Berlin. Deiche drohen zu brechen, Wiesen sind überflutet. Das Hochwasser zeigt: Deutschland leidet unter einem ungenügenden Krisenmanagement.
Es gibt einen Ort, den kaum jemand kennt. Der aber sehr viel aussagt über die deutschen Bemühungen beim Schutz für die Menschen vor Naturkatastrophen. In Bonn sitzt das „GeKoB“, das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz. Das Amt ist klein, hat nicht einmal ein eigenes Gebäude. Die wenigen Mitarbeiter sitzen in den Räumen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Und die Einrichtung ist neu. Die Innenminister beschlossen den Aufbau des GeKoB als eine Lehre aus der verheerenden Flutkatastrophe im 2021. Dort sitzen nun Vertreter von Bundesbehörden und Landesregierungen an einem Tisch, beobachten, tauschen sich aus, erstellen Lagebilder.
Lesen Sie auch: Kommentar zum Hochwasser – Dieser Umgang mit der Krise ist typisch deutsch
„Das Hochwasser hat das Land fest im Griff, schon seit vielen Tagen“
In diesen Tagen steigen die Pegel an vielen Flüssen in Deutschland auf Rekordhöhen. Rettungskräfte evakuieren Häuser, stapeln Sandsäcke, stabilisieren Deiche, pumpen Keller leer. Das Hochwasser hat das Land fest im Griff, schon seit vielen Tagen. Im GeKoB, heißt es auf Nachfrage, monitore man „die Lage“, führe „Sonderlagebesprechungen“, unterstütze „auf Anforderung“ die Länder „in strategischer Hinsicht“. Mehr Angaben macht eine Sprecherin des Zentrums nicht. Ob es die „Anforderungen“ der Bundesländer überhaupt gegeben hat, bleibt unklar, eine Nachfrage vorerst unbeantwortet.
Wer mit Verantwortlichen in der Politik oder bei den Helfenden vor Ort in den Flutgebieten spricht, hört viel Lob über das GeKoB. Die Idee sei wichtig, die Vernetzung zwischen Bund und Ländern zentral, gerade auch der Austausch über Strategien und Konzepte zum Schutz vor Flut oder Dürre. Aber es ist auch Unmut zu hören. Noch immer sei das Zentrum nicht richtig arbeitsfähig. Auf Nachfrage heißt es, dass fünf Länder eine Vertretung in das Zentrum entsandt haben. Es ist das Minimum, das vorgesehen ist. Manchen in Berlin scheint es wie so oft: Die Länder und Kommunen rufen in der Not nach Geld vom Bund – und wollen am Ende doch keine Macht abgeben.
Gerade die ehrenamtlichen Helfer retten die Menschen in den Flutgebieten
Weiter sitzen dort Bundespolizei, Bundeswehr und das Technische Hilfswerk sowie Mitarbeitende vom BBK, die ja einfach kurz den Raum wechseln müssen. Aber wer dort nicht sitzt: Mitarbeitende der Hilfsorganisationen wie Deutsches Rotes Kreuz oder die Johanniter. Dabei sind gerade sie es, die mit Tausenden Ehrenamtlichen gerade in den Einsatzgebieten unterwegs sind.
Im GeKoB sitzt auch nicht: die Feuerwehr. Mit mehr als einer Million Einsatzkräften haben Freiwillige und Berufsfeuerwehr mehr Personal als Polizei und Bundeswehr zusammen. Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Karl-Heinz Banse, kritisiert das und sagt, ein Platz am Tisch sei das wichtig, „damit von den Entscheidungen im GeKoB mehr bei den Menschen vor Ort im Einsatz ankommt, gezielt und schnell“, sagt Banse unserer Redaktion.
Das GeKoB ist klein, doch es sitzt genau an der Achillesferse deutschen Krisenmanagements. Denn Deutschland ist groß, hat Millionen Helfer, viel Geld, gute Technik. Doch der Schutz vor Flut, Dürren, Stürmen ist gefährdet durch ein Wirrwarr an Finanzierung und Zuständigkeiten. Zugleich wächst die Dringlichkeit: Die Wissenschaft sagt intensivere und häufigere Naturkatastrophen voraus, auch in Deutschland. Nicht nur Hochwasser, auch Sturmfluten und Dürren bedrohen das Land.
Wer die deutschen Risiken im Krisenmanagement verstehen will, muss erst einmal dieses Kompetenzknäuel aufdröseln: Es gibt den „Zivilschutz“, für den im Kriegsfall der Bund die Verantwortung hat. Es gibt den „Katastrophenschutz“, der Ländersache ist, und jetzt in Hochwasserlagen greift. Dazu kommt der „erweiterte Katastrophenschutz“, wo der Bund den Ländern helfen kann. Dann taucht auch der „Bevölkerungsschutz“ immer wieder auf, der irgendwie ein Überbegriff für alles sein soll.
Großlagen wie Hochwasserhilfen sind eine logistische Meisterleistung
Hinter allen Schutzformen steht eine Masse an Gesetzen und Richtlinien, nach denen sich Kommunen, Länder und Bund richten. Und eine Vielzahl an Leitstellen, Stäben und Ämtern. Aktuell arbeitet in Niedersachsen ein weiteres „Kompetenzzentrum“ in der Hochwasserlage. Und der Bund hat neben dem „GeKoB“ noch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz, in dem das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern sitzt, eine weitere Schnittstelle zwischen Bund und Ländern.
Doch es ist zu einfach zu sagen: Schuld am deutschen Missmanagement ist die Bürokratie. Großlagen wie Hochwasserhilfen sind logistische Meisterleistungen. Meldewege müssen schnell sein, Gerät muss in kürzester Zeit beschafft und in die Flutgebiete transportiert werden, Tausende Helfer müssen richtig eingesetzt werden. 2021 starben auch deshalb so viele Menschen im Ahrtal, weil Menschen nicht rechtzeitig gewarnt wurden. Weil Meldesysteme versagten. In den Tagen danach stauten sich Tausende Autos auf den Zufahrten ins Ahrtal, weil die Einsatzleitungen vor Ort mit der Masse an freiwilligen Helfern überfordert waren. Nicht umsonst gibt es mittlerweile eigene Studiengänge zum „Katastrophenmanagement“.
Das „GeKoB“ soll diese Lücke im System schließen. Zugleich wurde das Bundesamt in Bonn als Zentralstelle aus Mitteln der Regierung massiv aufgestockt, mit fast 150 zusätzlichen Stellen. Mit Geld und neuen Zentren versuchen Bund und Länder mehr Ordnung in den deutschen Krisen-Föderalismus zu bekommen, will die Helfer an der Basis und die Strategen in den Stabsstellen enger verbinden.
Es ist ein weiterer Versuch, von oben durchzuregieren. Doch die Verantwortung für den Schutz liegt am Ende vor Ort, bei den Landkreisen und Bürgermeistern, bei den ehrenamtlichen Helfern. Dort aber kommt das Geld von oben nicht immer an – auch weil die Kommunen wenig haben. Fachleute warnen, dass etwa die Stabilität der Deiche in Deutschland ganz unterschiedlich ist.
Sachsen hat aus den Flutkatastrophen an der Elbe gelernt
Während Sachsen und Sachsen-Anhalt nach den Elbehochwassern viel getan haben, sind die Deiche anderenorts schnell durchweicht, weil sie seit Jahren kaum ausgebaut oder erneuert wurden. „Außerdem benötigen wir mehr Ausgleichsflächen für die bei Flutkatastrophen auftretenden hohen Wassermassen – Polder und Wiesen, die überflutet werden können, sowie gegebenenfalls weitere Talsperren, die Wasser zurückhalten“, sagt DFV-Präsident Banse.
Und so fehlt es doch auch an Geld. Der Bund hat zwar die eigene Organisation, das Technische Hilfswerk, mit rund 400 Millionen aus dem Konjunkturprogramm aufgerüstet. Doch andere warten auf Finanzmittel. So beklagt die Präsidentin des Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, es fehlten etwa 260 Millionen Euro. Vor allem für die zugesagten zehn mobilen Betreuungsmodule des DRK, in denen sie im Notfall bis zu 5000 Menschen versorgen können.
Feuerwehrverband-Chef Banse fordert daher ein „Sondervermögen“, ähnlich wie es Kanzler Scholz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine für die Bundeswehr bereitstellte. „Zehn Milliarden zusätzlich aus dem Bundeshaushalt für den Schutz der Bevölkerung ist notwendig“, sagt Banse. „Damit können wir wichtige Geräte für den Einsatz anschaffen: Sandsackfüllmaschinen, Pumpensysteme, geländegängige Fahrzeuge.“ Die Großstädte seien gut ausgestattet, aber gerade auf dem Land fehle es an wichtigem Spezialgerät.
Ein Einsatzplan aus einem Guss, eine moderne Ausrüstung und gut ausgebildete Rettungskräfte: das ist die Säule im Krisenmanagement. Doch alles ist in Deutschland gerade erst im Aufbau. Und noch immer unterschiedlich gut – manchmal schon von Nachbarort zu Nachbarort.
Lesen Sie auch: Die Flutkatastrophe im Ahrtal offenbart die deutschen Schwächen beim Schutz der Menschen