Bonn. Netzagentur-Chef Klaus Müller erklärt, wie sicher unsere Gasversorgung ist – und wer dringend einen Schornsteinfeger anrufen sollte.

Es ist kalt im Konferenzraum der Bundesnetzagentur, der wichtigsten Behörde in der Gaskrise. Präsident Klaus Müller kommt im weißen Hemd, fröstelt – und verlegt das Interview kurzerhand in sein gut geheiztes Büro im 13. Stock. Der Turm am Bonner Tulpenfeld wird mit Fernwärme versorgt.

Herr Müller, sparen die Deutschen in diesem Winter genug Gas?

Klaus Müller: Stand heute: ja. Wir haben die Hälfte des Winters hinter uns, und wir sind sehr optimistisch. Zwar haben wir sechs Prozent mehr Gas verbraucht als im Winter 2022/23 mit extrem hohen Preisen nach dem Stopp der russischen Gaslieferungen. Bei den Privathaushalten sehen wir eine Zunahme um fast drei und bei der Industrie um knapp neun Prozent. Wir verbrauchen in diesem Winter aber immer noch gut 16 Prozent weniger Gas als vor der Krise. Auch die Gasspeicher in Deutschland sind mit über 90 Prozent sehr gut gefüllt. Es ist nach wie vor sinnvoll, achtsam mit Gas umzugehen – auch, um das eigene Portemonnaie zu schonen.

Die Menschen gefährden also nicht mehr die Gasversorgung, wenn sie heizen und duschen nach Herzenslust?

Die Bundesnetzagentur ruft nicht dazu auf, kälter zu duschen oder die Heizung runterzudrehen. Das kann jeder Verbraucher für sich selbst entscheiden. Die Bundesregierung hat nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts entschieden, die Energiepreisbremen nicht fortzuführen. Die Mehrwertsteuer für Gas soll wieder hochgesetzt werden. Und der CO2-Preis steigt. Es wird also teurer, eine Gasheizung zu nutzen. Ich würde sagen: Man muss nicht jeden Raum im Haus genauso heizen wie das Wohnzimmer. Aber man gefährdet nicht die Gasversorgung, wenn man es tut.

Sie geben Entwarnung.

Für Entwarnung ist es zu früh. Wir wissen noch nicht, wie Januar, Februar und März werden. Es gibt Restrisiken. Aber wir sind viel entspannter als im vergangenen Winter.

Restrisiken – meinen Sie Terroranschläge?

Die Explosionen bei Nord Stream I und II sind noch nicht aufgeklärt. Es hat diesen Vorfall zwischen Estland und Finnland gegeben, als ein Schleppanker die Balticconnector-Pipeline beschädigt hat. Und der Generalbundesanwalt ermittelt wegen Schäden an einer Flüssiggas-Pipeline. Das zählt zu den Restrisiken. Unser Gas kommt zu einem großen Teil aus Norwegen. Wir sind dankbar, dass Norwegen, aber auch die Nato diese kritische Infrastruktur gut im Blick behalten.

Könnte Deutschland einen Ausfall der Lieferungen aus Norwegen verkraften?

Das käme sehr auf den Zeitpunkt an. Falls kein Gas mehr nach Deutschland fließt, reichen volle Speicher acht bis zehn Wochen. Wir haben vier Flüssiggasterminals an Nord- und Ostsee, zwei weitere sind unterwegs. Darüber könnten ab dem Frühling die Speicher neu befüllt werden.

Der Import von Flüssiggas ist hoch umstritten, Umweltschützer machen dagegen Front. Wie lange sind wir auf LNG-Terminals angewiesen?

Ich habe irgendwo gelesen, die Gaskrise sei im Frühjahr 2024 vorbei. Das kann ich nicht unterschreiben. Schrittweise wird Gas natürlich an Bedeutung verlieren. Daher war es eine wichtige Entscheidung der Bundesregierung, die Flüssiggasterminals so zu gestalten, dass sie später für Wasserstoff genutzt werden können. Diese Investition passt sehr gut zu einer klimaneutralen Wärmewende. Die LNG-Terminals müssen vorerst bleiben.

Alle sechs? Auf der Insel Rügen ist der Widerstand besonders groß.

Unsere Risikobetrachtungen sind keine Schönwetterprognosen. Es kann harte Winter oder Ausfälle geben. Nachbarländer können unsere Hilfe benötigen. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wir brauchen eine Versorgung, die auch Risiken berücksichtigt.

Gegen das LNG-Terminal auf der Insel Rügen regt sich besonders heftiger Widerstand.
Gegen das LNG-Terminal auf der Insel Rügen regt sich besonders heftiger Widerstand. © imago/Jens Koehler | imago/Jens Koehler

Gehen Sie davon aus, dass kein Gas mehr aus Russland fließen wird?

Ich kann keine Prognose geben, wann und wie der russische Krieg in der Ukraine endet. Unsere Behörde muss auf das sichere Pferd setzen. Und das kommt aus Norwegen und unseren westlichen Nachbarländern, nicht aus Russland.

Was ist mit heimischem Gas?

Ich finde es auffällig, dass gerade die Bundesländer danach rufen, die keine eigenen Schiefergasvorkommen haben. Es würde zudem fünf bis zehn Jahre dauern, bevor wir heimisches Schiefergas fördern könnten. Bis dahin sind wir aber mit Wasserstoff, Wind und Sonne schon sehr weit.

Wirklich? Der Ausbau der Erneuerbaren geht schleppend voran.

Einspruch! Bei der Solarenergie hat Deutschland ein Boomjahr hinter sich. Der Zubau hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Die Entwicklung wird sich im neuen Jahr mit dem Solarpaket I und seinen Maßnahmen zur Entbürokratisierung noch beschleunigen. Es muss auch wirklich schneller gehen. Das gilt besonders für die Windkraft. Obwohl wir auch da einen Zuwachs verzeichnen, haben wir unsere Ziele noch nicht erreicht. Vor allem in den südlichen Bundesländern kommt der Zubau noch nicht so schnell voran wie im Norden, im Nordosten und beginnend im Westen. Diese Defizite müssen dringend ausgeglichen werden.

Wie?

Wir brauchen mehr Tempo in den Genehmigungsbehörden der Länder. Es geht um mehr Personal und weniger Bürokratie – auch bei Windparks in Wäldern und anderen geschützten Gebieten.

Gilt das auch für den Ausbau der Stromnetze?

Wir sind beim Netzausbau viel schneller als in der Vergangenheit. Wir können künftig Genehmigungen in drei bis vier statt in sechs Jahren erteilen.

Reicht das, um die Klimaziele einzuhalten?

2023 ist die Zahl der genehmigten Leitungskilometer deutlich angestiegen. Wir gehen davon aus, dass wir in den kommenden Jahren noch größere Fortschritte sehen werden. Bis Ende 2025 wollen wir insgesamt 4.400 Kilometer Leitungen genehmigt haben, aktuell sind es 1.300. Das ist eine wichtige Voraussetzung, damit wir die Energiewende im Strombereich schaffen.

Wann deckt Deutschland seinen Energiebedarf zu 100 Prozent aus Erneuerbaren?

Wir kommen sichtbar voran. Im vergangenen Jahr haben wir erstmals über 50 Prozent Strom aus Erneuerbaren produziert. Das ist ein guter Ansporn, die Anstrengungen fortzusetzen. Bis 2030 wollen wir 80 Prozent erreichen. Dafür muss der Windausbau beschleunigt werden. Auch hundert Prozent halte ich für möglich. Zur Wahrheit gehört aber: Es wird immer Dunkelflauten geben in Deutschland – ohne Wind und Sonne.

Dafür sollen Gaskraftwerke gebaut und in Reserve gehalten werden.

Die Bundesregierung bereitet eine Kraftwerksstrategie vor, die wir zeitnah sehen sollten. Die Energieversorger warten dringend darauf, um die Gaskraftwerke, die langfristig dann auf Wasserstoff umgestellt werden sollen, bis 2030 fertigstellen zu können.

Das Uniper-Gaskraftwerk in Gebersdorf: Die Bundesregierung will weitere Kraftwerke in Deutschland bauen.
Das Uniper-Gaskraftwerk in Gebersdorf: Die Bundesregierung will weitere Kraftwerke in Deutschland bauen. © picture alliance/dpa | Nicolas Armer

Wenn das nicht gelingt – wackelt der Kohleausstieg 2030?

Ich halte die Formulierung im Koalitionsvertrag für schlau, den Kohleausstieg idealerweise bis 2030 hinzubekommen. Wir krempeln die Ärmel hoch und tun alles dafür, dass es möglich wird. Priorität hat, dass in Deutschland nicht die Lichter ausgehen.

Zum Jahreswechsel ist das umstrittene Heizungsgesetz in Kraft getreten. Wie wirkt sich das auf den Energieverbrauch aus?

Es wird sich immer mehr die Einschätzung durchsetzen, dass Wärmepumpe, Solarthermie oder auch Fernwärme sehr leistungsstarke Technologien sind. Wir werden weniger fossiles Gas in den privaten Haushalten nutzen.

Die Förderanträge für Wärmepumpen sind im vergangenen Jahr um 70 Prozent zurückgegangen …

Wir haben eine kontroverse politische Diskussion und unverhältnismäßige Preissprünge bei den Wärmepumpen gesehen. Ich begrüße sehr, dass jetzt deutliche Preissenkungen angekündigt sind.

Das Heizungsgesetz greift erst in einigen Jahren richtig. Raten Sie dazu, fossile Heizungen schneller auszutauschen als vorgeschrieben?

Mein Rat ist, eine professionelle Energieberatung in Anspruch zu nehmen, um festzustellen, was im eigenen Haus sinnvoll ist. Nur so lassen sich Kosten und Nutzen vernünftig abschätzen. Die einen brauchen eine neue Heizung, für die anderen ist eine neue Fassade das richtige. Jedes Haus ist anders. Pauschale Tipps helfen da nicht weiter.

Wie heizen Sie zu Hause?

Wir sind Mieter. Dankenswerterweise hat unser Vermieter hier in Bonn schon lange eine Wärmepumpe.