Berlin. Der Unmut der Bauern entlädt sich auf der Straße. Die Politik diskutiert über eine Tierwohlabgabe – doch das dürfte nicht ausreichen.
Ein eisiger Wind weht über die Bühne vor dem Brandenburger Tor. Christian Lindner, Bundesfinanzminister (FDP), tritt auf die Bühne. „Hau ab!“, „Lügner!“ und „Ampel raus!“ schallt es ihm entgegen, ein Pfeifkonzert ertönt. Nicht nur das Wetter ist eisig. Lindner versucht zu beruhigen, den richtigen Ton zu treffen, doch der Veranstalter unterbricht und ruft die Protestierenden dazu auf, dem Minister zuzuhören, ihm Respekt zu erweisen. Respekt dafür, dass er sich vor die wütende Menge aus Landwirten, Spediteuren, Handwerkern und Jägern stellt, die gegen eine Politik demonstrieren, die Lindner mitverantwortet.
Doch vergeblich: Zwischenrufe, Pfiffe und lautstark skandierte Parolen lassen Lindners Botschaft untergehen. Die Wut übernimmt. Es wirkt fast so, als habe die Menge auf seinen Auftritt gewartet, um ihren ganzen Frust abzuladen. Deutschlands Bauern sind sauer. Der Frust über die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen beim Agrardiesel und bei der Kfz-Steuer hatte sich schon in der vergangenen Woche bei Protesten im ganzen Land entladen – und jetzt vor dem Brandenburger Tor. Dabei hat die Ampel in Teilen bereits eingelenkt. Den Landwirten jedoch reicht das nicht. Es geht längst um mehr.
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Die Frage ist, wie Landwirtschaft künftig aussehen soll und wie die Gesellschaft die nahrungsmittelerzeugenden Betriebe entsprechend honorieren kann. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bringt in diesen Tagen den nicht ganz neuen Vorschlag eines „Bauernsolis“ ins Spiel. „Wenn wir beispielsweise mehr Tierschutz im Stall wollen, muss das finanziert werden, etwa durch eine Tierwohlabgabe. Das würde eine maßvolle Belastung beim Fleisch bedeuten – um wenige Cent pro Kilo. Das Geld würde der Landwirtschaft zugutekommen“, sagte Özdemir im Gespräch mit dieser Redaktion.
Die Bauern sind sauer – auch nach dem Einlenken der Ampel-Koalition
Nur weniger Hundert Meter Luftlinie vom Brandenburger Tor und den Bauernprotesten entfernt, ist es an diesem Montag ruhig. In der Landesvertretung Sachsen-Anhalts steht Hermann Onko Aeikens (CDU), früherer Landwirtschaftsminister des Bundeslands, an einem Pult und stellt sein Buch „Unsere Landwirtschaft besser verstehen“ vor. Während Aeikens Zeile für Zeile liest, stört lediglich die ab und zu vorbeifahrende S-Bahn mit einem leichten Rauschen.
Aeikens gilt als Fachmann. Der gebürtige Ostfriese entstammt einer Familie von Landwirten, später studierte er Agrarwissenschaften und promovierte mit einer Arbeit über den Milchmarkt. In seinem Buch beschreibt Aeikens den Entfremdungsprozess der Bauern von Politik und Gesellschaft. Wie man wieder zusammenfinden kann? Aeikens empfiehlt den Landwirten, sich der Gesellschaft zu öffnen. Und der Politik zu „sagen, was ist“ auf Grundlage von „wissenschaftsbasiertem Handeln“. Es bringe aber auch nichts, der Landwirtschaft nach dem Mund zu reden.
Ampel-Parteien kündigen Entscheidungen bis zum Sommer an
In den vergangenen Tagen ist ersichtlich geworden, wie sehr die Ampel-Koalition den Unmut der Landwirte unterschätzt hat. Jetzt bemüht sie sich, auf die Bauern zuzugehen. Nach einem Treffen der Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und FDP mit Vertretern mehrerer Verbände kündigt der Chef der SPD-Abgeordneten, Rolf Mützenich, am Montag einen „Fahrplan“ an: Bis zur Sommerpause solle es klare politische Entscheidungen geben, „die der Landwirtschaft nicht nur Planungssicherheit geben, sondern auch Entlastungen“.
Vertreter der Bauern begrüßen die Gesprächsbereitschaft, es gibt aber auch Kritik: In der Kernfrage, wie es mit der Agrardiesel-Subvention weitergehe, „haben wir noch keine Lösung“, sagt der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken. Für Hoffnung sorgt aber eine Äußerung von Lindner in seiner Ansprache auf der Demonstration der protestierenden Landwirte. „Mein Angebot: Wenn der Agrardiesel ausläuft, dann müssen Zug um Zug auch Belastungen für die Betriebe auslaufen“, verspricht Lindner. Özdemirs Tierwohlabgabe ist hingegen noch kein Thema.
Dabei ist der Agrarminister nicht der einzige, der darin ein vielversprechendes Mittel sieht: Auch Steffi Lemke, Umweltministerin und Parteikollegin Özdemirs, hält die Idee der Abgabe für sinnvoll. „Viele Verbraucher haben immer wieder ihre Bereitschaft erklärt, für solche Produkte ein bisschen mehr zu bezahlen, vor allem dann, wenn dadurch die Lebensbedingungen vieler Nutztiere besser würden“, sagt Lemke dieser Redaktion. Das habe der vom Bundestag eingerichtete Bürgerrat zu Ernährung gerade erst bekräftigt.
Landwirt kritisiert, dass alle Kommissionen nichts gebracht haben
Ein solcher Soli könnte helfen, sagt auch Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL), einer kleineren Interessenvertretung. Für die Betriebe würde sie Planungssicherheit bedeuten, für die Tiere ein besseres Leben. „Das ist eine gute Sache.“ Schulz, der selbst einen Schweinemastbetrieb führt, hofft jedoch auf mehr, auf grundsätzliche Reformen in der Art, wie Landwirte, Handel und Verbraucher sich begegnen. „Ich war Teil der Borchert-Kommission, und wir sind alle enttäuscht, dass davon bisher nichts umgesetzt wurde“, sagt er dieser Redaktion.
Das Gremium hatte unter dem ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert mehrere Jahre lang Konzepte für bessere Tierhaltung erarbeitet. Auch die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft, sagt Schulz, an der 2021 zahlreiche gesellschaftliche Gruppen beteiligt waren, würden immer noch auf ihre Umsetzung warten.
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Auch Sebastian Hess, Experte für Agrarmärkte der Universität Hohenheim, hält eine Debatte darüber, was gesunde und nachhaltige Nahrungsmittel wert sind und wie sie erschwinglich bleiben, für geboten. „Kurzfristig haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit, zum Beispiel direkt bei Landwirten oder Metzgereien mit kurzen Lieferketten aus dem regionalen Umfeld zu kaufen und regionale Produkte mit kurzen Lieferketten und hoher Wertschöpfung für die Landwirte im Supermarkt einzufordern“, sagt er.
Experte zu Bauernprotesten: Auch der Handel muss mitziehen
In der neu entfachten Diskussion um eine Tierwohlabgabe sieht der Experte Chancen und Risiken. „Im schlechtesten Fall können sich besonders Menschen mit niedrigem Einkommen Fleisch immer seltener leisten, der Absatz geht zurück und die Mehreinnahmen reichen trotzdem nicht für dauerhafte, akzeptanzsteigernde Verbesserungen in der Tierhaltung“, erklärt er. Im besten Fall allerdings könnte eine Tierwohlabgabe für Tiere, Verbraucher und Landwirte funktionieren. Dann nämlich, wenn der Fleischabsatz weitgehend konstant bleibt und die Mehreinnahmen es den Landwirten ermöglichen, risikoreiche Investitionen in verbesserte Tierhaltung zu finanzieren.
Auch Supermärkte seien dabei in der Verantwortung, so Experte Hess. Viele Erzeugerpreise für die Landwirtschaft bildeten sich zwar am Weltmarkt, aber der Handel habe eine große Verhandlungsmacht. Auf Anfrage teilte Aldi Nord mit, man bekenne sich „klar zur deutschen Landwirtschaft und setzt, wo immer möglich auf deutsche Ware“. In der Transformation der deutschen Nutztierhaltung sieht der Lebensmittelriese aber „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, die nicht allein vom Lebensmitteleinzelhandel gestemmt werden könne.
Eine Tierwohlabgabe könne aber „Teil der Lösung“ sein. Die Unterstützung für den Umbau der Ställe müsse dafür direkt bei den Landwirten ankommen, die Finanzierung zudem verlässlich sein, Bürokratie vermieden werden. Und letztlich sei auch der Preis entscheidend: „Tierische Produkte aus höheren Haltungsformen dürfen nicht übermäßig verteuert werden“.
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