Kiew. Schon jetzt setzen die Ukrainer im Abwehrkrieg gegen Russland künstliche Intelligenz ein – auch für Waffen. Und sie wollen noch mehr.
„Eine kleine sowjetische Armee kann eine große sowjetische Armee nicht besiegen“, sagte der ukrainische Befehlshaber Walerij Saluschnyj im Februar dieses Jahres über den Abwehrkrieg gegen Russland. Um aus der Sackgasse eines drohenden jahrelangen Stellungskriegs herauszukommen, bekräftigte er immer wieder die Notwendigkeit eines technologischen Sprungs. Wie das Magazin „The Economist“ schrieb, stand Saluschnyj deshalb auch im engen Austausch mit Eric Schmidt, dem Ex-CEO von Google – und soll von den Gesprächen mit ihm begeistert gewesen sein.
Auch der neue Verteidigungsminister, Rustem Umjerow, betonte kürzlich: „Kriege werden von Technologien gewonnen“. Dabei spielt künstliche Intelligenz (KI) offensichtlich eine Schlüsselrolle. Die Entwicklung sowie der Einsatz von KI-Systemen in der ukrainischen Armee ist zwar noch in der Anfangsphase, doch schon jetzt sind an der Front Waffen zu sehen, die mithilfe von maschinellen Lernsystemen operieren. „Die Russen können Millionen für ihre Sturmangriffe mobilmachen – und ihre Fabriken hinter dem Ural arbeiten im Dreischichtbetrieb“, erklärt Umerow die Strategie. „Uns werden nur asymmetrische Reaktionen Vorteile verschaffen – und das ist dank Innovationen möglich.“
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Seit April 2023 existiert das Förderungsprojekt Brave1, das die Entwicklung von eigenen Verteidigungstechnologien unterstützt. Seitdem sind rund 800 Bewerbungen von Start-ups eingegangen, 80 davon haben staatliche Fördergelder erhalten. Dabei wurden von 35 Anträgen im Bereich von KI 29 bewilligt – ein klares Zeichen, wie wichtig Kiew dieses Thema nimmt. Wegen des akuten Bedarfs der ukrainischen Armee, die vorhandenen Waffen automatisiert zu nutzen, geht es bei den meisten Projekten um die Entwicklung von neuen Fähigkeiten in dieser Hinsicht. Ein Beispiel ist das System Griselda, das mithilfe von KI alle möglichen Informationen sammelt, schnell bearbeitet und den Truppen so ein klares Bild verschafft.
Ukraine: Künstliche Intelligenz hilft, russische Ziele zu finden
Griselda greift auf Daten von Drohnen, Satelliten, Medien, sozialen Netzwerken und gehackten Datenbanken zu und entdeckt auf diese Weise im Schnitt mehr als 25.000 Ziele pro Monat, wie das Kiewer Online-Portal Ukrajinska Prawda berichtet. Bisheriger Rekord: Zwischen der ersten aufgetauchten Information über den Feind und dem Erscheinen im System vergingen nur 28 Sekunden. Die Technologie ist unter anderem eng mit den Apps für ukrainische Kanoniere und Tanker verknüpft, die Ziele dank Griselda schnell treffen können. Genutzt werden aber auch ausländische Entwicklungen.
Die US-amerikanische Palantir Edge AI kann beispielsweise Satellitenbilder und andere Informationen so verarbeiten, dass sie automatisch auf einer einfach zu bedienenden Karte angezeigt werden. Damit erspart sie den Militärs Dutzende Stunden der Analyse und Einordnung von Informationen. Primer Technologies, ebenfalls eine Firma aus den USA, analysiert mithilfe von KI abgehörte Gespräche von russischen Soldaten – und kann sie automatisch transkribieren, übersetzen und bewerten.
Und auch für den Einsatz der im Krieg immer wichtiger werdenden Drohnen spielt KI eine Rolle. Während die Ukrainer zu Beginn des Konflikts in diesem Bereich noch einen klaren Vorteil hatten, ist die Situation inzwischen eine etwas andere – nicht zuletzt, weil sich die Russen in Sachen elektronische Kriegsführung stetig verbessern. Drohnen sind bei weitem nicht nur für die Vernichtung des Feindes, sondern auch für Aufklärungszwecke extrem wichtig, weshalb Kiew auf Entwicklungen wie den Drohnenkomplex Saker Scout mit maschinellem Lernsystem setzt. Er war im September vom Verteidigungsministerium für die Front zugelassen worden.
KI an der Front: Ohne die menschliche Expertise geht es nicht
Wo andere Drohnen aufgrund elektronischer Störungen durch die Russen versagen, kann diese Drohne mehr als 60 Arten von Zielen erkennen und angreifen. Doch weil die Russen nach den Fehlern der ersten Monate gelernt haben, ihre Technik besser zu verstecken, ist die Entdeckung von Zielen selbst für die KI nicht mehr ganz so einfach. Die ukrainische Armee setzt deshalb wieder verstärkt auf menschliche Expertise: In die Ausbildung der Soldaten werden Kriegsveteranen einbezogen, die als Drohnenpiloten an der Front waren und reichlich Erfahrung bei der Suche nach feindlichen Zielen gesammelt haben.
Ukrainische KI-Entwicklungen werden aber nicht nur in der Luft, sondern auch am Boden eingesetzt: Ein Beispiel ist die ferngesteuerte Drehringlafette TGG, die schwere Maschinengewehre und Granatwerfer tragen kann und etwa auf Militärfahrzeuge montiert wird. Sie identifiziert Ziele und macht so gut wie alle Berechnungen selbst. Der Bediener muss lediglich die Lafette auf das Ziel ausrichten und einen Knopf drücken. Zwar erleichtern all diese Technologien den ukrainischen Soldaten stark das Leben, sie sind aber bisher nicht kriegsentscheidend. Walerij Saluschnyj scheint das ändern zu wollen.
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