Berlin. William Bobach meldet sich regelmäßig freiwillig für Rückführungen. Warum er das macht & was der Gewerkschafter auf den Flügen erlebt.

Auf die Frage, wohin er denn als Nächstes abschiebt, zückt William Bobach sein Handy. Sein Kalender ist gut gefüllt: „Anfang Januar nach Lagos. Später dann nach Belgrad und Baku“, so der Beauftragte der Jungen Polizei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Er steht auf dem Freilichthof des Münchner Flughafens, im Hintergrund ist zu dieser Jahreszeit ein bunt blinkender Weihnachtsmarkt aufgebaut. Dort, wo Reisende ein-, aus- oder umsteigen, ist für gewöhnlich Bobachs Arbeitsplatz. Doch mehrmals im Monat steigt auch er die Flugzeugtreppe hinauf. Im Schlepptau: Ausreisepflichtige, die er zurück in die Heimat bringt.

Bobach ist „Personenbegleiter Luft“ – eine Tätigkeit, die der Bundespolizist freiwillig im Nebenamt ausführt. Seine Aufgabe: Ausreisepflichtige am Flughafen von den Ausländerbehörden oder der Landespolizei in Empfang nehmen und außer Landes bringen. „Es müssten weit über 100 Flüge sein“, mutmaßt der Gewerkschafter und Polizeihauptmeister, der die genaue Statistik mittlerweile aufgegeben hat. Seit vier Jahren bildet er zudem seine Kolleginnen und Kollegen in diesem Metier aus und scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein: So viele Ausbilder gebe es ja nicht. „Das zeigt natürlich, dass ich mich für das Thema Rückführungen interessiere.“

Als „unmittelbar ausreisepflichtig“ mussten deutschlandweit in der ersten Jahreshälfte 2023 rund 54.300 Menschen eine Abschiebung fürchten, so die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken. In Anbetracht der fast 280.000 Ausreisepflichtigen ist das ein Bruchteil, da der Rest eine Duldung vorweisen kann. Laut Ausländerzentralregister befanden sich Ende August unter den unmittelbar Ausreisepflichtigen knapp 19.500 abgelehnte Asylbewerber. Hinzu kommen Menschen, die aus anderen Gründen ihren Aufenthalt verwirkt haben. Etwa ausländische Arbeiter, Studierende oder Touristen, deren Visum, Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis ausgelaufen ist, können ebenfalls „unmittelbar ausreisepflichtig“ werden.

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Abschiebungen: Bobachs „krassester“ Flug ging nach Italien

Bobach ist in Sachsen geboren und wollte eigentlich Sport studieren. Seinen breiten Schultern sieht man seine Sportlichkeit nach wie vor an. Nach einer Verletzung entschied er sich aber für den „sicheren“ Weg und machte eine Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten. Sich an Regeln zu halten und Regeln für andere durchzusetzen – das passte zu ihm.

William Bobach am Flughafen von München. Der Gewerkschafter ist auch Bundespolizist und meldet sich mehrmals im Monat freiwillig für Abschiebungen.
William Bobach am Flughafen von München. Der Gewerkschafter ist auch Bundespolizist und meldet sich mehrmals im Monat freiwillig für Abschiebungen. © Theo Klein | Theo Klein

„Der krasseste und schlimmste Flug, den ich erlebt habe, war eine Rückführung nach Italien“, erinnert sich Bobach auf die Frage nach seinem eindringlichsten Erlebnis. „Da ging es um 17 Afrikaner, die schwerste Widerstände geleistet haben.“ Bereits im Bus seien sie gewalttätig gegenüber den Beamten geworden, hätten sich selbst verletzt, eingekotet und eingenässt. Später seien dann Flugzeugsitze auseinandergenommen worden. „Wenn mal einer ausrastet, okay. Aber dass alle 17 gleichzeitig Widerstand leisten, das war schon Wahnsinn.“

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Der Polizist setzt bei Spuckattacken dem Abschiebehäftling einen speziellen Helm auf

Vor drei Monaten hatte er erneut drei Fälle, die sich eingekotet haben. „Die werden dann zurückgebracht, mit Wasser sauber gemacht, bekommen neue Klamotten – und dann versuchen wir es aufs Neue.“ Dass Ausreisepflichtige sich wehren oder sich selbst verletzen, um ihre Rückführung zu verhindern, komme regelmäßig vor. „Neuralgische Punkte sind an der Treppe beim Zustieg.“ Zudem wollten viele an Bord von Linienfliegern das Aufsehen der anderen Fluggäste erwecken, um den Abflug zu verhindern. Wenn er erzählt, klingt Bobach routiniert. Die Abschiebung von Menschen als Alltag.

Polizeibeamte begleiten 2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. 45 abgelehnte Asylbewerber wurden damals mit dem Sonderflug in Afghanistans Hauptstadt Kabul abgeschoben.
Polizeibeamte begleiten 2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug. 45 abgelehnte Asylbewerber wurden damals mit dem Sonderflug in Afghanistans Hauptstadt Kabul abgeschoben. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Michael Kappeler

„Wenn dann Gewalt im Spiel ist, müssen wir die Rückkehrer mit einem speziellen Festhaltegurt oder anderen Fesslungsmitteln fixieren“, so Bobach. Oder aber eine Art Helm aufsetzen, um Spuckattacken oder Kopfstöße zu vermeiden. Das „Rumgeschreie“ müsse er dann einfach aushalten. Bei Linienflügen entscheide sich der Kapitän zwar oft gegen den Abflug, da den meisten der Festhaltegurt zu martialisch sei. Sammelflüge hingegen werden seltener abgebrochen.

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Der Einsatz im Ausland reizt den Bundespolizisten

Vor jedem Flug setzt sich Bobach mit der „Vita“ des Rückzuführenden auseinander. Er begleitet Menschen unterschiedlicher Backgrounds in verschiedene Teile der Erde. „Afrika habe ich, glaube ich, schon gänzlich gesehen“, so der 32-Jährige. In der ersten Jahreshälfte 2023 wurden aus Deutschland 7861 Menschen abgeschoben – vorwiegend nach Georgien, Nordmazedonien, Afghanistan, Albanien und in die Türkei. Für Polizisten wie Bobach geht es in die ganze Welt.

Bobach schwärmt von der Vielfältigkeit seines Jobs, bei dem er mit Kollegen eng im Team zusammenarbeitet und sich auch mit den Rückkehrern über die verschiedenen Kulturen austausche. „Die meisten Rückführungen verlaufen ja auch ganz okay“, sagt er. Er könne Small Talk über Hobbys oder Familie führen. „Ich begegne jedem gleich auf Augenhöhe“, das gehöre zu den Standards der Rückführungspraxis. Mehrmals erwähnt er den Vorfall von 1999, wo der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb bei einer Rückführung ums Leben kam. „Das darf einfach nicht noch mal passieren.“

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Deutschland sollte „Rückführungen weiter durchführen – und wenn notwendig die Zahl erhöhen“

Zwangsläufig sei man in seinem „Business“ auch politisch interessiert, sagt er. Und auch wenn Beamte mit gewissen Haltungen schnell in eine Ecke gedrängt würden, könne er sich positionieren: „Natürlich sollte Deutschland, um die Wirtschaftlichkeit der Bundesrepublik zu erhalten, Rückführungen weiter durchführen – und wenn notwendig die Zahl erhöhen.“ Viel zu viele ausreisepflichtige Personen gebe es hierzulande. „In der Bundesrepublik Deutschland kann man sich meiner Meinung nach relativ viel erlauben, bis aufenthaltsbeendende Maßnahmen auferlegt werden.“ Es müsse völlig klar sein, dass Menschen, die Deutschland eher schaden als Gutes tun, das Land verlassen. Schließlich koste auch die JVA täglich Geld.

Abgesehen von der Tatsache, dass sie nicht freiwillig ausreisen, hat weniger als die Hälfte der Rückzuführenden noch etwas ausgefressen. Auf Anfrage unserer Redaktion teilte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen mit, dass von Januar bis September 2023 799 Menschen vom Münchner Flughafen rückgeführt wurden. 314 von ihnen waren rechtskräftig verurteilt. Das entspricht einer Quote von rund 40 Prozent.

William Bobach am Flughafen München. Dort übernimmt er Ausreisepflichtige und begleitet sie außer Landes.
William Bobach am Flughafen München. Dort übernimmt er Ausreisepflichtige und begleitet sie außer Landes. © Theo Klein | Theo Klein

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Ob der Abschiebepolizist am Job zweifelt? „Ich bin ja nur das letzte Glied der Kette“

Zahlen, hinter denen sich auch immer individuelle Geschichten verstecken. Mit nach Hause nehme Bobach seine Erlebnisse aber nicht, sagt er. „Aber natürlich bin ich kein Roboter, den das alles kaltlässt – vor allem, wenn ich Kinder betreue.“ Mitunter waren sie noch nie in dem Herkunftsland ihrer Eltern. „Da würden mir ad hoc immer andere Fälle einfallen, die man prioritär behandeln sollte.“

Ein Grund zum Zweifeln für den Bundespolizisten? Natürlich hinterfrage er diese Fälle. Doch gezweifelt habe er noch nie an seinem Job – schließlich würden die Entscheidungen ohnehin andere treffen. Wen er abschiebe, behandle er als neutralen Teil seines Aufgabengebietes. „Das obliegt ja nicht mir. Ich bin ja nur das letzte Glied der Kette.“