Berlin. Was hält die Ampel noch zusammen? Der Grünen-Politiker Hofreiter nennt ein Projekt. Doch das blockiert ausgerechnet der Bundeskanzler.
Diesen Keil konnte die Union nicht in die Koalition treiben. Als die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen Antrag zur Abstimmung stellt, „unverzüglich“ der Ukraine deutsche Marschflugkörper Taurus zu liefern, lehnen die Ampel-Abgeordneten dies mit ihrer Mehrheit ab. Kanzler Olaf Scholz ist schließlich dagegen. Die Taurus-Debatte birgt aber Sprengstoff für die Koalition. Denn FDP und Grüne drängen Scholz, Taurus an die Ukraine abzugeben.
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wirft der Union nach der Abstimmung eine „plumpe“ PR-Show vor. Gleichzeitig kritisiert sie aber den „unglaublichen Starrsinn im Bundeskanzleramt“ und kündigt an: „Spätestens im Februar muss und wird ein Antrag der Ampel-Parteien vorliegen, der die Lieferung von Taurus und die weitere Unterstützung der Ukraine beinhaltet.“ Seit Monaten liegt die Taurus-Entscheidung bei Olaf Scholz.
Wolfgang Kubicki kommen Zweifel, ob die Ampel hält
Ob er noch nachdenkt, ob er sich schon entschieden hat und dies nur nicht mitteilt, die Koalitionspartner wissen es nicht. In dem Bündnis wächst die Ungeduld mit dem Kanzler nicht nur in dieser Frage. Wer sich in der Koalition umhört, stößt auf Ratlosigkeit und Verunsicherung: Kann und will Scholz noch einen anderen Gang einlegen? Schaffen wir es bis zum regulären Ende der Legislaturperiode?
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„Der Spirit, der zum Start der Ampel da war, löst sich auf“, sagte FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki. Nähmen die Proteste im Land zu, dann „werden die Fliehkräfte in der Ampel so stark, dass mir langsam Zweifel kommen, ob es bis zur Bundestagswahl 2025 hält“. Die Umfragewerte der Koalitionspartner sind schlecht, die des Kanzlers auch: Gemeinsam kommen die Ampel-Parteien gerade auf 31 Prozent – und damit auf so viel wie die Union allein. Das gegenseitige Vertrauen im Bündnis schwindet rapide.
Kanzler Scholz wird beim Handball ausgepfiffen
Der Ton bei vielen in der Koalition ist resigniert. Man könne nie davon ausgehen, dass irgendetwas je abschließend vereinbart sei, beklagen manche. Vertrauensverhältnisse gebe es noch zwischen einzelnen Vertretern der Parteien – aber kaum noch, so der unausgesprochene Umkehrschluss, in der Breite, wie es unter Partnern eigentlich üblich sein sollte.
Als Scholz vergangenes Wochenende ein EM-Spiel der deutschen Handballer besucht, wird er gellend ausgepfiffen. Den wütenden Bauern hat sich der Kanzler gar nicht erst gestellt, hinter verschlossenen Türen traf er lediglich Funktionäre. Am Freitag will Scholz an der Trauerfeier für Franz Beckenbauer in München teilnehmen. Beim FC Bayern gab es im Vorfeld offenbar die Sorge, dass der Kanzler eine Rede halten wolle – und damit ein Pfeifkonzert auslöst, das die Feier überschattet.
Löst Pistorius Scholz ab? „Quatsch“ heißt es aus der SPD
Es halten sich Spekulationen, Verteidigungsminister Boris Pistorius könne Scholz ablösen. Der Sozialdemokrat ist in Umfragen der beliebteste Politiker des Landes. Ein solches Szenario wird in der SPD entschieden als „Quatsch“ zurückgewiesen. Wer anderes als Scholz könne denn den Ampel-Laden zusammenhalten? Derzeit scheinen aber vor allem die Angst vor schweren Verlusten bei Neuwahlen und die hohen Umfragewerte der AfD der Kitt der Koalition zu sein.
Aus den Ländern erreicht die Ampel der Wunsch, ihre Konflikte zu befrieden. „In dieser Zeit ist es wirklich wichtig, Stabilität und Sicherheit auszustrahlen, um den Menschen Ruhe und Gelassenheit zu geben“, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der sich im September zur Wiederwahl stellt und einen möglichen Wahlsieg der AfD verhindern will, dieser Redaktion. Jede Koalition müsse über den richtigen Weg diskutieren. „Das gehört aber intern geklärt und dann geht man mit dem Ergebnis nach draußen.“
Die FDP leidet an der Ampel-Koalition
Bei den Grünen übt man sich in Zweckoptimismus. Die Stimmung in der Koalition sei besser als vor dem Jahreswechsel, sagt Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic dieser Redaktion. „Ein ganz wichtiger Punkt ist da, dass die Liberalen nun noch einmal sehr klar gesagt haben, dass sie zu der Koalition und ihrem Reformprogramm stehen.“
Tatsächlich hatte sich in einem Votum über den Verbleib in der Ampel eine Mehrheit der teilnehmenden FDP-Mitglieder dafür ausgesprochen. Trotzdem leiden die Liberalen erkennbar weiter an der Koalition. FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner versuchte bei seiner Rede vor den aufgebrachten Landwirten Anfang der Woche den Spagat, einerseits den Haushaltskompromiss der Regierung zu verteidigen, andererseits mit Attacken auf „Politik“ und „Medien“ um Zustimmung zu werben.
Taurus an die Ukraine: Hofreiter sieht darin eine Chance für die Ampel
Es sei normal, dass „Spannungen“ entstehen, sagt Mihalic. Wichtig sei es, diese produktiv aufzulösen. Im Übrigen werde die Relevanz der Koalition durch die „rückwärtsgewandte“ CDU unterstrichen. „Die Vision der Union scheint Stillstand und sogar teilweise Rückschritt zu sein. Das würde unser Land teuer zu stehen kommen.“
Geeint durch den Blick auf die Alternativen: Das ist auch die Analyse von Mihalics Parteikollege Anton Hofreiter. „Das jetzt auseinander knallen zu lassen, wäre staatspolitisch unverantwortlich“, sagt der Vorsitzende des Europaausschusses zu dieser Redaktion. Ein Thema sieht er, aus dem sich eine neue Ampel-Dynamik entwickeln könnte: Bei der Frage nach der Unterstützung der Ukraine seien Grüne und FDP eng zusammen. „Wenn die auf halber Strecke verhungerte Zeitenwende wirklich umgesetzt würde und der Kanzler sich zum Beispiel zu einem Ja zu Taurus-Lieferungen durchringen könnte, könnte das noch einmal richtig Schwung in die Koalition bringen.“ Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen, dass sich der Kanzler in der Taurus-Frage bewegt.