Berlin. Zehntausende Ehrenamtliche helfen bei Hochwasser oder Waldbränden. Doch nicht alle Helfer sind gleichgestellt. Das wird zum Problem.
Kurz vor dem Termin kommt die Absage. Eine Sprachnachricht auf dem Handy. „Tschuldigung, aber ich bin tatsächlich noch im Feuerwehreinsatz gebunden.“ Ein Brandmelder eines Unternehmens schlägt Alarm. Christina Reiners-Zirk packt ihre Sachen, springt ins Auto, düst Richtung Feuerwehrhaus. Leben in der Lage, so nennen Rettungskräfte diese spontanen Einsätze. Ohne Vorbereitung, ohne zu wissen, was kommt – und wie ernst die Situation ist. Klar ist nur: Zeit für ein Interview ist jetzt nicht.
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Reiners-Zirk ist Hauptlöschmeisterin der Freiwilligen Feuerwehr Elsfleth im Wesermarschland. Wer mit ihr spricht, merkt, wie sehr sie diese Arbeit liebt. Schon ihr Vater war fast drei Jahrzehnte Brandmeister, und die kleine Christina kam als Kind mit zu den Treffen der Feuerwehrleute, zeltete mit der Jugendfeuerwehr. Heute ist sie 41 Jahre alt, leitet die Ausbildung im Kreis für neue Einsatzkräfte, und zeltet selbst mit den Jugendlichen im Sommer. Ihre Tochter ist 10 und auch bei der Feuerwehr.
Menschen wie Christina Reiner-Zirk sind so etwas wie die Lebensversicherung des Landes. Sie springen ein, wenn es brennt. Wenn das Wasser Häuser flutet. Wenn Personen bei Unfällen verletzt im Auto liegen. Wie sehr Deutschland von Helfenden wie Reiners-Zirk abhängig ist, zeigen Zahlen: gut 100 Berufsfeuerwehren sind im Einsatz. Und fast 24.000 Freiwillige Feuerwehren. Weit mehr als 90 Prozent leisten ehrenamtliche Retterinnen und Retter. Hinzu kommt das Technische Hilfswerk, mit 80.000 Ehrenamtlern. Auch die Malteser, die Johanniter, das Deutsche Rote Kreuz – sie alle bauen ihre Einsätze darauf auf, dass Menschen freiwillig helfen, manchmal ihre Gesundheit für andere aufs Spiel setzen. Und verzichten: auf Zeit mit der Familie, manchmal auf Geld.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hält in einem Gutachten von Ende 2021, das unserer Redaktion vorliegt, fest: „Das Jahrhunderthochwasser im Ahrtal zeigt beispielhaft, dass ohne ehrenamtliche Helfer Katastrophen nicht zu bewältigen sind.“
Bund und Länder haben beträchtliche Summen investiert, in neue Fahrzeuge, Ausrüstung
Doch nach jeder Katastrophe drängt sich eine Frage auf: Behandelt der Staat seine Retter in Not gut genug, dafür, dass er so auf sie baut? Noch immer gelten nicht für alle Helfenden die gleichen Gesetze, noch immer stört ein Flickenteppich an Richtlinien die Einsätze, fehlt es an Material und Fahrzeugen, sind die Standorte in den Kommunen zu klein, zu alt. „Nur wenn die Ausrüstung und das Umfeld stimmen, bleiben die Menschen bei der Hilfe engagiert“, sagt Katrin Klüber, Abteilungsleitung Ehrenamt beim THW.
Deutschlands Säule im Katastrophenschutz ist stark. Bund und Länder haben durchaus beträchtliche Summen investiert, in neue Fahrzeuge, Geräte, Ausrüstung. Sachsen allein mit mehreren Dutzend Millionen Euro. In NRW zuletzt 130 Millionen, in Hessen zwei Dutzend Millionen Euro. Der Bund förderte das THW mit mehr als 400 Millionen Euro.
Doch Recherchen zeigen auch, dass die Verantwortlichen in der Politik wichtige Entscheidungen aufschieben, andere Themen als wichtiger bewerten, am Ende Hilfe ausbleibt und Ausstattung fehlt. Die Säule ist stabil, aber es zeigen sich Risse im Fundament.
Aktuell überschwemmt Hochwasser Teile des Landes. Und der Einsatz belegt erneut: Ohne freiwillige Helfer kann der Staat die Katastrophe nicht bezwingen. Menschen füllen Sandsäcke, schleppen sie zu den Deichen, pumpen Keller aus, retten Anwohner aus der Flut, versorgen sie mit Essen, Getränken, einem Dach über dem Kopf. Auch Reiners-Zirk war mit ihrer Truppe für einen Tag vor Ort, stabilisierte Deiche. „Der Einsatz lief super, trotz der Not vor Ort“, sagt sie. „Wir haben so viele tolle Menschen getroffen, jeder wusste, was zu tun ist.“
Feuerwehrleute sind abgesichert, bei Unfällen versichert, Ersatzzahlungen festgelegt
Wenn Reiners-Zirk Sandsäcke schleppt und Deiche sichert, fragt sie nicht danach, ob der Helfer neben ihr versichert ist. Oder ob sein Arbeitgeber entschädigt wird für den Ausfall an Stunden, die er hier in Stiefeln im Matsch steht. Doch genau diese Standards sind es, auf die freiwillige Retter vertrauen müssen. Auf denen die Organisationen ihre Einsätze aufbauen. Und Menschen wie Reiners-Zirk finden es ungerecht, wenn nicht für alle, die sich aufopfern und einsetzen, das Gleiche gilt.
Aber so ist es in Deutschland. Feuerwehrleute sind durch das Feuerwehrgesetz abgesichert, bei Unfällen versichert, die Freistellung von der Arbeit geregelt, die Ersatzzahlungen an die Firmen festgelegt. Gleiches gilt für das Technische Hilfswerk, eine Bundesorganisation. Doch dann bröckelt die Gleichstellung, beziehungsweise splittet sich auf, je nach Bundesland. Helfende von Johanniter oder DRK müssen auf Regelung in den Ländern vertrauen, oft greifen sie nur vollumfänglich, wenn die Regierung den Katastrophenfall ausruft, was selten passiert. Mancherorts muss das DRK warten, bis sie offiziell von der Feuerwehr angefordert werden, damit der Versicherungsschutz greift. Anderenorts fehlt eine gesetzliche Lösung für Lohnausfall für den Arbeitgeber.
Helfende wie Reiners-Zirk sorgen sich zudem um die Ausbildung neuer Rettungskräfte. Gerade die sei oft zeitaufwendig. Für Übungen und Weiterbildung müssen andere Helfer etwa vom DRK nicht selten sogar Urlaub nehmen oder ihre Wochenenden opfern. Firmen sind offen für Ehrenamt, unterstützen ihre Angestellten im Dienst für die Gemeinschaft, sagen viele Helfer. Doch sie brauchen für ihre Produktion auch Verlässlichkeit – und Rechtssicherheit.
Eine Auswertung des DRK aus dem Sommer 2022, die unserer Redaktion vorliegt, zeigt, wie unterschiedlich die Lage ist. Zu Baden-Württemberg heißt es: „Eine generelle Helfergleichstellung ist nicht geregelt.“ Ähnliches Fazit auch bei Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Der Flickenteppich ist groß: Hier sind Johanniter, Malteser und Co. den Freiwilligen Feuerwehren gleichgestellt, dort sind sie es nicht. Und was gilt eigentlich, wenn Rettungskräfte aus dem einen Bundesland im anderen Bundesland im Einsatz sind?
Grüne kritisieren: „Kleinstaaterei geht zu Lasten der Sicherheit der Menschen in Deutschland“
Eine Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags kommt zu dem Urteil: „Eine einheitliche gesetzliche Regelung darüber, ob und wieweit ehrenamtliche Einsatzkräfte unter Gewährung des Arbeitsentgelts von der Arbeitsleistung freizustellen sind, existiert zurzeit nicht.“ Und das Gutachten des Bundesamtes hält fest: „Aktuell unterliegen ehrenamtlich Tätige in der Gefahrenabwehr je nach Bundesland unterschiedlich ausgestalteten gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf Freistellung, Ausgleichsansprüche sowie soziale Absicherung. Es gibt bislang keine einheitliche Regelung auf Bundesebene, welche die Stellung der Ehrenamtlichen einheitlich regelt.“ Das führe zu „Ungleichbehandlungen“. Einige Bundesländer würden „nach wie vor über gar keine Regelungen, welche die Freistellung sowie Ausgleichsansprüche“ regele, verfügen.
Die Ampel-Koalition wollte das ändern. Im Koalitionsvertrag von 2021 heißt es: „Die Freiwilligen stärken wir durch ein Ehrenamtskonzept und in föderaler Abstimmung durch bundesweit einheitliche Freistellungs- und Versicherungsschutzregeln der Helferinnen und Helfer.“ Ein Helfergleichstellungsgesetz sollte her. Unterlegt mit gewichtigen Worten: „Ehrenamt und demokratisches Engagement stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie verlässlich zu fördern, ist unsere Aufgabe.“
Doch bisher hat die Bundesregierung kein Gesetz zur Gleichstellung des Ehrenamts verabschiedet. Im Gegenteil: Es ist in weite Ferne gerückt. Ein Gutachten des Innenministeriums hält fest, dass ohnehin eine Zuständigkeit des Bundes schwierig ist. Katastrophenschutz ist Ländersache. Wieder einmal blockiert der Föderalismus die Sicherheit Deutschlands.
Die Länder schaffen nun ihre eigenen Regeln, manche mehr, manche weniger, einige schnell, andere langsamer. Auf der Innenministerkonferenz landete das Thema weit hinten auf der Tagesordnung. Das BBK-Gutachten hält fest: Diese flächendeckende ehrenamtliche Kompetenz ist ein wichtiges Gut, welches oft unterschätzt wird.“ Und der Grünen-Politiker Leon Eckert sagt: „Diese Kleinstaaterei geht zulasten der Sicherheit der Menschen in Deutschland.“ Eckert ist selbst bei der Freiwilligen Feuerwehr und Vorsitzender beim Deutschen Komitee Katastrophenvorsorge e.V.
Pandemie, Zeitdruck, mehr Belastung im Job: Das Ehrenamt steht unter Druck
Das Ehrenamt stand in den vergangenen Jahren stark unter Druck: die Menschen sind gestresster im Job, vielen wird Zeit in der Familie wichtiger, oder Zeit für sich selbst. Kosten für Wohnung und Lebensmittel steigen, manche, die sich engagieren, müssen nun mehr in Lohnarbeit investieren. Und dann kam auch noch die Pandemie, die über Jahre das Leben in Vereinen und Organisationen belastete.
Nun gibt es viele Ideen, um das Ehrenamt zu stärken. Steuerersparnisse für Ehrenamtler, schlagen manche Politiker vor. Andere wollen vor allem junge Menschen im freiwilligen Dienst fördern – und ihren Studiengebühren ersparen oder Rentenpunkte schenken. Wieder andere schlagen Gutscheine für Schwimmbäder oder Museen vor. Der Feuerwehrverband hält ein Sonderpaket des Bundes für notwendig, will zehn Milliarden Euro für den Schutz der Bevölkerung. Organisationen wie das Rote Kreuz beharren auf finanzielle Zusagen aus dem Bund – und befürchten nun, dass sie den engen Haushaltsplanungen zum Opfer fallen. Und auch die Debatte über ein Pflichtjahr im Dienst der Allgemeinheit hat seit dem Krieg in der Ukraine und den wachsenden Unwetterlagen auch hier wieder zugenommen.
Für diesen Artikel hat unsere Redaktion mit verschiedenen Parteien gesprochen, auch mit Mitarbeitern aus den Sicherheitsbehörden. Wie so oft im Katastrophenschutz: Viele wollen mehr tun – und können sich doch nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen.
Was Feuerwehrleute erleben: „Ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Kameradschaft“
So liegt die Last am Ende oft bei Menschen wie Christina Reiners-Zirk. Bei ihrem freiwilligen Engagement, aus dem sie für sich selbst aber auch viel zieht: „Ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Kameradschaft“, sagt sie. Schon als sie 2001 beim Hochwasser an der Elbe im Einsatz war, hat sie erlebt, wie Menschen dankbar Kaffee oder Kuchen brachten, obwohl ihr Haus unter Wasser stand. Wie Schulkassen beim Sandsack-Schleppen halfen. Krise schweißt zusammen.
Einmal, erzählt Reiners-Zirk, da ging es fast schief. Einsatz bei einem Großbrand in einer Firma. Ein großer Stapel an Eierpappen fiel über ihr zusammen. Ein Kollege habe sie rausgezogen. „Sonst wäre ich vielleicht heute so nicht hier“, sagt Reiners-Zirk. Sie kam kurz ins Krankenhaus, hatte Prellungen am ganzen Körper, musste in die Reha. Die Feuerwehrfrau konnte sich verlassen – auf die Versicherung im Einsatz, auf die Hilfe ihres
, auf die Kameraden.
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