Brüssel/Berlin. Alle wichtigen Fakten zu „Steadfast Defender“: Ablauf, Soldaten, Waffen, Einsatz. Was auf Deutschland zukommt – wie Moskau reagiert.
Die Nato hat ihre größte Militärübung seit 35 Jahren gestartet. 90.000 Soldaten üben in „Steadfast Defender 2024“ zu Luft, Land und See die Verteidigung gegen einen russischen Angriff – sie sollen damit Russland vor einem Überfall abschrecken. Bald rollen durch Deutschland Panzerkolonnen und andere Militärtransporte. Was dahinter steckt, wie das Manöver abläuft, was die Bürger erwartet, wie scharf Russland reagiert.
Wie viele Soldaten nehmen an Steadfast Defender teil?
90.000 Soldaten von allen 31 Nato-Staaten und aus Schweden, das der Allianz in Kürze beitritt. 12.000 Soldaten setzt die Bundeswehr ein, bis zu 20.000 kommen aus Großbritannien, 15.000 aus Polen.
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Wann gab es ähnlich große Nato-Manöver?
Das letzte Manöver in dieser Dimension fand 1988 statt, also kurz vor Ende des Kalten Krieges. Bei „Reforger“ waren damals 125.000 Soldaten im Einsatz. Wegen der zunehmenden Spannungen mit Russland seit der Krimbesetzung übte die Nato 2018 mit „Trident Juncture“ schon wieder mit 50.000 Soldaten.
Steadfast Defender: Wie ist der Zeitplan?
Das Manöver hat am 24. Januar begonnen, als das US-Landungsschiff Gunston Hall seinen Hafen in Norfolk (Virginia) Richtung Europa verließ. Der eigentliche Start in Europa ist Mitte Februar, enden wird das Manöver im Juni im Baltikum.
Welche Waffen werden beim Manöver eingesetzt?
Erwartet werden mehr als 50 Kriegsschiffe, vom Flugzeugträger über U-Boote bis zu Zerstörern, über 80 Kampfjets (F-35, FA-18, Harriers, F-15), dazu Hubschrauber und viele Drohnen. Angekündigt sind auch mindestens 1100 Kampffahrzeuge, darunter 150 Panzer und über 500 Gefechtsfahrzeuge der Infanterie.
Warum ist das Nato-Manöver so ungewöhnlich?
Erstens der Umfang, zweitens die Zielrichtung. Der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, Christopher Cavoli, sagt: „Es wird die größte Nato-Übung seit Jahrzehnten sein.“ Bewiesen werden soll die Einsatzfähigkeit über mehrere Monate und über Tausende Kilometer an der Nato-Ostflanke „unter jeder Bedingung“. Zweitens wird das Manöver anders als bisher kaum verhüllt Russland als Angreifer darstellen – sonst spielten solche Übungen in Fantasieländern wie „Bothnia“ mit fiktiven Straßen, Häfen, Grenzen, um jedes Missverständnis über die friedlichen Absichten der Nato zu vermeiden. Jetzt wird Russland zwar nicht beim Namen genannt, doch auf den Manöver-Karten kommt der Angriff aus Belarus und Russland – und die Nato übt auch dicht an der Ostgrenze und verwendet echte Geodaten.
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Wie reagiert Russland auf Steadfast Defender?
Präsident Wladimir Putin lässt seine Scharfmacher von der Kette: „Diese Übungen sind ein weiteres Element des hybriden Krieges, den der Westen gegen Russland entfesselt hat“, sagt der russische Vize-Verteidigungsminister Alexander Grushko. „Eine Übung dieser Größenordnung markiert die endgültige und unwiderrufliche Rückkehr der Nato zu den Plänen des Kalten Krieges.“ Militärischer Planungsprozess, Ressourcen und Infrastruktur würden auf die Konfrontation mit Russland vorbereitet. Die Nato hat Hinweise, dass Russland versuchen wird, das Manöver mit elektronischen Attacken zu behindern: Dazu gehört vor allem die Störung von GPS- und Funksystemen, das sogenannte Jamming. Schon jetzt klagen Nato-Piloten, die über die Ostsee fliegen, dass ihre Navigationssysteme nicht mehr richtig funktionieren.
Was ist das Ziel von Steadfast Defender?
Es gibt drei Ziele: Erstens dienen solche Manöver dazu, Konzepte, Systeme und Taktiken zu testen und zu bewerten, wie die Nato erläutert. Trainiert werden sollen zum ersten Mal die neuen Verteidigungspläne der Nato, die 2023 beschlossen wurden, vor allem die Alarmierung und der Transport („Verlegung“) von nationalen und multinationalen Landstreitkräften zum Einsatzort. Der Transport innerhalb Europas gilt als große Schwachstelle der Nato, die Übung dürfte das unterstreichen. Eisenbahnen, Straßen und Brücken sind in West-Ost-Richtung nicht ausreichend für Schwerst-Transporte präpariert. Es fehlt auch an Militärzügen, wie der frühere US-Befehlshaber in Europa, Ben Hodges, jetzt in Berlin sagte: „Heute gibt es insgesamt Kapazitäten für den Transport von eineinhalb Panzerbrigaden. Das ist alles. Aber alle unsere Pläne erfordern es, acht, neun oder zehn Panzerbrigaden gleichzeitig in Europa zu bewegen.“
Zweitens will die Nato das warnende Signal der Stärke gegenüber Russland aussenden. „Die Allianz wird ihre Fähigkeit demonstrieren, den euroatlantischen Raum zu verteidigen, auch durch Truppenbewegungen von Nordamerika“, sagt General Cavoli. Es geht um Abschreckung.
Und drittens um eine markige Ansage nach innen zum 75-jährigen Jubiläum der Nato in diesem Jahr, das im Juli mit einem Gipfel in Washington gefeiert wird: „Steadfast Defender wird eine klare Demonstration unserer Einheit, Stärke und Entschlossenheit sein, uns gegenseitig, unsere Werte und die regelbasierte internationale Ordnung zu schützen“, erklärt die Allianz.
Wo findet das Nato-Manöver statt?
Der Übungsraum erstreckt sich längs von Norwegen bis nach Rumänien. Der erste Teil spielt sich vor allem auf dem Nord-Atlantik, in der Arktis und in der Ostsee ab. Der zweite Teil findet auch in Mittel- und Osteuropa statt – hier geht es vor allem um die schnelle Verlegung von Truppen und das anschließende Gefecht. Deutschland spielt als Drehscheibe für Truppentransporte eine zentrale Rolle. Übungen werden am Ende auch in den baltischen Ländern und in Rumänien stattfinden.
Wie läuft Steadfast Defender ab?
In der ersten Phase bis Mitte März werden US-Soldaten nach Europa gebracht, gemeinsam mit kanadischen und europäischen Truppen üben sie die Landung erst an der britischen Küste und dann vor allem in Norwegen, auch in der Arktis. In der zweiten Phase von Mitte Februar bis Ende Mai wird die Truppenverlegung auf dem Landweg trainiert, von Norwegen nach Finnland, von Mitteleuropa nach Polen und ins Baltikum, mit anschließenden Gefechtsübungen. In einer dritten Phase werden Truppen per Flugzeug nach Rumänien und ins Baltikum verlegt. Angenommen wird eine russische Invasion auf östliches Nato-Territorium, die zum Ausrufen des sogenannten Bündnisfalls führt und damit eine Beistandsverpflichtung aller Nato-Staaten auslöst. Dem Vernehmen nach wird unter anderem durchgespielt, dass Angreifer über die Suwalki-Lücke zwischen Polen und Litauen einmarschieren und dann nach Polen und ins Baltikum vorrücken und dort von Nato-Truppen zurückgeschlagen werden.
Nato-Manöver: Was macht die Bundeswehr?
Als Beitrag plant die Bundeswehr ein vierstufiges Großmanöver „Quadriga 2024“ mit mehr als 12.000 Soldaten von Heer, Marine und Luftwaffe, die vor allem die schnelle Verlegung an die Nato-Ostflanke üben sollen. Zunächst sind Truppenteile etwa der Gebirgsjäger im Norden Norwegens gefragt. In der zweiten Phase von März bis Mai finden Übungen der Bundeswehr in Polen und Litauen statt. Als Höhepunkt gilt die Verlegung der 10. Panzerdivision nach Litauen Mitte Mai, wo die Soldaten den geschlossenen mechanisierten Einsatz mit Kampf- und Schützenpanzern üben sollen. Die erforderlichen Truppentransporte werden in Deutschland auch über Bundesstraßen und Autobahnen erfolgen – die Bundeswehr will rechtzeitig informieren, um Staus zu vermeiden. In der dritten Phase werden Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte (DSK) die Verlegung und den Einsatz an der südlichen Ostflanke, vor allem in Rumänien, trainieren.
Fürchtet die Nato tatsächlich einen Angriff Russlands?
Östliche Nato-Staaten schon, die Allianz eher nicht. Zwar hat der russische Überfall auf die Ukraine die Aggressionsbereitschaft des Kreml und von Präsident Wladimir Putin persönlich belegt. Aktuell hätte Russland aber gar nicht die militärischen Reserven, um einen konventionellen Krieg mit der Nato zu führen. Doch will die Allianz vorsorgen für den Fall, dass Russland nach einem Ende des Ukraine-Kriegs zügig wieder aufrüstet und dann in fünf bis acht Jahren über eine moderne, gut trainierte Armee verfügt. Russland soll auch unter diesen Umständen von einem Angriff abgehalten werden, durch mehr Präsenz an der Ostflanke und glaubwürdige Verteidigungsbereitschaft. Diese Abschreckung ist wie im Kalten Krieg wieder die Kernaufgabe der Nato. „Ich sage nicht, dass es morgen schiefgeht, aber wir müssen erkennen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir in Frieden sind“, sagt Rob Bauer, der Chef des Nato-Militärausschusses. „Und deshalb haben wir die Pläne. Wenn sie uns angreifen, müssen wir bereit sein“.
Könnte Russland auch Deutschland angreifen?
In den Nato-Planspielen spielt das keine Rolle. Es geht um Szenarien, in denen Russland versuchen könnte, Teile Osteuropas – vor allem die einst zur Sowjetunion gehörenden baltischen Staaten – zu besetzen und die Nato-Alliierten mit der Drohung eines Atomwaffeneinsatzes aufzuhalten. Deutschland aber ist nicht mehr Frontstaat, die Bedrohung ist nach Osten gerückt. „Das bedeutet, ich erwarte jetzt nicht die Panzerschlacht in der norddeutschen Tiefebene, hoffentlich auch keine Luftlandung von russischen Fallschirmjägern“, sagt der Oberbefehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant André Bodemann. „Aber unsere kritischen Infrastrukturen, die Häfen, Brücken, Energieunternehmen, die werden natürlich bedroht durch Sabotageakte, vielleicht auch durch Spezialkräfte, die eingesickert sind und versuchen, hier genau diese kritischen Infrastrukturen zu stören.“
Manöver Steadfast Defender: Woher kommt der Name?
Steadfast Defender heißt etwa „Standhafter Verteidiger“. Der Manövername enthält einen Code: Der erste Buchstabe des ersten Wortes bezeichnet das verantwortliche Kommando – S steht dabei für Supreme Headquarters Allied Powers Europe (Shape), das militärische Nato-Hauptquartier im belgischen Mons, das die Regie führt. Das zweite Wort signalisiert, dass diese Übung eng abgestimmt ist dem US-Manöver „Defender Europe“.