Berlin. Vizekanzler Robert Habeck wird auf einer Fähre bedrängt. Kapern Extremisten die Bauern-Proteste? Sicherheitsbehörden sind alarmiert.
Im Chat des Rechtsextremen Martin Sellner ist die Freude groß. „Ein Erfolg“ sei die Blockade der Landwirte und ihrer Unterstützer gegen Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) gewesen, schreibt Sellner. Der Protest im Hafen von Schlüttsiel wird für ihn zu etwas Größerem, zu einem Teil des selbst ausgerufenen „Widerstands“ gegen das „System“. Sellner schreibt: „Diese Regierung hat fertig!“ Im Messengerdienst Telegram bekommt er für seine Kommentare viel Applaus. Ein Nutzer schreibt: „Endlich stehen mal Teile des Volkes auf und wehren sich“. Ein anderer kommentiert: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ Es sind Dutzende Beiträge.
Und es sind die harmlosen an diesem Tag, nachdem ein Mitglied der Regierung von Protestierenden im Hafen von Schlüttsiel daran gehindert wurde, eine Fähre zu verlassen. Unter Posts in verschiedenen Telegram-Gruppen finden sich auch Mordaufrufe und Tötungsfantasien. Doch was war passiert? Als der Grünen-Politiker am Donnerstagabend auf dem Rückweg aus einem Urlaub von mehr als 100 Demonstranten bedrängt wurde, entschieden Habecks Personenschützer und die Polizei, dass das Schiff wieder aus dem Hafen ablegt.
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„Wenn diese Entscheidung eine Minute später getroffen worden wäre, dann wäre die Fähre gestürmt gewesen“, sagte der Geschäftsführer der Reederei, Axel Meynköhn, am Freitag. „Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen.“ Seit Wochen demonstrieren Landwirte aus der ganzen Republik, legen mit Traktoren-Demos den Verkehr in Städten lahm, kippen Mist vor Ministerien aus. Der Ton ist rau, mehrfach waren Galgen bei Demonstrationen zu sehen –zum Teil mit Ampeln, die darunter baumelten.
Agrardiesel: Die Ampel rudert zurück, die Proteste gehen weiter
Der Unmut entzündet sich an Kürzungen bei den Subventionen für Agrardiesel und KfZ-Steuervergünstigen für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Diese sind inzwischen zwar größtenteils zurückgenommen. Die Bäuerinnen und Bauern besänftigt das aber nicht. Für die kommende Woche sind erneut großflächige Proteste angekündigt. Doch nach den Ereignissen in Schlüttsiel stellt sich die Frage, wo nachdrückliche Interessenvertretung aufhört, und wo etwas beginnt, dass gefährlich wird für den demokratischen Zusammenhalt.
Recherchen unserer Redaktion zeigen, dass extreme Rechte und Verschwörungsideologen die Proteste der Bauern für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren. Aber sie werben auch für die Demonstrationen, teilen die Slogans der Bauernproteste – und betten sie in ihren Kampf gegen die Regierung ein. Ihnen geht es weniger um Agrarsubventionen und Spritpreise. Es geht den rechten Akteuren darum, ihre Umsturzfantasien zu verbreiten. Diesmal mit Hilfe der Bauern.
Kommentar:Dieser Mob bringt die gesamte Bauernschaft in Verruf
Von den rechtsextremen „Freien Sachsen“ über die rechte Splitterpartei „Der III. Weg“ bis hin zu Landesverbänden der AfD mobilisiert die Szene für die Großdemonstrationen der Landwirte, die am 8. Januar beginnen sollen. Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt schreibt auf Nachfrage unserer Redaktion, dass die dortige AfD ähnlich wie bei den Corona-Protesten darum bemüht sei, „sich den protestierenden Landwirten als deren parlamentarischer Arm anzubieten, um die Proteste für ihre rechtsextremistischen Delegitimierungskampagnen zu vereinnahmen“.
Bauernproteste: Verfassungsschutz warnt vor Vereinnahmung
Ähnlich beschreiben auch die Inlandsnachrichtendienste in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern die Versuche der Radikalen, an die Bauernproteste anzudocken. „Den Extremisten geht es im Kern nur darum, Zukunftsängste in der Bevölkerung weiter zu schüren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie und ihre Institutionen grundlegend zu erschüttern“, heißt es beim Verfassungsschutz in Sachsen. Zugleich heben die Sicherheitsbehörden hervor, dass die Bauernproteste nicht von den Diensten als extremistisch eingestuft würden – und entsprechend nicht beobachtet werden.
Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz mahnt jedoch: „Landwirte, die im Rahmen der angekündigten Aktionswoche ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen, sollten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass Extremisten die Proteste für ihre Propagandazwecke nutzen könnten, und sich deutlich gegen solche Vereinnahmungsversuche positionieren.“ Nach Erkenntnis der Ermittler in Schleswig-Holstein war es vor allem auch die Mobilisierung bei Telegram, die zu der Blockade am Hafen von Schlüttsiel geführt hat. Der als verfassungsfeindlich eingestufte Kanal „Freie Schleswig-Holsteiner“ rief demnach am Vortag dazu auf, zur Ankunft von Vizekanzler Habeck „mit allem zu kommen, was Räder hat“.
Ob diese Versuche der Vereinnahmung verfangen, ist bislang unklar, gesicherte Erkenntnisse gibt es dazu bei den Behörden nicht. Die Verbände der Landwirte distanzieren sich von der Blockade am Hafen, Bauernpräsident Joachim Rukwied erklärte am Freitag, derartiges sei ein „No-Go“, persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt würden „gar nicht“ gehen. Und auch der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der Dachverband der Bio-Landwirte, verurteilt jegliche Angriffe auf Politiker und Proteste mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Parolen.
Bäuerin über die Habeck-Blockade: „Das ist eine gute Aktion“
Doch während das offizielle Echo auf die Blockade der Fähre kritisch ausfällt, gibt es unter Landwirten durchaus Zustimmung. Sie habe Verständnis für Proteste am Fähranleger, sagt etwa Ina Oestreicher, die einen Ackerbaubetrieb in der Prignitz hat. „Als wir das mitbekommen haben, haben wir schon gesagt: Das ist eine gute Aktion“, sagt sie dieser Redaktion. Die aufgeheizte Stimmung der Landwirte werde sich jedenfalls nicht so schnell abkühlen. Oestreicher ist Teil der Gruppe „Land schafft Verbindung“, die sich 2019 gegründet hatte, ebenfalls im Rahmen großflächiger Bauernproteste.
Auf der Facebook-Seite der Gruppe ist ein Videozusammenschnitt der Situation am Anleger hochgeladen worden, unterlegt mit Musik. In den Kommentaren findet sich kaum Kritik am Handeln der Menge, dafür aber jede Menge Zuspruch. Ein Landwirt aus Schleswig-Holstein bestätigt am Telefon mit dieser Redaktion, am Fähranleger gewesen zu sein, will aber keine Fragen zum Ablauf des Abends beantworten, aus Misstrauen gegenüber „den Medien“.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnt vor einer gefährlichen Radikalisierung. „Wir sollten nie vergessen, wo politische Aggression hinführen kann“, sagte sie dieser Redaktion. „Das rechtsextremistische Mordattentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat gezeigt, wie brandgefährlich Hetze sein kann.“ Und auch Habeck selbst beunruhigt das, was er und andere auf dem Schiff erlebt haben. „Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt“, sagte er am Freitag. Einer Sprecherin Habecks zufolge hatte es ein Angebot gegeben, mit einzelnen Vertretern der Landwirte auf dem Schiff zu reden. Dies sei abgelehnt worden.
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