Berlin. Agrarminister Cem Özdemir sagt, wie schlecht es den Bauern wirklich geht – und warum er Zustände fürchtet wie in den USA mit Trump.

Der Zugang zum Agrarministerium ist frei, das Haus von Cem Özdemir haben die Landwirte an diesem Tag nicht blockiert – ganz im Gegensatz zu Verkehrsknotenpunkten im ganzen Land. Im Interview sagt der Grünen-Politiker, wie er die Bauern besänftigen will – und was das die Verbraucherinnen und Verbraucher kosten würde.

Die Bauern wollen die ganze Woche das Land lahmlegen, um eine Kürzung der Agrarsubventionen zu verhindern. Wie groß ist Ihr Verständnis, Herr Özdemir?

Cem Özdemir: Die Bäuerinnen und Bauern haben jedes Recht der Welt, für ihre Anliegen zu demonstrieren. Ich weiß um die Situation auf den Höfen und habe mich deshalb entschieden vor unsere Landwirtschaft gestellt, denn der ursprünglich geplante Beitrag zur Haushaltskonsolidierung wäre überproportional gewesen. Wir haben nun einen Kompromiss, der größte Teil der diskutierten Subventionskürzungen wird so nicht kommen. Das grüne Nummernschild, also die Kfz-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Maschinen, bleibt. Und aus den Subventionen beim Agrardiesel steigen wir nicht auf einen Schlag aus, sondern in drei Schritten.

Dafür verläuft der Protest recht aggressiv – selbst Galgen werden an Trecker montiert. Und Vizekanzler Habeck musste sich vor einer aufgebrachten Menge in Sicherheit bringen.

Leider gibt es Trittbrettfahrer, die alles im Schilde führen, nur nicht die Interessen der Bauern. Ginge es nach der AfD, würde die Landwirtschaft einfach gar keine Subventionen mehr bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit unserer Bäuerinnen und Bauern mit Galgen und aggressiven Sprüchen nichts am Hut hat. Und auch nicht mit der unsäglichen Aktion gegen Robert Habeck. Sowas geht einfach gar nicht – auch mit Blick auf die anderen Familien, die mit auf der Fähre waren. Ich bin dankbar, dass der Bauernverband und auch andere landwirtschaftliche Organisationen den Zwischenfall klar verurteilt haben. Ich hoffe, dass es ihnen gelingt, den Protest weiterhin so zu organisieren, dass sich die Trittbrettfahrer nicht in den Vordergrund spielen.

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Für die Bauern selbst legen Sie die Hand ins Feuer?

Unsere Landwirtinnen und Landwirte stehen genauso zur Demokratie wie jede andere gesellschaftliche Gruppe. Sogar bei der Bundeswehr, der Polizei und in demokratischen Parteien gibt es Leute mit skurrilen oder unentschuldbaren Ansichten. Die gibt es auch in der Landwirtschaft, das ist doch klar. Aber unsere Bäuerinnen und Bauern sind kein Problem, sondern hart arbeitende Menschen, die jeden Tag dazu beitragen, dass wir sicher mit Lebensmitteln versorgt werden.

Wie reagiert der Staat, wenn Proteste ausufern?

Polizei und Justiz gehen ihren Aufgaben nach. Der Rechtsstaat funktioniert. Und bei allem berechtigen Protest – von den demokratischen Parteien erwarte ich, dass sie sich nicht ihrer Verantwortung entziehen.

Worauf spielen Sie an?

Die Union war 31 der letzten 40 Jahre zuständig für Landwirtschaft im Bund. Jetzt treibt sie ein billiges Spiel und tut so, als hätte sie mit ihrer Politik nichts zu tun, die für viele Höfe das Aus bedeutete. Im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages stimmte die Union kürzlich für die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung und kritisiert nun die Ampel dafür. Das kann man so machen, aber der Tiger, den sie versucht zu reiten, entgleitet ihr zunehmend. Die Union benutzt eine Sprache, mit der sie die falschen Leute stärkt. Die CDU-Fraktion in Sachsen hat in einem Facebook-Post einen Bauern gezeigt, der drohend die Mistgabel erhebt. Das gibt doch nur denjenigen Auftrieb, die sagen: Jetzt bräuchte es eine starke AfD, weil sie die Mistgabel eben nicht nur aufs Bild nimmt, sondern auch anwendet.

Die Proteste der Grünen sind auch nicht immer friedlich verlaufen.

In der Vergangenheit haben auch die Grünen erlebt, dass die eine oder andere Demonstration von Trittbrettfahrern in eine andere Richtung gelenkt wurde. Deshalb sage ich: Ein Hase sollte den anderen nicht dran erinnern, dass er lange Ohren hat. Wir brauchen die Bauern nicht zu belehren. Aber wir müssen uns auch fragen, was nach der Protestwoche kommt.

Was meinen Sie?

Ich habe mich mit aller Kraft dafür eingesetzt, dass diese Subventionsstreichungen so nicht kommen. Ich habe von Anfang an überall deutlich vor einem überproportionalen Beitrag gewarnt. Wenn die Landwirtinnen und Landwirte den Eindruck bekommen, dass sie sich auf das Wort der Politik nicht verlassen können, ist das schwer zu reparieren. Das spüren wir gerade. Ich bin froh, dass wir das als Ampel an entscheidender Stelle korrigiert haben.

Moment! Die Streichung klimaschädlicher Subventionen ist eine ur-grüne Forderung. Und es hält sich das Gerücht, dass der Vorschlag zur Agrardiesel-Beihilfe aus Ihrem Ministerium kommt.

Das ist absurd! Es wurden Sparmaßnahmen eingefordert, und ich habe mich als Minister gegen jede Einschränkung beim Agrardiesel ausgesprochen. Mit den zunächst gefassten Beschlüssen wären die Landwirte überproportional betroffen gewesen. Die Bauern sorgen sich um ihre Zukunft und wir brauchen eine grundsätzliche Lösung – über den Agrardiesel hinaus.

Nämlich?

Die Menschen auf dem Land haben das Gefühl, abgehängt zu sein. Sie sorgen sich, dass sie in einer zunehmend von Städtern dominierten Politik unter die Räder kommen. Das ist ein gefährlicher Spaltpilz, der zu Verhältnissen wie in den USA führen kann: Man redet nicht mehr miteinander, man glaubt einander nicht mehr und unterstellt sich gegenseitig alles Böse dieser Welt. Wir dürfen nicht die Schwelle überschreiten, die Amerika mit Donald Trump überschritten hat. Unser Ziel muss es sein, das Land in der Mitte zusammenzuhalten.

Das wird nicht leicht, wenn sich die Bauern schon beim Agrardiesel nicht auf einen Kompromiss einlassen wollen.

Wir müssen die Proteste zum Anlass nehmen, um grundsätzlich über die wichtige und notwendige Rolle der Landwirtschaft zu reden. Wir haben ein massives Problem, wenn die Interessen von Verbrauchern und Landwirtschaft auseinandergehen. Der Verbraucher möchte mehr Tierwohl, mehr Klimaschutz, mehr Umwelt- und Artenvielfalt – und das ist auch richtig so. Aber er kauft nicht so ein, auch wenn er sich das leisten könnte. Über diese Diskrepanz müssen wir ehrlich reden.

Worauf wollen Sie hinaus?

Dass es nicht sein kann, dass der Landwirt die Rechnung für die Wünsche der Verbraucherinnen und Verbraucher zahlt. Wenn wir beispielsweise mehr Tierschutz im Stall wollen, muss das finanziert werden, etwa durch eine Tierwohlabgabe. Das würde eine maßvolle Belastung beim Fleisch bedeuten – um wenige Cent pro Kilo. Das Geld würde der Landwirtschaft zugutekommen.

Finden Sie dafür eine Mehrheit?

Ich würde mir ein parteiübergreifendes Bündnis wünschen. Die Lage ist ernst. Ein Beispiel: Zwischen 2010 und 2020 hat fast jeder zweite Schweinehalter aufgegeben. Dennoch tut die Politik sich sehr schwer, den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Und warum? Aus Angst vor der Verhetzbarkeit. Wenn wir eine Tierwohlabgabe auf den Weg bringen, muss man leider befürchten, dass die Union für einen billigen Punkt eine Kampagne fährt. Dass sie die Probleme mitverursacht hat, ist ihr egal. Auch innerhalb der Koalition wünsche ich mir mehr Mut. Es liegt im nationalen Interesse, dass unsere Landwirtschaft eine Zukunft hat.

Hand aufs Herz: Geht es der Landwirtschaft wirklich so schlecht? Das durchschnittliche Einkommen ist im Wirtschaftsjahr 2022/23 um 45 Prozent gestiegen – nach einem Plus von 32 Prozent im vorangegangenen Jahr …

Diese beiden Jahre müssen in Relation gestellt werden zu den zehn Jahren davor. Dann sieht es ganz anders aus. Im Übrigen sagen Durchschnittszahlen nichts über das Schicksal einzelner Höfe aus. Die Tierhalter haben es zum Teil mit einer dramatischen Situation zu tun. Das Problem ist, dass nur ein Bruchteil von dem, was im Laden eingenommen wird, bei der Landwirtschaft ankommt. Ich schaue mir gerade an, was wir daran ändern können.

Fast die Hälfte der Einkommen in der Landwirtschaft stammt aus öffentlichen Geldern. Sind geringe Einbußen da unzumutbar?

Es hat sich manches in der Landwirtschaft angestaut. Die Bauern sind seit vielen Jahren unzufrieden mit der Politik. Die ursprünglich geplanten Subventionsstreichungen haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Kompromiss, den wir angesichts der schwierigen Haushaltslage und der Schuldenbremse zwischen SPD, FDP und Grünen jetzt gefunden haben, ist fair. Wir sollten ihn nicht zerreden.

Der Kompromiss geht zu Lasten der Fischer. Weil sie weniger radikal sind als die Bauern?

Nein. Für eine nachhaltigere Fischerei gibt es immer noch 134 Millionen Euro zusätzlich aus dem Verkauf von Lizenzen für Offshore-Windparks für den Umbau der Fischerei an Nord- und Ostsee …

… bisher waren 670 Millionen geplant.

Wir haben hart um die Gegenfinanzierung gerungen. Weniger zusätzliches Geld bedeutet keine Kürzung für die Fischerei. Und was die Bauern angeht: Trecker-Blockaden hat es auch in den Jahren gegeben, in denen Agrarminister der Union die Forderungen des Bauernverbands eins zu eins übernommen haben. Mit mir haben es die Landwirte natürlich schwerer, weil ich eine dreifache Zumutung bin: Ich habe ein Ö im Namen, also türkische Wurzeln, bin Vegetarier und auch noch Grüner. Aber ich habe mich immer fair und transparent verhalten und erzähle nicht heute dieses und morgen jenes. Das Problem an der ursprünglichen Subventionsentscheidung war, dass sie das Prinzip des Gehörtwerdens und der Nachvollziehbarkeit nicht berücksichtigt hat. Jetzt müssen wir das korrigieren – nicht nur materiell, sondern auch psychologisch. Es ist Vertrauen verloren gegangen.

Noch eine persönliche Frage, Herr Özdemir. Ihnen werden gute Chancen zugeschrieben, Winfried Kretschmann als Ministerpräsident von Baden-Württemberg nachzufolgen. Wo sehen Sie Ihren Platz in Stuttgart oder Berlin?

Wir werden das rechtzeitig und gut entscheiden. Wer immer Winfried Kretschmann nachfolgt in Baden-Württemberg, sollte sich klarmachen, warum er als Ministerpräsident so erfolgreich ist. Kretschmann schaut nicht zuerst ins Parteibuch, sondern macht Politik für das ganze Land. Dieses Politikverständnis teile ich.