit den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz innehat, geht es unter anderem darum, im Asylbewerberleistungsgesetz die Bezahlkarte ausdrücklich als mögliche Form der Leistungsgewährung zu nennen – neben Bargeld und Sachleistungen. Bereits jetzt ist dort allerdings auch von Wertgutscheinen und „vergleichbaren unbaren Abrechnungen“ die Rede. Den Angaben zufolge soll die geforderte Rechtsänderung überdies klarstellen, dass Bezahlkarten sowohl innerhalb als auch außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften das Mittel der Wahl seien sollen. Bislang haben außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen Geldleistungen Vorrang.
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Wie machen die Länder Druck?
Diverse Länder-Ministerpräsidenten haben sich bereits zu Wort gemeldet und eine rasche Lösung des Ampel-Streits gefordert. Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) warf den Grünen „Blockade“ vor und verlangte ein Machtwort von Kanzler Scholz. Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) mahnte einen raschen Kompromiss in der Koalition an.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) stellte angesichts des Streits sogar die Handlungsfähigkeit der Ampel-Koalition insgesamt infrage. Er sagte dieser Redaktion: „Wenn sich die Bundesregierung noch nicht mal bei einem so kleinen Punkt einig sein kann, dann schafft sie kaum, die großen Fragen zu lösen.“ Reul ergänzte: „Mit dem Hin und Her bei der Bezahlkarte verspielen wir weiterhin Vertrauen.“ Die Bezahlkarte sein zwar kein „phänomenaler Durchbruch“ in der Flüchtlingspolitik, „aber sie ist ein wichtiger Baustein, um für mehr Ordnung und Klarheit zu sorgen“, fügte der CDU-Politiker hinzu. „Städte und Gemeinden brauchen dringend Verlässlichkeit. Die angespannte Flüchtlingssituation lässt keinen Aufschub mehr zu.“
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