Brüssel/Berlin. Um den Klimaschutz voranzutreiben, setzt die EU auf unterirdische C02-Speicher. Als Standort hat sie dabei auch Deutschland im Blick.
Eine umstrittene Technik soll dem Klimaschutz auch in Deutschland den entscheidenden Schub geben. Die Idee dahinter: Der Klimakiller Kohlendioxid wird bei der Verbrennung nicht mehr in die Luft geblasen, sondern chemisch aus den Gasen herausgelöst und in riesige unterirdische Deponien gepresst. Umweltverbände haben große Bedenken, aber die Europäische Union setzt jetzt massiv auf diese CCS-Technologie (Carbon, Capture and Storage). Damit steht Deutschland allerdings vor neuen Klimaschutz-Konflikten: Wo kann das Treibhausgas vergraben werden, wo sollen die Deponien hin? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Klimaschutz-Technik CCS: Was plant die EU?
Bis 2030 sollen in Europa Deponie-Kapazitäten für jährlich 50 Millionen Tonnen CO₂ geschaffen werden, das entsprechende „Netto-Null-Industriegesetz“ wird in Brüssel in Kürze final beschlossen. Jetzt legt die EU-Kommission nach: Sie schlägt ein neues Klimaschutz-Ziel vor – und zwatr die Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 – und setzt dafür auch stark auf die CO₂-Speicherung. Der Plan sieht vor, dass ab 2040 mindestens 300 Millionen Tonnen jährlich eingespeist werden – das entspräche knapp der Hälfte der aktuellen Jahres-Gesamtemission an Kohlendioxid in Deutschland. Ab 2050 soll die jährliche Deponiekapazität um 50 Prozent ausgeweitet werden, damit der Kontinent klimaneutral wird.
Die EU will so den Betrieb energieintensiver Industrien wie Stahl, Zement und Chemie sichern, aber auch Gaskraftwerke länger laufen lassen. In vielen EU-Staaten gibt es dafür bereits Vorbereitungen: Rund um die Nordsee ist ein knappes Dutzend Speicher-Projekte unter dem Meeresboden geplant, vor allem Norwegen und Dänemark mit ihren alten Erdgasfeldern bieten sich als Deponie-Dienstleister an. Aber: Bislang decken die gemeldeten Kapazitäten selbst das Anfangsziel von 2030 nur zur Hälfte, klagt die Kommission in ihrem Bericht. Deshalb macht sie jetzt massiv Druck. Sie will die Mitgliedstaaten verpflichten, geeignete Gebiete zu benennen und jährlich über die Projektfortschritte zu berichten.
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CO₂-Speicher: Was will die Bundesregierung?
In Ostdeutschland und im Ruhrgebiet waren in den Nuller-Jahren vier große CCS-Projekte geplant. Aber nachdem Bürgerinitiativen und Umweltverbände Sturm dagegen liefen, wurde die unterirdische Speicherung 2012 per Gesetz faktisch verboten. Bliebe es dabei, ließe sich das Ziel der Klimaneutralität kaum erreichen. Das Umweltbundesamt beziffert die unvermeidbaren CO2-Emissionen der heimischen Industrie auf jährlich 43 Millionen Tonnen. Dies und der Druck der EU zwingen die Bundesregierung, die CCS-Technologie nun doch zuzulassen.
Das Wirtschaftsministerium wird in Kürze eine Carbon-Management-Strategie vorlegen, danach soll laut Ministerium das Kohlendioxidspeicher-Gesetz geändert werden. Es geht um den Aufbau der Anlagen zur CO₂-Abscheidung, die Genehmigung von Pipelines – aber auch um die Erlaubnis für CO₂-Deponien. Noch ist unklar, ob die Endlagerung an Land erlaubt werden soll oder etwa auf die nördliche Nordsee beschränkt bliebe. Minister Robert Habeck (Grüne) hält die Technik für sicher, er hat die halbstaatliche Deutsche Energieagentur (Dena) um eine Empfehlung gebeten, die deutlich ausfällt: Die Dena sieht große Vorteile in einer geologischen CO₂-Speicherung auch innerhalb Deutschlands.
Standorterkundungen sollten zeitnah beginnen, damit ab Mitte der 2030er Jahre auch in Deutschland erstes CO₂ in Speichern eingelagert werden könne, in späteren Jahren jährlich bis zu 70 Millionen Tonnen. Nationale Deponien würden nicht nur zusätzliche Speicherkapazitäten ermöglichen, erklärt die Energieagentur, Vorteile wären kürzere Transportwege, geringere Kosten und die Möglichkeit, in eigener Hoheit präzise Umweltstandards festzulegen.
CCS in Deutschland: Wo sind mögliche Standorte?
Das ist gut erforscht. Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover ist poröses Sedimentgestein in mehr als einem Kilometer Tiefe besonders gut geeignet. Das gebe es in den großen Sedimentbecken Nord- und Ostdeutschlands, nördlich der Alpen in Bayern und Baden-Württemberg (Molassebecken) und weiteren kleineren Regionen. Die BGR-Experten halten nach Informationen unserer Redaktion aber vor allem dutzende ausgebeutete Erdgasfelder in der norddeutschen Tiefebene mit einer Kapazität für 2,7 Milliarden Tonnen Kohlendioxid für schnell und sicher nutzbar.
Denkbar wären etwa Hengstlage bei Oldenburg oder Siegenburg bei Nienburg. Die größte Lagerstätte befände sich in Salzwedel (Sachsen-Anhalt). Für sie gab es vor anderthalb Jahrzehnten bereits Pläne. Ebenso für die unterirdische CO₂-Verpressung in Brandenburg, zum Beispiel in Beeskow und Neutrebbin. Oder auch in Ketzin, wo in Deutschlands einzigem Testspeicher tatsächlich CO2 gelagert wurde, während Vattenfall in Jänschwalde ein CCS-Kohlekraftwerk plante. Doch Kritiker gingen auf die Barrikaden, Bürgerinitiativen bliesen zum Protest – auch die Projekte in Brandenburg wurden aufgegeben.
Warum warnen Umweltverbände vor Gefahren?
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz sagt: „Die CCS-Technik birgt massive Umwelt- und Gesundheitsrisiken“. Sie sei „ökologisch, ökonomisch und gesellschaftspolitisch in höchstem Maße gefährlich“. So drohten Schäden für Grundwasser und Böden, die chemische CO2-Abscheidung verbrauche viel Energie und führe zur Luftverschmutzung, das Transportnetz sei havariegefährdet. Skeptisch ist auch Greenpeace.
Das Umweltbundesamt sieht im Normalbetrieb keine negativen Folgen für die menschliche Gesundheit, betont aber Risiken durch Unfälle oder durch die allmähliche Freisetzung von CO2. Auch für das Grundwasser gebe es Risiken, so die Behörde. Der Grünen-Europapolitiker Michael Bloss ist empört: „Anstatt ganz auf günstige Energie aus Sonne und Wind zu setzen, schlägt die EU-Kommission Gas- und Kohlekraftwerke vor, die mit einer Zombie-CO2-Abscheidung ausgestattet sind.“
Bloss sieht darin ein „Mega-Geschenk für die Großkonzerne“ und warnt, auch vergrabenes CO2 „kommt irgendwann wieder ans Tageslicht.“ Auch in der Koalition bremsen die Grünen. Geht es nach ihnen, bliebe CCS auf absolut unvermeidbare Emissionen etwa in der Zementindustrie und der Abfallwirtschaft beschränkt und die Speicherung in Deutschland komplett verboten. Aber: Auch der Weltklimarat sieht CCS als Teil der Lösung.
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Wer befürwortet die CCS-Technologie?
In Deutschland sind die Umweltverbände Nabu und WWF für die Speicherung – in einer gemeinsamen Initiative mit dem Industrieverband BDI und dem DGB fordern sie jetzt die Bundesregierung zum zügigen Handeln auf. Die Union macht ohnehin Druck: Sie drängte Habeck schon per Bundestags-Vorstoß, Lösungen für Abscheidung, Transport und die Speicherung von CO₂ zu entwickeln – „in ausländischen und perspektivisch auch in inländischen Lagerstätten“. Der CDU-Umweltexperte im EU-Parlament, Peter Liese, mahnt: „Wir müssen ganz schnell die Lagerung und Speicherung von CO₂ in Deutschland erlauben“.
Im westfälischen Geseke in Lieses Wahlkreis plant das Unternehmen Heidelberg Materials das erste komplett klimaneutrale Zementwerk Europas, das die EU mit einem dreistelligen Millionenbetrag fördern will. Das abgeschiedene CO₂ (700.000 Tonnen im Jahr) soll per Eisenbahn, später über eine Pipeline nach Wilhelmshaven transportiert und in Nordsee-Deponien verpresst werden, berichtet Unternehmensvertreter Winston Beck. 2029 soll die Anlage in Betrieb gehen, es gibt nur ein Problem: Das Projekt ist so noch gar nicht zulässig. „Der rechtliche Rahmen“, fordert Beck, „muss schnellstens geklärt werden“.