Berlin/Hamburg. Im Hamburger Hafen manipulieren Drogenkartelle Container, fälschen Papiere und schmieren Arbeiter. Chronik eines brisanten Falles.
Auch bei der Mafia läuft nicht immer alles nach Plan. Dabei scheint an diesem Sommermorgen Anfang Juli alles vorbereitet. Der Frachtbrief ist gefälscht, die Dokumente für den Zoll auch, der Auftrag für den Transport per Lastwagen in eine Lagerhalle außerhalb Hamburgs erteilt, die Zugmaschine besorgt. Und die Drogen sind auch endlich im Hamburger Hafen, verfrachtet über den Atlantik mit der „Jean Gabriel“, einem 300-Meter-Ozeankoloss.
Den Schmugglern geht es nur um einen Container, Nummer UACU3334821. Darin 500 Säcke Reis aus Guyana, verschifft über die Dominikanische Republik. In der Ladung mit Reissäcken versteckt: 1277 Pakete mit Kokain, insgesamt fast 1,3 Tonnen. Bei einem Straßenpreis von rund 70.000 Euro pro Kilo macht das einen Deal im Wert von fast einer Milliarde.
Und dann? Verschläft der Lkw-Fahrer. „Der Trottel“, schreibt eine der Komplizinnen über einen verschlüsselten Chat. Immerhin sieht sie noch was Gutes daran: „Dann können wir den Frachtbrief noch schöner gestalten?“ Das Kokain muss aus dem Hafen, irgendwie.
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Die Hinterleute sind nicht amüsiert. Seit Tagen lagert der Container mit dem Kokain im Hafen. Kopf der Bande ist D., klein, schmal, gerade 40, fast Glatzkopf. Um an die „Ware“ zu kommen, nutzt er Kontakte, die er privat knüpft: zu einer Mitarbeiterin der Hafenlogistik, eine jüngere Deutsch-Polin, die erst ihr Studium abbricht und dann eine Ausbildung zur Speditionskauffrau macht. Sie arbeitet im Hafen, wirbt eine Kollegin für die Drogengeschäfte an. Nennen wir sie M. und S.
Zahl der Drogentoten in Deutschland wächst seit Jahren
Die beiden Frauen fühlen sich dem Drogenboss freundschaftlich verbunden, suchen das Abenteuer, vor allem auch das Versprechen nach dem großen Geld. Ohne es genau zu wissen, arbeiten sie für ein Kartell, das tonnenweise Kokain nach Hamburg schmuggelt.
Allein bei D. ziehen die Ermittler später 26 Millionen Euro Drogengeld ein, der Richter spricht von einem „Verfahren der Superlative“. 10.000 Seiten Akten und Beweise. Vor allem aber ein Fall, der zeigt, welche Tricks die Drogenbanden anwenden, um Zoll und Polizei zu entwischen.
Im vergangenen Jahr entdeckten Polizei und Zoll rund 40 Tonnen Kokain in deutschen Häfen. So viel wie noch nie. Der Handel mit dem weißen Pulver boomt, die Kartelle in Kolumbien produzieren vor allem für den amerikanischen und europäischen Markt. Die Zahl der Drogentoten in Deutschland wächst seit Jahren.
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Das Einfallstor sind die Containerterminals. Und eine der Sicherheitslücken: die Mitarbeiter der Logistikfirmen. Hier sind es zwei Frauen, M. und S. Sie und ihr Auftraggeber nutzen Handys mit einer Krypto-Software, beliebt bei Kriminellen: EncroChat.
Die Clique gibt sich Decknamen, „slickcreek“ und „nicebeta“. Alles soll verschlüsselt ablaufen. Als es losgehen soll, schreibt der Kopf der Bande: „Ich gib ihm die papiere (…) und dann stelle ich frei wenn er da Ist am besten kurz vorher (…) und solald weg ist dann wieder aufheben“ in den Chat. M. antwortet ihm: „Genau (….) Weil wenn sonst der Reeder frei stellen will gibt es Probleme“. So ist es in den Protokollen des Landgerichts Hamburg vermerkt, die unserer Redaktion vorliegen.
Die Frauen M. und S. arbeiten im Hafen, sie haben Zugang zu den Computersystemen, mit denen die Containertransporte organisiert werden. Sie kommen in die digitale Auskunftssoftware „Coast 3“, sehen, wo der Container mit dem Kokain zwischen den gigantischen Warentürmen lagert, können Zertifikate erstellen, die notwendig sind, damit Lastwagen-Fahrer die Container aus dem Hafen abholen können. Nicht die Technik ist die Schwachstelle, sondern der Mensch.
Acht Millionen Container schlagen Firmen jedes Jahr um
Als der Lkw-Fahrer den Drogen-Container dann endlich aus dem Hafen schaffen will, bekommt er Informationen über die verschlüsselten Chats. Es ist eine Kette, in der die Frauen nicht den Fahrer kennen. Nur D. kennt ihn, gibt die Nachrichten weiter. „Wenn es nicht klappt mit Schalter 1 dann geht der andere Fahrer rein und probiert es bei der anderen Frau!“, schreibt S.
Als der Fahrer keinen Erfolg hat, passen die Dealer den Plan an. „Änder mal schnell auf 9 Uhr den tourenplan!!! Und dann wenn er vorne durch die Schranke fährt und den tourenplan eingegeben hat, hat er 10 min und bei Lars zu sein!“ Auch das geht aus dem Urteil des Gerichts hervor, das die Richter im Sommer 2023 fällen.
Doch die Abfuhr des Containers scheitert. Der Zoll hat die Ware mit dem Reis gesperrt, sie darf bis zur Prüfung nicht aus dem Hafen, eine Routinekontrolle, nicht weil sie von dem Kokain wussten.
Die Drogenbande wütet. Schon ein paar Monate zuvor war es passiert, dass Fahnder ihnen auf die Schliche gekommen waren. „Der hurensohn wollte uns wieder hoch gehen lassen“, schreibt die Hafenmitarbeiterin M. an ihren Auftraggeber. „Bei einem war die Zollfahndung dran“.
Und doch erwischten die Ermittler das Kokain damals nicht, auch nicht die Dealer. Den Container schaffte die Bande aus dem Hafen, im Buchungssystem der Logistikfirma gaben sie an, man fahre die Ware zur Prüfstelle des Zolls. Doch in Wahrheit transportierte ein Fahrer den Container schnell zur Lagerhalle bei Hamburg, lud die Drogen ab, mit einem gefälschten Siegel ging es zurück zum Zoll. Damit niemand Verdacht schöpft.
Drogen zwischen Kisten mit Reis, Gelatine oder Bananen
Mehr als acht Millionen Container schlagen Firmen im Hamburger Hafen jedes Jahr um. 14 Millionen sind es in Rotterdam, mehr als 12 Millionen in Antwerpen. Es ist ein Labyrinth aus Waren, Terminals, Kränen, Lastwagen. Der Zugang führt oft über Mitarbeiter der
und Logistikfirmen, die für organisierte Banden arbeiten, meist heimlich, ohne dass ihre Unternehmen etwas ahnen. Die „Tür am Hamburger Hafen“, so nennen Kriminelle ihre wertvollen Komplizen. Von „Innentätern“ sprechen die Ermittler, von „parasitären“ Methoden.
Die Gruppe um D. versteckte die Drogen zwischen Kisten mit Reis, Gelatine oder Bananen. Andere Banden in Belgien und den Niederlanden heuern Jugendliche an, die sich auf Ladeflächen von Lastwagen verstecken, nachts herauskriechen und die Drogen aus den Containern fischen. Oft verstecken die lateinamerikanischen Drogendealer die Ware direkt hinter den Containertüren, schnell greifbar im Zielhafen. Unter Zollfahndern bekannt als „Rip-on/Rip-off“-Methode.
Andere Kriminelle schweißen Containerböden auf, oder sie deponieren die Drogen hinter den dicken Wänden der Kühlanlagen von Frischwaren. In der Regel ohne Wissen der Produzenten und Transportunternehmen. Doch nicht nur in Hamburg oder Rotterdam bestechen die Kartelle die Hafenarbeiter.
Erstmals kamen Fahnder an die Köpfe hinter den Kartellen
Firmen und Sicherheitsbehörden rüsten auf, gründen eine „Allianz Sicherer Hafen“, errichten Zäune, montieren Überwachungskameras. Sogar Drohnen kontrollieren das Hafengebiet von oben.
Die
arbeiten mit fälschungssicheren Siegeln für die Container. Auch verbessern die Regierungen die Zusammenarbeit von Polizei und Zoll in den betroffenen Staaten, gerade war Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in Lateinamerika, bald reist Bundesinnenministerin Nancy Faeser für Gespräche dorthin.
Technik soll bei der Überwachung helfen, Kampagnen sollen Mitarbeiter der Hafenbetriebe über die Machenschaften der Drogenbanden aufklären. Aufklären, abschrecken und anschwärzen, so etwa will sich der Hafen vor Anwerbeversuchen der Dealer schützen.
Helfen soll ein anonymes Hinweisgeberportal. Auf die Spur der Drogenbande um D. kommen die Ermittler durch die verschlüsselten Handydaten. Die französische Polizei knackte die Krypto-Software und lieferte deutschen Behörden Tausende Daten. Nicht von den kleinen Straßendealern, sondern erstmals kamen Fahnder an die Köpfe hinter den Kartellen.
Als mehrere Versuche der Gruppe scheitern, den Container mit Kokain vom Hafengelände zu schaffen, bereden die Frauen gemeinsam mit Drogenboss D. einen letzten Versuch. Diesmal nicht ausgeklügelt, ohne dass sie Papiere fälschen oder sich verdeckt ins Buchungssystem des Hafens einloggen. Diesmal ganz simpel, mit einem Bolzenschneider wollen sie den Zaun zum Hafen zerschneiden. „Das ist ja direkt an der Straße“, schreibt S. Doch da lesen und hören die Ermittler längst mit.
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