Berlin. 2023 war ein Jahr der Wetter-Extreme. Ein besonderes Phänomen könnte dafür sorgen, dass auch dieses Jahr neue Negativrekorde fallen.
Hitze, Hochwasser, Stürme und Hagel – 2023 war ein Jahr der Wetter-Extreme. Die Folgen der Klimakrise waren weltweit zu spüren: Auf Sardinien erreichten die Temperaturen im Juli fast 50 Grad, im August wüteten verheerende Waldbrände in Griechenland, im September starben Tausende Menschen in Libyen bei einer schrecklichen Starkregen-Katastrophe. In Deutschland führte Starkregen zu den aktuellen, bedrohlichen Hochwassersituationen in Teilen von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen. Solche Extremereignisse seien leider das neue Normal, wie der Generalsekretär der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas, schon im Sommer sagte. Drastische Klimaschutzmaßnahmen seien nötig.
2023 war wärmstes Jahr seit Beginn der Industrialisierung
Das laufende Jahr war das wärmste seit Beginn der Industrialisierung, berichtet der EU-Klimawandeldienst Copernicus. Die global gemittelte Temperatur lag 1,48 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900. Bislang war 2016 das heißeste Jahr mit plus 1,3 Grad. Möglicherweise ist 2023 das wärmste Jahr seit Zehntausenden Jahren. Da gab es noch keine Messungen, aber die Wissenschaft kann – etwa mit der Analyse uralter Luftblasen tief im Eis – auf das einstige Klima schließen.
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Klimaphysiker: „Seit dem heißen Sommer 2018 sind wir im Ausnahmezustand“
Extremwetter gab es zwar schon immer, aber die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass solche Ereignisse durch den Klimawandel häufiger und stärker werden – für anhaltende Dürre gilt das ebenso wie für Starkregenphasen wie aktuell in Deutschland.
Der deutsche Sommer 2023 fühlte sich zwar für viele Menschen eher durchmischt an, aber unbeständiges Wetter und Regen ändern nichts daran: 2023 war hierzulande das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Das teilte der Deutsche Wetterdienst (DWD) zum Jahresende mit. „Der Klimawandel geht ungebremst weiter“, mahnte der DWD-Vorstand Klima und Umwelt, Tobias Fuchs.
„Eigentlich sind wir in Europa seit dem heißen Sommer 2018 gefühlt im Ausnahmezustand“, sagt Helge Gößling, Klimaphysiker am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Er nennt unter anderem mehrere ungewöhnlich trockene und zu warme Sommer und den Starkregen im Ahrtal im Juli 2021. „Aber wir müssen damit rechnen, dass wir im neuen Normal sind.“ Für ihn ist klar, dass der Klimawandel eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit ist.
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Trockenheit und Überschwemmung: Deutschland soll in Zukunft häufiger betroffen sein
Die Durchschnittstemperatur in Deutschland lag nach Daten des Deutschen Wetterdienstes auch 2018, 2019, 2020 und 2022 schon mehr als 2,5 Grad über dem Niveau von 1881, als systematische Wetteraufzeichnungen begannen. Das ist deutlich mehr als im weltweiten Durchschnitt – was daran liegt, dass der globale Wert die Temperaturen über den Meeresflächen einschließt, die bislang weniger stark gestiegen sind als über Land.
„Regional betrachtet kommen wir in Mitteleuropa vergleichsweise glimpflich beim Klimawandel weg“, sagt Gößling. Im Mittelmeerraum sei die Lage mit Hitze und Trockenheit schon brenzliger. „Man darf sich die Situation bei uns nicht schönreden“, warnt Gößling. Der Chef der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas, verweist auf die trockenen Sommer und die verheerende Überschwemmung im Ahrtal. „Solche Ereignisse werden häufiger, und sie werden auch Deutschland betreffen“, sagt er der dpa. „Dazu kommt der Migrationsdruck aus Afrika, wo die Herausforderungen viel größer sind.“
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Zyklon, Hurrikan: Extremereignisse sind das „neue Normal“
Extremwetter gab es 2023 nicht nur in Europa und im Mittelmeerraum: Verheerender Regen sorgte in Brasilien im Februar für beispiellose Überschwemmungen, im Februar und März wütete Zyklon Freddy im Indischen Ozean 37 Tage lang und damit länger als jeder andere registrierte Zyklon vorher. Er richtete schwere Verwüstungen in Madagaskar und Mosambik an. Ab April gab es eine Rekordhitze von Indien bis China, im Juni und Juli schwere Überschwemmungen in Pakistan, im Oktober wurde der mexikanische Urlaubsort Acapulco durch einen fast aus dem Nichts aufbrausenden Hurrikan teils zerstört.
Die schlechte Nachricht: Mehr Extremereignisse sind auf Jahrzehnte hinaus vorprogrammiert – selbst wenn die Treibhausgasemissionen rasch reduziert würden. „Der negative Trend wird sich bis in die 2060er-Jahre fortsetzen“, sagt Taalas. Das liegt an den bereits ausgestoßenen Treibhausgasen, die noch so lange in der Atmosphäre wirken. „Und bei den Berggletschern haben wir den Kampf schon verloren“, sagt er. „Wir erwarten, dass sie bis Ende des Jahrhunderts völlig geschmolzen sind.“ Der schädliche Treibhausgasausstoß müsse aber jetzt dringend so gedrosselt werden, dass zumindest die heutigen Kinder und ihre Nachkommen ab den 2060er-Jahren ein besseres Klima erleben.
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Klimawandel: Ist mehr pflanzenbasierte Nahrung die Lösung?
Nach jahrzehntelanger Diskussion hatte sich die Weltgemeinschaft auf der UN-Klimakonferenz in Dubai kürzlich erstmals auf die Abkehr von Kohle, Öl und Gas geeinigt. „Diese Klimakonferenz besiegelt de facto das Ende des fossilen Zeitalters“, hatte Außenministerin Annalena Baerbock gesagt. Vereinbart wurde auch das Ziel, die Kapazität der erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen und das Tempo bei der Energieeffizienz in diesem Zeitraum zu verdoppeln.
Das Ende der klimaschädlichen fossilen Energie – Kohle, Öl, Gas – ist der größte Hebel gegen den Klimawandel. Unterschätzt werde aber der große andere Hebel, der Umgang mit Landflächen, sagt Gößling. „Es ist ja krass, dass 75 Prozent der Agrarflächen der Welt entweder als Weidefläche oder um Futterpflanzen für Tiere anzubauen genutzt werden“, sagte er. Mehr pflanzenbasierte Nahrung brauche weniger Fläche für die gleiche Menge Proteine und Kalorien. Wald kann mehr CO2 aufnehmen als Weiden. „Zurück zu mehr naturbelassenen Flächen hätte neben einer deutlich besseren Klimabilanz auch den extrem wichtigen Effekt, dass es entscheidend gegen den Verlust der Artenvielfalt hilft.“
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Hochwasserschutz: Im Frühjahr 2024 soll es vermehrt Niederschläge geben
Ob der nächste Sommer in Deutschland heiß oder trocken wird, kann noch niemand genau voraussagen. Laut DWD lassen sich aber zumindest für die nächsten Monate bestimmte Tendenzen prognostizieren, wie es auf Anfrage unserer Redaktion heißt. Demnach soll es in den Wintermonaten 23/24 in Nordeuropa sehr kalt werden. Im Mittelmeerraum wiederum tendiert die DWD-Klimavorhersage bis Frühjahr 2024 zu eher hohen Temperaturen.
Beim Niederschlag sei die Qualität der Vorhersage schlechter als bei der Temperatur. Die Prognosen würden aber erhöhte Wahrscheinlichkeiten für positive Niederschlagsanomalien über dem Atlantik vorweisen, die sich bis nach Zentraleuropa hin ausbreiten. „Damit besteht eine Tendenz, dass vor allem die mittleren Breiten inklusive Deutschland auch die nächsten Monate bis zum Frühjahr eher relativ nass ausfallen werden“, so der DWD. „Dies muss aber nicht unbedingt mehr Starkregen bedeuten.“
In jedem Fall sollte man sich laut DWD beim Hochwasserschutz auf weiterhin vermehrten Niederschlag einstellen. Für die Sommermonate und für die übrigen Gebiete in Nord- und Südeuropa gebe es derzeit noch keine Hinweise auf extreme Niederschlagsereignisse oder Dürren.
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Wetter 2024 und El Niño: So extrem könnte das Wetter 2024 werden
Global könnte es allerdings noch wärmer als vergangenes Jahr werden. „Ich schätze die Chancen auf 50:50“, sagt Klimaphysiker Gößling. Das liegt am Wetterphänomen El Niño, das 2023 begann. Es heizt alle paar Jahre den Pazifik auf und erhöht die globale Mitteltemperatur um rund 0,2 Grad. In der Regel schlägt sich das erst im Jahr nach dem Auftreten nieder, das wäre dann 2024.
Dieses Mal könnte es aber auch anders sein. 2023 gab es Zufallsschwankungen beim Wetter im Frühling, sagt Gößling. Schwache Passatwinde führten zu einer starken Erwärmung der Meeresoberfläche vor allem im Nordatlantik, was die globale Durchschnittstemperatur erheblich nach oben drückte.
„Die schwachen Passatwinde haben nicht zwangsläufig etwas mit dem Klimawandel zu tun“, sagt der Klimaexperte. Der Atlantik könnte also diesmal kühler bleiben. Klar ist aber auch: Das nächste Rekordjahr ist unausweichlich, auch wenn es nicht 2024 schon kommt. (oli/dpa)
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