Moskau. Ukrainische Raketen und Drohnen treffen die russische Stadt schwer. Dutzende Menschen sterben – Silvesterfeiern werden abgesagt.
Erstmals seit langem legen Menschen wieder Blumen nieder, am Denkmal der ukrainische Dichterin Lessja Ukrajinka, mitten in der Moskauer Innenstadt. Ein stilles Gedenken an die Opfer der jüngsten Luftangriffe auf beiden Seiten. Die Blumen sind schnell wieder abgeräumt, ein Streifenwagen der Polizei steht vor dem Denkmal. Viele Menschen in Russland hatten, wie auch die Menschen in der , zumindest auf etwas Weihnachtsfrieden gehofft – das Gegenteil ist der Fall. Die Luftangriffe beider Seiten haben an Intensität zugenommen.
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Nach dem ukrainischen Angriff auf Belgorod an der russisch-ukrainischen Grenze ist die Zahl der Toten nach offiziellen Angaben auf 24 gestiegen. Dies berichtet der Gouverneur des Gebietes, Wjatscheslaw Gladkow. Mehr als 100 Menschen seien durch Beschuss am Freitag und Samstag verletzt worden, schrieb er auf Telegram.
Am Sonntagmorgen wurde in der Großstadt mit etwa 350.000 Einwohnern erneut Raketenalarm ausgelöst. „Alle Einwohner sollen sich in Schutzräume begeben, schrieb Gladkow. Der Alarm wurde nach kurzer Zeit wieder aufgehoben, meldete die Nachrichtenagentur Tass.
„Wie ganz Russland bereitete sich Belgorod am 30. Dezember aktiv auf das neue Jahr vor: Die Anwohner gingen einkaufen, es gab Warteschlangen in den Geschäften und es kam zu Staus auf den Straßen“, berichtet ein Journalist des Onlinemediums Meduza. „Ein solch groß angelegter Angriff war ein echter Schock für die Stadt. Hinter einem Zaun, an einem Fußgängerüberweg, liegt ein Körper, der mit einer leuchtend orangefarbenen Plane bedeckt ist.“
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Schwerste Verluste in der russischen Bevölkerung seit Kriegsbeginn
Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 sind die Toten in Belgorod der bislang schwerste Verlust in der russischen Zivilbevölkerung. Nach russischen Militärangaben soll die Ukraine die Stadt mit Kampfdrohnen und Raketenartillerie beschossen haben. Hinter dem Beschuss von Belgorod stehe Großbritannien, das zusammen mit den Vereinigten Staaten die Ukraine zu „terroristischen Aktionen“ dränge, sagte laut Tass Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums.
Zwei präzisionsgesteuerte ukrainische Raketen seien mit Streubomben munitioniert gewesen, so das Verteidigungsministerium in Moskau. Diese Raketen seien zwar durch die Flugabwehr abgeschossen worden, ihre Trümmer mit der Streumunition seien aber in das Stadtzentrum von Belgorod gefallen. Diese Angaben sind nicht überprüfbar. Die international geächtete Streumunition besteht aus kleinen Sprengsätzen, die von einem größeren Geschoss freigesetzt werden und vor allem Fahrzeuge und Menschen treffen sollen. Die Ukraine hat diese Munition in eigenen Beständen, aber auch westliche Partner hatten in der Vergangenheit Streumunition geliefert.
Eine offizielle Stellungnahme aus Kiew gibt es bislang nicht. Das Nachrichtenportal „Ukrajinska Prawda“ schrieb lediglich unter Berufung auf eine anonyme ukrainische Geheimdienstquelle, dass die ukrainische Armee auf militärische Objekte der Russen gezielt habe. Zivilisten seien aufgrund „unprofessioneller Aktionen der russischen Luftverteidigung sowie bewusster und geplanter Provokationen“ zu Schaden gekommen.
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Keine Silvesterfeiern in Belgorod
Wegen der Toten in Belgorod sagten mehrere andere russische Städte kurzfristig die Silvesterfeiern ab. Entsprechende Anordnungen erließen am Sonntag unter anderem die Bürgermeister von Woronesch, Kursk, Wladiwostok, Magadan und Blagoweschtschensk im Fernen Osten Russlands. „Wir trauern mit dem ganzen Land“, schrieb der Bürgermeister von Wladiwostok, Konstantin Schestakow, auf Telegram.
Als Reaktion hat Russland die Stadt Charkiw in der Nordostukraine nach ukrainischen Angaben in der Nacht zu Sonntag erneut angegriffen. Mindestens 28 Menschen seien verletzt worden, Wohngebäude, Hotels und medizinische Einrichtungen seien getroffen worden. Unter den Opfern sind auch Mitarbeiter eines Fernsehteams des ZDF. Laut Senderangaben sei eine ukrainische Übersetzerin von Trümmerteilen getroffen und schwer verletzt worden sein. Auch ein Sicherheitsmann des Teams sei verletzt worden. „Am Vorabend des Neujahrsfestes wollen die Russen unsere Stadt einschüchtern, aber wir haben keine Angst“, sagte Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow.