Hampton/New Hampshire. In New Hampshire wollen viele Menschen Trump eine zweite Chance geben. Nur er könne sie retten, sagen sie – und glauben seine Lügen.
Es ist kein Kindergeburtstag, im Winter von New Hampshire Donald Trump-Fan zu sein. Vor der blau illuminierten SNHU-Arena in Manchester zieht sich der Bandwurm fast einen Kilometer um die Häuserblocks. Bei schneidendem Wind und minus 20 Grad stehen Hunderte Menschen geduldig Schlange, um den favorisierten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner live zu sehen. Niemand flucht über die zähflüssige Abfertigung an den Sicherheitsschleusen der Halle, in der Trump später rund 9000 beseelte Anhänger mit seinem Standardprogramm bedienen wird: „Wir werden Amerika wieder groß machen.“
Bill Gosens aus dem benachbarten Londonderry ist einer der Wartenden. Der 68-jährige pensionierte Kraftfahrer verkörpert einen Typus, den Demoskopen als „Die Hard“-Wähler des Ex-Präsidenten bezeichnen. Ein hundertprozentiger Bewunderer. „Unter Trump war Amerika an der Sonne. Mit Joe Biden ist es Nacht geworden. Sehen Sie sich nur die außer Kontrolle geratene Lage an der Grenze zu Mexiko an. Stattdessen hampeln wir mit viel Geld in der Ukraine herum. Und erst die Preise im Supermarkt. Alles Mist. Nur Trump kann uns retten.“
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Zwischenfragen, etwa nach Trumps mannigfachen juristischen Verwicklungen rund um den blutigen Sturm aufs Kapitol, quittiert der Mann mit dem beachtlichen Trucker-Bauch mit Geringschätzung. „Alles erfunden von den korrupten, liberalen Medien. Die Demokraten sind der Teufel. Ich wähle definitiv Trump.“
Trump-Anhänger: „Wir brauchen endlich einen starken Mann“
Gosens Standpunkt ist vor der Vorwahl am Dienstag im kleinen Neuengland-Bundesstaat kein Ausreißer. Schon beim Auftakt vor einer Woche in Iowa kam heraus, dass über 60 Prozent der Trump-Wähler Präsident Biden für illegitim und die Wahl 2020 für „gestohlen“ halten. Immer noch. Und dass sie Trumps diktaturähnliche Pläne für eine zweite Amtszeit und seine Verachtung für die parlamentarische Demokratie mit leiser Bewunderung statt mit Entsetzen aufnehmen.
Gosens sagt es unverblümt so: „Wir brauchen endlich einen starken Mann, der dem Kongress in den Hintern tritt und Amerika ohne Rücksicht auf Verluste voranbringt.“ Ihm leuchte darum „völlig ein“, wenn Trump auf offener Bühne und mit Blick auf eine erwartete Entscheidung des Obersten Gerichts „absolute Immunität“ für sich einfordert. Und das mit der steilen These garniert, US-Präsident Harry Truman hätte im Zweiten Weltkrieg wohl niemals Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abwerfen lassen, wenn er die Gefahr gesehen hätte, dafür später belangt zu werden.
Dee Atwater, eine 72-jährige ehemalige Krankenschwester aus Merrimack, kriegt bei solchen Sätzen „Hautausschläge“. Sie gehört keiner Partei an, zählt zu den 40 Prozent „Independents“ in New Hamsphire, auf deren Wahlverhalten es besonders ankommt. Atwater verlässt am Sonntagmorgen die Gilbert H. Hood Middle School in Derry mit einem „Gefühl der Zufriedenheit“.
Konkurrentin Haley will Aussetzer von Trump für sich nutzen
Kurz vorher hat Nikki Haley ihre 20-minütige Rederoutine in der gut gefüllten Aula beendet. Trump bringe „überall Chaos“ mit sich, habe Amerika unverantwortlich tief verschuldet und verfolge persönliche Rachegelüste, anstatt „nach vorn zu schauen“. Bei ihrer Kritik verlässt Haley die bis dato sanfte Tonlage gegenüber ihrem ehemaligen Boss, die frühere Gouverneurin von South Carolina war unter Trump UN-Botschafterin gewesen. Sie, die 52-jährige Tochter indischer Einwanderer, hält Trump für entschieden zu alt und geistig nicht mehr ausreichend auf der Höhe, um Amerikas Geschicke in die richtige Richtung zu lenken.
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Dabei nutzt sie einen bemerkenswerten Aussetzer des 77-Jährigen. In einer Rede am Wochenende machte Trump Haley für die Katastrophe am Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 mitverantwortlich. Allein, Nikki Haley war an dem Tag Hunderte Kilometer weit weg und sowieso nicht zuständig. Trump hatte sie schlicht mit der damaligen demokratischen Chefin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verwechselt – und das gleich vier Mal. Haley: „Der Präsident der Vereinigten Staaten entscheidet über Krieg und Frieden. Wir brauchen da Leute, die im Zenit ihres Könnens stehen.“
Dee Atwater nickt heftig. „Trump kann einfach nie die Klappe halten. Seine Emotionen schalten den Verstand aus. Bei Nikki Haley überzeugt mich die außenpolitische Erfahrung und ihr abgewogener Blick auf die Dinge. Sie hat meine Stimme sicher – auch wenn ich weiß, dass sie die Außenseiterin ist.“
Umfragen sehen Trump in New Hampshire bis zu 20 Punkte vorn
Wohl war. Letzte Umfragen sehen Trump in dem eher moderateren und säkularen New Hampshire zwischen 10 und 20 Prozentpunkte vor Haley. Nach dem plötzlichen Ausstieg von Florida-Gouverneur Ron DeSantis, der sich eine weitere Demütigung wie in Iowa ersparen wollte und seine Kampagne kleinlaut beendete, werde Trump wahrscheinlich von „vielen Überläufern“ profitieren, schreibt der „Union Leader”, die über 160 Jahre alte, größte und Trump in tiefer Feindschaft verbundene Zeitung des Bundesstaates.
Wie groß der Extrazuspruch wohl sein wird, war am Sonntagabend im Opernhaus von Rochester das Thema schlechthin. Verbunden mit der Einschätzung, dass Haley im Falle einer weiteren Niederlage „wirklich einpacken“ könne. „Die Milliardäre, die ihr im Moment noch das Geld zustecken“, sagt Deborah Richens, „werden nicht länger in ein lahmes Pferd investieren.“
Die frühere Lehrerin hält die Euphorie, die New Hampshires Gouverneur und Trump-Gegner Chris Sununu zugunsten von Haley erzeugt, für „gekünstelt“. Die Hoffnung, dass der Abgang von DeSantis nun einen Extramobilisierungsschub parteiunabhängiger Wähler für die „Globalistin und vom Großkapital gesteuerte“ Haley auslösen und Trumps Siegeszug entschleunigen werde, sei „absolutes Wunschdenken“. Ihre Überzeugung: „New Hampshire ist Trump-Country.“
An einen Sensationssieg von Haley glauben auch Demokraten nicht
Richens begreift nach eigenen Worten nicht, warum die liberalen Eliten in Washington nicht erkennen wollen, dass „ein großer Teil Amerikas seit 2020 fest entschlossen ist, Trump eine zweite Chance zu geben, weil ihm beim ersten Mal durch Betrug nicht genug Zeit blieb, um das Land zu erneuern“. Wie ernst es damit gemeint sei, könne man ganz klar an den Umfragen ablesen. „Seit Trump im vergangenen März von demokratischen Helfershelfern Joe Bidens in New York angeklagt wurde, sind seine Zahlen beständig nach oben gegangen. Wir haben früh durchschaut, dass hier ein unliebsamer Kandidat mundtot gemacht werden soll. Wird nicht funktionieren.“
An das „Wunder von New Hampshire“, an einen Sensationssieg von Haley, glauben auch prominente Demokraten nicht. Andrew Yang, der New Yorker Tech-Unternehmer, der 2020 vorübergehend Präsidentschaftskandidat in Konkurrenz zu Joe Biden war, sagte am Sonntag gegenüber dieser Zeitung: „Ich denke, der Kuchen ist gebacken. Nikki Haley hat keine Chance, Trump wird die republikanische Kandidatur bekommen. Das Gros der Leute will ihn.“ Yang hält seine Partei mit Blick auf die Umfragen, die Trump bei einer Neuauflage des 2020er-Duells vorn sehen, für schlecht aufgestellt. „Joe Biden würde im Herbst gegen Trump verlieren.“ Auch wenn es noch früh im Wahljahr sei: „Die Zahlen lügen nicht.“
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