Düsseldorf. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gründet heute eine Partei. Eine Parteienforscherin traut ihr zumindest zum Start einiges zu.

2024 wird in ein Superwahljahr, und eine Partei, die am heutigen Montag gegründet wird, will die politische Landschaft in Deutschland aufmischen. Für den 27. Januar 2024 plant der Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) einen Bundesparteitag in Berlin. Ob das Experiment „Wagenknecht-Partei“ gelingt, ist aber noch ungewiss.

Wagenknecht-Partei: Die Zeit wird knapp

Eine Parteigründung ist vor allem: Maloche. Christian Leye (42), einst Vorsitzender der Linkspartei in NRW und jetzt „Vize“ im Verein BSW, sind die Strapazen anzusehen. „Ich esse am Schreibtisch“, gesteht Leye, dessen Duisburger Wahlkreisbüro gerade eingerichtet wird. Der Bundestagsabgeordnete hat Ränder unter den Augen, die Wochenenden arbeitet er durch, denn die Zeit wird knapp für die kleine Gründungs-Truppe: Nur 25 Köpfe zählte der Verein kurz vor Weihnachten -- bundesweit. Acht kommen aus NRW.

Christian Leye (links) und Amid Rabieh bereiten von NRW aus die Parteigründung vor. Beide hatten früher wichtige Ämter in der NRW-Linken.
Christian Leye (links) und Amid Rabieh bereiten von NRW aus die Parteigründung vor. Beide hatten früher wichtige Ämter in der NRW-Linken. © Funke Foto Services | STEFAN AREND

Je näher die Gründung rückte, desto lauter wurden die Fragen nach Chancen und Risiken der Wagenknecht-Partei: Gelingt ihr der Kaltstart? Wem schadet sie? Hält Deutschland eine weitere populistische Partei neben der AfD aus? CDU-Bundeschef Friedrich Merz wettert kurz vor dem Jahreswechsel gegen die neue Konkurrenz: „Diese Mischung aus Sozialismus und Nationalismus braucht in diesem Land niemand.“ Die „etablierten Parteien“ ließen keine Lücke offen, die Wagenknecht besetzen könnte, glaubt Merz.

Wagenknecht-Partei: Hat sie ihre Nische in der Parteienlandschaft gefunden?

Das mit der Lücke kann man auch anders sehen. Parteienforscherin Kristina Weissenbach von der Universität Duisburg-Essen meint, das BSW scheine durchaus ihre Nische gefunden zu haben. „Ich traue dem BSW den Aufstieg zu. Die Wagenknecht-Partei hätte Chancen, über fünf Prozent zu kommen, weil sie die bisher offene Position „sozial-konservativ“ besetzt, weil sie an der Spitze eine Person mit großer Außenwirkung und dahinter politisch erfahrenes Personal hat“, erklärt die Vertretungsprofessorin. Die dominierende Rolle von Sahra Wagenknecht berge aber Risiken. Die Partei stehe und falle mit dem Ruf ihrer Führungsfigur.

Parteiengründungen seien im EU-Vergleich zwar laut Weissenbach gang und gäbe – zwischen 2005 und 2021 seien in Europa 139 Parteien gegründet worden-- , nicht jedoch in Deutschland, wo die letzte nennenswerte Gründung die der AfD vor zehn Jahren gewesen sei.

Kontrolliertes Wachstum -- aus Angst vor Kontrollverlust

„Wir werden kontrolliert wachsen müssen“, sagt Christian Leye. Das heißt, dass die neue Partei jetzt weder das Geld noch die Strukturen habe, um einen unkontrollierten Zustrom von Mitgliedern aufzufangen. Die Gründer haben große Angst vor Kontrollverlust. Amid Rabieh (43) – er war mal Oberbürgermeister-Kandidat der Linken in Bochum – befürchtet, dass sich die Partei rasch häuten könnte, also ihre Ausrichtung verändert, wie zuletzt die AfD und die Piraten.

Vor Häutungen seien sei wohl auch die Wagenknecht-Partei nicht gefeit, vermutet Professorin Weissenbach: „Immer, wenn eine Partei gegründet wird, beginnt ein Kampf um den Markenkern. Neuausrichtungen, sind später durchaus normal, denken wir nur an die Grünen.“

Ex-Linken-Spitzenkandidatin Butterwegge wirft die Brocken hin

Die Linke leidet unterdessen massiv unter den „Abtrünnigen“ rund um Sahra Wagenknecht, auch in NRW. Die frühere Spitzenkandidatin der NRW-Linken und Ex-Landtagsabgeordnete Carolin Butterwegge (49) hat nach Informationen von WAZ und NRZ zusammen mit vier weiteren Politikern aus NRW zum Jahresende die Linkspartei verlassen. „Das war ein unvermeidlicher Schritt“, sagte die Kölnerin am Montag dieser Redaktion. Ob sie sich künftig im „Bündnis Sahra Wagenknecht“ engagiert, ließ sie offen. „Wenn eine Wagenknecht-Partei glaubwürdig für linke Inhalte eintreten sollte, dann schaue ich mir das mal an“, so die Frau des früheren Bundespräsidentschafts-Kandidaten der Linken, Prof. Christoph Butterwegge.

Über Facebook begründet Butterwegge den Austritt aus der Linken, der sie 17 Jahre lang angehörte: Die Lebens- und Erfahrungswelt der arbeitenden Menschen werde von der Linken immer weniger angesprochen. Die Partei konzentriere sich auf „grün-akademische Großstadtschichten und identitätspolitische Themen“. Enttäuschend sei auch die „zögerliche“ Unterstützung der Friedensbewegung durch die Linke. Die Partei müsse entschiedener gegen die „Remilitarisierungspolitik“ der Bundesregierung handeln. Ähnliche Positionen vertritt das Bündnis Sahra Wagenknecht.

Wagenknecht-Partei: Reicht das Geld für den Start?

Wie dünn die Ressourcen der künftigen Wagenknecht-Partei sind, stellte die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali gegenüber dpa dar. Es sei fraglich, ob die Partei in allen Bundesländern, in denen 2024 gewählt wird, antreten kann, also in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. „Dafür müssen wir Landesverbände gründen, eine starke Kandidatenliste haben und in der Lage sein, einen guten Wahlkampf zu finanzieren“, so Mohamed Ali. Für den Europa-Wahlkampf fehlten noch Spenden. Die bisher eingesammelten 1,4 Millionen Euro Spenden seien zwar genug für die Parteigründung, reichten aber womöglich nicht für die Europawahl im Juni. Ein Landesverband NRW sei noch nicht in Sicht, betonen Leye und Rabieh.

Amira Mohamed Ali, Vorsitzende des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht, spricht die noch nicht sehr tragfähige Finanzausstattung für eine erfolgreiche Parteigründung an.
Amira Mohamed Ali, Vorsitzende des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht, spricht die noch nicht sehr tragfähige Finanzausstattung für eine erfolgreiche Parteigründung an. © DPA Images | Hauke-Christian Dittrich

Die Wagenknecht-Partei habe zum Start Vorteile gegenüber Parteien, die aus dem „Nichts“ kommen. Durch ihre Vorgeschichte in der Linken verfüge sie über politische Erfahrung, erläutert Weissenbach. Folgende Fragen müssten aber erst beantwortet werden: „Gelingt es der Partei, Gliederungen, zum Beispiel für die Parteijugend und Frauen, aufzubauen? Kann die Partei einen Führungswechsel überleben?“ Der AfD sei dies wiederholt gelungen.

Wagenknecht-Partei: CDU vermutet Potenzial für bis zu zehn Prozent

Laut einer Analyse der CDU liegt das Stimmenpotenzial der Wagenknecht-Partei bei bis zu zehn Prozent. Ob sich Union, SPD und Grüne jetzt warm anziehen müssen, bezweifelt Kristina Weissenbach. Stimmen sammeln könnten die Wagenknecht-Getreuen vor allem unter AfD- und Linken-Wählerinnen und Wählern sowie im Lager der Nichtwähler.

Wie nachhaltig das Wagenknecht-Experiment ist, sei derzeit nicht abzusehen, erklärt Expertin Weissenbach: „Die Parteienforschung zeigt für die ganze EU: Neue Parteien halten sich meistens dann dauerhaft, wenn sie die dritte Wahl auf nationaler Ebene überstehen.“ Das wäre, falls sich die Termine nicht verschieben, im Jahr 2033.

Die Wagenknecht-Partei in NRW

Neben dem Bundestagsabgeordneten und langjährigen Wagenknecht-Mitarbeiter Christian Leye bereiten diese Frauen und Männer aus NRW die Parteigründung vor: Amid Rabieh (Bochum, Ex-Vorstandsmitglied der Linken in NRW), Lukas Schön (Bonn, Ex-Geschäftsführer der Linken in NRW), Sevim Dagdelen (Bundestagsabgeordnete, Bochum), Andrej Hunko (Bundestagsabgeordneter, Aachen), Fadime Asci (Bochum), Jana van Helden (Viersen) und Amelie Gabriel (Bonn).

Kristina Weissenbach sagt: „NRW ist das bevölkerungsreichste Bundesland. Wenn die neue Partei hier Erfolg haben sollte, hätte das bundesweit Signalwirkung.“

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